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künstlerischen Grenzüberschreitung und Auseinandersetzung mit der Gefühlssphäre des Religiösen.

      Immer wieder werden in den hier präsentierten Texten ihre drei philosophischen Eckpfeiler deutlich: Raum, Zeit und Subjektivität. Ihre primäre Frage zielte zunächst auf Leiblichkeit, also zum Beispiel auf die Frage, ob und wie spezifisch unanschauliche Verspürungen (vergl. insbesondere den Leibbegriff von Hermann Schmitz) überhaupt Bild werden können. Es ging ihr immer um die Frage, wie Künstler auf ihre Weise eben über die Herstellung von Bildern die Phänomenalität von »Selbst« und »Welt« artikulieren.

      Ergänzt werden die philosophischen Texte von Aufsätzen (wie dem von H. Schmitz) sowie von Erinnerungen der Familie und des Freundeskreises.

       Bernhard Johannes Blume

      Rede für Anna Blume junior

      Köln, 25. 6. 2008

      Liebe Freunde und Mit-uns-Trauernde.

      Wir, d. h. Annas engste Familie und auch ihre hamburgische, wie sie es nannte, »Wahlverwandtschaft«, wir danken Euch für Euer Kommen und Eure Absicht, sie nun gemeinsam mit uns zu ihrem Grab zu bringen. Als Schlusssatz ihrer detailliert geschriebenen bzw. diktierten »letztwilligen Verfügung« ca. drei Wochen vor ihrem Tod, steht da: »Begraben werden muss ich ja wohl. (Am besten Urne … ist aber nicht so wichtig …) Dann bitte in Köln. Bei meiner Oma. Vielleicht gibt es in Hamburg eine kleine Gedenkfeier. Mit Bier, Schnaps und Gesang an der Elbe … oder so … «

      Ich habe keine Worte für einen endgültigen Abschied. Ich halte mich deshalb hier an einem vorbereiteten Zettel fest, da steht Anderes drauf. Versuch einer, natürlich inadäquat bleibenden, Würdigung dessen, was Anna Blume jun. dennoch zustande gebracht hat … Das versuche ich gleich.

      Wir waren im Übrigen nicht allein mit ihr in den letzten Wochen ihres Lebens. Ihre Freundinnen, ihre »Wahlverwandten«, waren auch hier in Köln – einander ablösend, Tag und Nacht an ihrer Seite, selbst während der Klinikaufenthalte. In dieser Zeit hatten wir eine erweiterte Familie. Über ein halbes Jahr lang lebten wir zwischen Bangen, Hoffen und weggeschobener Gewissheit. Anna selbst machte sich aber sehr bald und eher keine Illusionen. Blieb in ihren Schmerzen und in der Gewissheit, bald zu sterben, freundlich, und nahezu fürsorglich gestimmt; machte sich eher Sorgen noch um uns und ihre Freundinnen, als um sich. In schmerzfreien Phasen mailte sie und telefonierte, schrieb oder diktierte Stücke eines Textes, redete direkt und indirekt vom Todsein, zitierte uns gelegentlich ein vielfach thematisiertes Paradox aus ihrem philosophischen Repertoire: die Unmöglichkeit, im eigenen Vorstellen, ein Nicht(-mehr)-Vorstellen vorzustellen … Ihr Unverfügbares jedenfalls trug sie, nachdem medizinisch objektiv war, dass man ihr nicht mehr helfen könne, mit Fassung.

      Was nun kann einer sagen neben dem Sarg der Tochter, einer, der ja doch erwarten durfte, vor und nicht nach seinem Kind zu sterben. Vielleicht doch ein kurzes »abstract«, wie Anna jun. es genannt hätte. Kurze Verweise auf ihre Arbeit in ihrer letzten Zeit. Hieran nämlich hat sie uns in den vergangenen drei bis vier Jahren verstärkt teilnehmen lassen – durch Fragen an uns und durch philosophische Problemstellungen, in die reinzudenken sie uns vielfach aufforderte. Es gibt natürlich eine Reihe universitärer Kommunikatoren in ihrem Arbeitsnetz, Kolleginnen und Kollegen der Universitäten Hamburg, Potsdam und insbesondere Rostock und Lüneburg, die das aus angemessener Distanz besser tun könnten und vielleicht noch tun werden. Aus der von ihr so intensiv und souverän bearbeiteten philosophischen Sparte der »Neuen Phänomenologie«, in der sie – zu ihrer mehrfach sarkastisch geäußerten Genugtuung – inzwischen eher als Abweichlerin galt, kam (bisher) kein Zeichen, von Hermann Schmitz selbst gestern aber ein Brief.

