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erbettelten wir uns die Zinkbadewanne und paddelten dann mit unseren Händen den Graben entlang, unter den herabhängenden Weidenzweigen hindurch, herrlich“, schwärmte die Mutter. „Wir stellten uns vor, so müsste es im Spreewald sein.“

      „Jaja“, meinte Oma, „die alten Zinkbadewannen hatten auch ihr Gutes. Mit den heutigen Plastwannen ginge das gar nicht.“

      „Aber Oma“, sagte Nelli, „heute würde doch keiner mehr mit einer Wanne fahren, höchstens aus Jux. Jetzt gibt’s doch Schlauchboote und aufblasbare Kanus, preiswert“, fügte sie noch hinzu.

      Oma erwiderte trotzdem: „Für die, die genügend Geld haben. Die anderen müssten zugucken.“

      „Na, brauchen sie ja nicht. In die Brühe will ja jetzt sowieso keiner.“ Nelli lachte. „Wieso hat sich eigentlich der Graben so verändert, wenn das kein Märchen ist, was du erzählst, Mutti?“

      „Wenn ich mich richtig erinnere, wurde der Schwarze Graben damals jedes Jahr gereinigt. Dann türmten sich riesige Schlammberge an den Uferrändern auf und wenn sie etwas getrocknet waren, suchten wir Kinder nach besonders großen Schalen von den Flussmuscheln. Manchmal wurde auch ein Geldstück gefunden, und ich hatte einmal besonderes Glück und zog ein silbernes Kinderarmband aus der Erde mit Zwergenanhängern.“ Verträumt lächelnd dachte die Mutter daran zurück.

      „Was du seitdem viele Jahre ständig getragen hast. Sogar in der Nacht.“ Belustigt schüttelte Nellis Oma den Kopf.

      „Ja, bis ich es eines Tages auch wieder verlor.“

      „Schade“, meinte Nelli, aber warum heißt der Graben denn Schwarzer Graben, wenn er doch mal so klar war?“ Nelli sah ihren großen Bruder herausfordernd an. „Die Wunderblume will es wissen“, setzte sie hinzu.

      Robbi lachte. „Aha“, meinte er, da hat sich wohl doch jemand ein wenig über meine Kritik geärgert?“

      Ihn hatte nicht nur die Festungsgeschichte der Stadt interessiert, ihn fesselte die Vergangenheit überhaupt. Beim zukünftigen Studium war er sich noch nicht sicher, ob er lieber Archäologie oder Jura wählen sollte.

      „Dieser Name stammt noch aus dem Mittelalter, als man Schwarzwasser, das war gutes Quellwasser, zum Bierbrauen brauchte. Es kam aus dem Großen Teich am Wald und wurde in die Stadt geleitet. Nun bohre aber nicht weiter und frage nicht, warum heißt das gute Quellwasser zum Bierbrauen Schwarzwasser, wenn es doch nicht schwarz ist, Nelli.“ Robbi lachte seine kleine Schwester an. „Ich weiß es nicht. Das steht nämlich nicht einmal im Brockhaus.“

      Damit war das Thema abgehakt. Alles ist eben nicht zu erklären. Aber jetzt dachte Nelli wieder daran, als sie diesen Frosch mit Inbrunst quaken hörte. Sie war jedoch nicht bei Oma, sondern zu Hause, und das bedeutete, dass im Goldfischteich, den ihr Vater erst vor kurzem anlegte, ein Gast Quartier bezogen hatte.

      ‚Vielleicht gefällt es ihm dort so gut, dass er nun nach einer Fröschin ruft‘, dachte Nelli und fand den Gedanken so schön, dass sie am liebsten aufgestanden wäre, um die Eltern zu wecken und ihnen die Neuigkeit mitzuteilen.

      Sie machte es natürlich nicht, denn Mutti musste ja um fünf schon wieder aufstehen, da sie diese Woche Frühdienst im Kindergarten hatte. Nelli wusste, dass eine viertel Stunde vor sechs Uhr schon die ersten Eltern ihre Kinder brachten. Da musste die Kindergärtnerin schon da sein, obwohl offiziell der Kindergarten erst sechs Uhr öffnete.

