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(Hermes) verbindet, ähnelt den im ägyptischen Symbolismus gebräuchlichen Hadit-Schwingen, eine geflügelte Scheibe, die uns noch mehrfach beschäftigen wird. Zusätzlich hat er das ägyptische Auge des Horus mit der Friedenstaube als Symbol christlicher Erleuchtung kombiniert. Damit bekommen wir einen ersten Vorgeschmack auf die Verbindung Taube-Schlange, die ein wichtiges Element in der Crowley’schen Überlieferung darstellt.1 Diese multikulturelle Verschmelzung assoziiert die unterschwellige Sehnsucht nach dem Göttlichen, denn trotz aller egoistischen Querelen und Winkelzüge strebt das Ich nach Verschmelzung und Entwicklung, was sich nicht zuletzt in den Fußfesseln zeigt, deren Musterungen mit denen der Schlangen auf seinem Kopf identisch sind.2 Auch die mächtigen (Jugendstil-)Flügel an den Fußgelenken, die die nur mühsam gehaltene Balance unterstreichen, sind interessant. Sie zeigen, dass der Magus zwar alle »beflügelnden« Erkenntnisse zu haben glaubt, diese aber selbst nur an den überlieferten kollektiven Prägungen kleben (was die instabile Gestalt fixiert und im Gleichgewicht festhält) und selbst keine eigene Wahrheit beinhalten. Obgleich er ahnt, dass er am Ende genauso klug wie vorher ist: Der jugendliche Held muss lernen, diesen Apparat, wenn nicht zu beherrschen so doch wenigstens zu bedienen, wenn er in der Welt etwas bewirken will. Die zu einem geometrischen Netzwerk angeordneten goldenen Fäden im Hintergrund, die sich in der Karte der Hohepriesterin zum Schleier der Isis verdichten, zeigen das Konstrukt der kollektiven Vorstellung und der menschlichen Kultur, die der Homo sapiens in Tausenden von Jahren entwickelt hat.

       Mit dem Stab erzeugt Er.

       Mit dem Kelch erhält Er.

       Mit dem Dolch zerstört Er.

       Mit der Scheibe erlöst Er.2

      Um ihn herum fliegen oder tanzen die magischen Werkzeuge herum, die da sind: Stab, Kelch, Dolch, Scheibe sowie das geflügelte Ei als Symbol für das fünfte Element, wie Crowley bemerkt. Sie sind Zeugnisse für das Inventar, mit denen er seine Leere mit Sinn füllen kann. Der Pfeil über der Hand steht für Ausweitung und Erkenntnisdrang, Schreibgriffel und Schriftrolle für die Gabe, Wissen festhalten und vergleichen zu können. Das Zepter mit Phönixkopf (Was-Zepter) neben seiner Hand illustriert das Wunder der sich immer wieder erneuernden Kraft, die den ganzen Kosmos beseelt, und das Triebwesen im Untergrund, das schäumend vor Zorn und blind vor Wut von unten rechts ins Bild drängt, verkörpert die oft auf der Merkurebene verloren gegangene Instinktnatur. Der erwachte Schatten sieht, dass das Werk des Magiers nicht vollkommen ist, solange er die Triebnatur auszuschließen versucht, deshalb wird er den Magus im Verlauf seiner Reise, bis er reif und weise geworden ist, noch das eine oder andere Mal schmerzhaft damit konfrontieren.3

       Urteil der Götter

       Jeder Mensch ist eine Manifestation des Universums und trägt die Summe aller Möglichkeiten genauso in sich, wie er selbst aus der Summe aller dieser Möglichkeiten geschaffen ist: Ergo ist der Magus das sich aus sich selbst heraus schöpfende Potential, das sich grenzenlos ausdehnen kann, da es gleichermaßen Schöpfer wie Geschöpftes, d. h. sein eigenes Universum oder Universum für sich selbst ist.

       Einspruch des Advocatus Diaboli

       Wenn der Narr der noch formlosen Leere entspricht, verkörpert der Magus das Feuer des Antriebs und den Spiegel des Selbstbildes. Steht die Hohepriesterin für die spirituelle Weisheit und die Sehnsucht nach den Seelengründen, symbolisiert der Magus den Willen, der beginnt, sich ein Bild von sich selbst zu machen. Im Grunde ist er der zwischen die vorangegangene und die nachfolgende Karte eingepferchte Geist, der sich gezwungen sieht, ein eigenes Wissensinventar zu erstellen, um den beiden nebulösen Wächtern zu entkommen. Vergeblich! Zwar verbindet ihn Crowley mit den vier (apokalyptischen) Reitern unserer abendländischen Kultur: dem Willen, der Weisheit, dem Wort und dem Logos, aus deren Zauberhüten wenn nicht die Welt, so doch zumindest unsere Vorstellung von der Welt erschaffen wurde, was sich zu dem ausgewachsen hat, was wir heute haben. Und doch: Im Grunde beruht der Wille des Magus auf den Verdrängungen der Visionen des Narren, und die Hohepriesterin ist die Quelle, die die Erkenntnisse des Magus durch ihre Ahnungen ergänzt.