      Ein Weniges noch will ich komprimiert und hoffentlich verständlich sagen, denn uns bleibt, einschließlich einiger Minuten Musik, die ihre Mutter auswählte aus einigen, ihr von der Tochter zugeeigneten Platten, nunmehr wenig Zeit: Nach dem Studium der Politik, Jura und Philosophie schrieb Anna Blume eine philosophische Dissertation, die zwar nicht Johann Gottlieb Fichte galt, ihm aber einen wesentlichen Impuls verdankt und nicht zuletzt auch deshalb seiner Direktive folgte: »Was für eine Philosophie man wähle, hängt (sonach) davon ab, was man für ein Mensch ist. Denn ein philosoph. System ist nicht ein todter Hausrath, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat.« In der Spur dieser fichteanischen Direktive und seiner Entdeckung der Subjektivität fand Anna Blume jun. ihren Ansatz, Subjektivität weiterzudenken, über Kant, Fichte, Husserl, Sartre, und Merleau-Ponty hinaus in eine »Neue Phänomenologie«. Denn Fichtes Entdeckung, die beim Ich, das da schreibt, über endlos-reflexive Selbstzuschreibungen das Eigenste schon wieder verfehlt, um in dualistischer Selbstabspaltung allererst darüber zu verfügen, das war faszinierend, als Weg einer radikalen philosophischen Vergewisserung aber nicht mehr gangbar. Kein »todter Hausrath« dagegen ist das Vehikel der eigenen Leiblichkeit, wie diese sich, phänomenologisch aufzeigbar, aus chaotisch-mannigfaltigen Formen leibzuständlicher Gegenwärtigkeit entfaltet in eine je unverwechselbare, affektiv betroffen sich findende Personalität. Annas Dissertation von vor fast zehn Jahren, seinerzeit vom heute 80-jährigen Philosoph und Begründer der Neuen Phänomenologie Hermann Schmitz hochgelobt, was offenbar selten vorkommt, hat den Titel »Scham und Selbstbewusstsein«. Im Untertitel steht: »Zur Phänomenologie konkreter Subjektivität«. Der Verlag Karl Alber hatte sie seitdem fest auf seiner philosophischen Autorenliste. Anna jun. gab für die »Gesellschaft für Neue Phänomenologie« im gleichen Verlag noch zwei Textsammlungen heraus mit je einer umfänglichen Einleitung und einem je eigenen Beitrag. 2005 war das: »Zur Phänomenologie der ästhetischen Erfahrung« und 2007 die Herausgabe der Textsammlung zum Thema eines Symposiums zur Frage: »Was bleibt von Gott? Beiträge zur Phänomenologie des Heiligen und der Religion«. Es bleibt von ihr eine Reihe von Aufsätzen in verschiedenen wissenschaftlichen Zeitschriften, allein oder gemeinsam mit anderen Autoren verfasst. Es bleibt des Weiteren ein von der GNP offenbar bisher nicht so recht wahrgenommener kompakter Lexikonbeitrag für ein englischsprachiges phänomenologisch orientiertes Lexikon mit Annas Einlassung zu einer Phänomenologie der Ästhetik bei Hermann Schmitz … nicht ohne den kritischen Hinweis, dass – zeitgleich und z. T. früher in der Bildkunst der Moderne des 20. Jh. bis hinein in die Kunst der Gegenwart – Phänomene und Phänomenfelder thematisch waren und sind, die in ihrer methodisch artikulierten, bearbeiteten und hierüber bildhaft gemachten Präsenz ein der Phänomenologie historisch vorlaufendes Problembewusstsein entwickelten, das von der »Neuen Phänomenologie« nicht nur nicht gesehen, sondern bisher entschieden ignoriert wurde. Das sollte Thema und Aufarbeitung ihrer Habilitation sein. Denn bisher kommt Bild-Kunst der Gegenwart, als dem objektivierenden Seh-Sinn »verfallen«, neuphänomenologisch nicht vor, und wenn doch und überhaupt, dann nur im kunsthistorischen Rückblick und abgesicherten Zitat. Anna jun. aber wollte Ernst machen auch in ästhetischer Theorie mit jenem Aufgabenfeld aus einem »Hier, Jetzt, Dasein, Dieses, Ich.«

      Wir zitierten Ernst Mach in der Ihnen zugesandten Todesanzeige: Das ist eine Grunderfahrung, aus der Ernst Mach und seine neurophysiologischen Hinterherdenker noch bis heute den falschen Schluss zogen und ziehen. Anders die bildenden Künstler, mit ihren auf Bild-Flächen bearbeiteten Betroffenheiten. Mit dieser Erfahrung, sozusagen in phänomenologisch geläuterter Distanz kehrte Anna jun. noch einmal zurück ins »Atelier«. Wir hatten die Freude, nach langen Jahren freundlicher Distanz gegenüber den Aktualitäten im Kunstbetrieb zusammen mit ihr und in Perspektive ihres phänomenologisch interessierten Blicks erneut durch Ausstellungen zu wandern. Wir hatten die Freude und Genugtuung, nun mit ihr über künstlerische Projekte und ästhetische Probleme zu diskutieren, was über die Zeit ihrer intellektuellen Verselbständigung nicht möglich war. Nun also gab es auf ihrer Seite noch eine »phäno-philosophische« Motivation.

      Ein Habilitationsstipendium der Universitäten Lüneburg und Macerata in Italien ermöglichte ihr einen Ausstieg aus diversen Nebenjobs … und ihre Philosophiestudentinnen und -studenten in Lüneburg, Hamburg und in Potsdam konnten sich sehr bald von ihr phänomenologisch einweisen lassen in jene, besonders anschaulich bei Künstlern

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