      Weiterführende Bemerkungen

      1 Frieda Harris zeichnete ursprünglich drei verschiedene »Magier« für das Deck, bevor sich Crowley für die vorliegende Version entschied. Deshalb existieren neben dem eigentlichen Magus noch ein weißer oder Flügelschrauben-Magier, so genannt wegen seiner Körperhaltung, und ein schwarzer oder Schatten-Magus, eine Bezeichnung, die auf den großen Schatten der dunklen Gestalt hinter ihm herrührt. Alle drei Karten sind sowohl mit ägyptischen wie mit griechischen Symbolen bestückt. In den neuen Decks sind diese Unikate nicht mehr erhalten.

      Von den dreien ist der Flügelmutter- oder Swastika-Magier, wie ihn Eingeweihte nennen, der einzige, der sich in Bewegung zeigt. Seine Körperhaltung ähnelt einer Schraube mit flügelförmigen Ansätzen, mit der er sich in die hinter ihm liegende Midgardschlange, ein im Weltmeer lebendes, riesenhaftes dämonisches Wesen, das in der germanischen Mythologie die zwischen Totenreich und Himmel liegende Welt umschlingt, hineindreht (oder – umgekehrt – die Schlange als Symbol des Schattens auf die Realitätsebene hinauszieht). Sein Haupt wird ebenfalls von zwei Uräusschlangen geschmückt und ebenso thront über ihm die geflügelte Sonnenscheibe von Hadit. Unter ihm erhebt sich Hanuman, der hinduistische Toth3, der sich vor die Weltenschlange schiebt, und rund um die Karte sind die Symbole der Kleinen Arkana drapiert, Stäbe, Kelche, Schwerter und Scheiben.

      Der Schatten- oder Schwarzmagier hat acht Arme und Hände, mit denen er allerlei Symbole und Ritualwerkzeuge festhält. Hinter ihm erscheint ein riesiger Schatten, der die Form eines Gorillas angenommen hat. Es ist seine eigene, personifizierte Dunkelheit, die sich abgespalten und hinter ihm ins Grenzenlose ausgedehnt hat, denn als Manifestation des Universums trägt er die Summe der Schatten genauso in sich, wie er selbst aus der Summe seines Lichtes geschaffen ist. Über seinem Kopf schwebt, wie bei allen älteren Decks, die Lemniskate, das Zeichen der Unendlichkeit, und aus seinen Schultergelenken, an denen je vier dünne Ärmchen befestigt sind, entströmen Magnetfelder, Symbole der geistigen Kraft, die die Grenzen regiert, innerhalb derer sich ein menschliches Individuum entwickeln darf. In neueren Decks sind diese Karten, wie schon gesagt, leider nicht mehr enthalten. Auch wenn man einräumen mag, dass der offizielle Magier sich wahrscheinlich am besten ins Set einfügt, so sei doch auch festgehalten, dass die beiden anderen Karten in ihrer ergänzenden Aussagekraft, ihrem Symbolgehalt und künstlerischen Ausdruck nicht zu unterschätzen sind.

      2 Das bedeutet auch: Er hat noch einen weiten Weg vor sich, bevor er in der Karte XXI – Das Universum auf dem Kopf der Schlange reiten kann.

      3 Es ist wichtig zu wissen, dass die Libido im ersten Lebensdrittel ungehindert in unseren bewussten egoistischen Willen einfließen sollte. Ziel des Helden ist es, seine eigenen Wünsche um jeden Preis in den Mittelpunkt seiner persönlichen Ausrichtung zu stellen. Der Mensch auf der Ebene des Magus ist deswegen nicht schlecht, sondern es geht einfach darum, den Weg zu sich selbst über die Verwirklichung der eigenen Wünsche und die ausschließliche Ausrichtung auf die persönlichen Ziele zu finden. Im Laufe des Weges (= Lebens) verändert sich die Energie und das Ganze stellt sich später normalerweise größtenteils umgekehrt dar. Auf der Ebene des Eremiten geht es beispielsweise um die Situation, die

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