      „Aber kommen die Mütter zu spät zu ihrer Arbeit, können sie bald mit einer Entlassung rechnen“, sagte Nellis Mutter. „Es gibt nur wenige Chefs, die den Frauen in der Zeit entgegenkommen. Am liebsten stellt man gar keine Frauen mit Kindern ein, da diese ja auch mal krank werden können und nicht immer eine Oma da ist, die sie dann behütet. So ein Risiko mag man nicht. Eine richtige Männergesellschaft ist das“, erregte sich Nellis Mutter stets bei diesem Thema.

      Sie war eine sehr selbständige Frau, die sich genau wie ihr Mann in einer liebgewordenen Tätigkeit verwirklichen wollte. Nelli wusste, dass sich ihre Mutti keineswegs zu Hause langweilen würde. Sie hatte so viele Interessen, schrieb Kindergedichte, verfasste selbst Geschichten und Handpuppenspiele, die sie für ihre Erziehungsarbeit brauchte, arbeitete mit Vati an der Ortschronik und fotografierte dafür. Sie hatte sogar Spaß am Renovieren der Zimmer. Vati überließ ihr das gern. Er werkelte lieber in seiner Freizeit in der Werkstatt und kümmerte sich um die Beete und Bäume im Garten. Das war sein Ausgleich für die anstrengende Arbeit in der Schule. Und vor allem gab es ja viel zu tun bei seinen Bienen. Während er alle Arbeit an den Bienenstöcken, den Beuten, verrichtete, kümmerte sich die Mutter um die Zusatzarbeiten. Da waren die Rähmchen zu drahten und Wachsmittelwände einzulöten, damit die Bienen gezielt ihre Waben für Futter und Nachzucht bauen können, dann war Honig zu schleudern und in die Gläser zu füllen. Natürlich mussten auch Robbi und Nelli helfen, aber das meiste blieb doch an Nellis Mutti selbst hängen.

      ‚Nein, an Langeweile würde Mutti nie leiden‘, dachte Nelli manchmal. Aber im Kindergarten war sie jemand. Sie leitete den kleinen Kindergarten hier im Ort. Da konnte sie nicht immer Feierabend nach der Uhrzeit machen. Aber sie liebte die Arbeit mit den Kindern und ihr gefiel diese verantwortungsvolle Tätigkeit. Als Frau, den Mann ständig um Geld anzubetteln, wäre ihr nicht im Traum eingefallen.

      „Das muss ja fürchterlich sein, wenn ich mir jedes T-Shirt erfragen muss“, sagte sie einmal.

      Das konnte sich Nelli auch nicht vorstellen, wenn sie selbst einmal erwachsen sein würde. Ihr ging es schon manchmal „auf den Geist“, wenn das Taschengeld im Monat zu schnell alle wurde und sie hatte doch noch einen Sonderwunsch und musste nun mit den Eltern diskutieren, die ja die obergroße Wichtigkeit oft nicht einsehen wollten. Aber Nelli fand das jetzt, da sie noch ein Kind war, so einigermaßen in Ordnung, aber Muttis Haltung konnte sie gut verstehen. Sie wünschte sich auch einmal einen Beruf, den sie mochte und in dem sie etwas leisten konnte. In welcher Richtung das allerdings sein würde, war noch sehr ungewiss. Als sie einmal mit den Eltern einen Waldspaziergang machte, wollte sie danach unbedingt Försterin werden.

      „Aber dir ist schon bewusst, dass du dann auch überzählige oder kranke Tiere schießen musst, Wildschweine, Kaninchen, Rehe“, meinte Robbi.

      „Rehe auch und Kaninchen?“ Nein, da wollte Nelli diesen Beruf auf gar keinen Fall mehr erlernen.

      Als sie ein interessantes Buch über den berühmten Polarforscher Amundsen las, stand für sie fest, Forscherin zu werden und mit den neuesten Methoden das Eis der Arktis zu untersuchen und mit beizutragen, die Geschichte der Menschheit zu erkunden. Aber auch Archäologie reizte sie. Wenn ihr Bruder begeistert vom alten Ägypten, von den Pharaonen erzählte, von Hatschepsut, der Königin auf dem Pharaonenthron, die wunderbare Tempel bauen ließ, auch einen ganz berühmten Terrassentempel, von Tutench-Amun, dem jungen Pharao, der eine neue Religion einführte und schon mit achtzehn Jahren starb oder vielleicht sterben musste, und wenn Robbi von den Geheimnissen der Pyramiden berichtete, die bis heute noch nicht ganz gelüftet sind, dann war ihr größter Wunsch, einmal an Ausgrabungen teilzunehmen. Vielleicht würde es ihr, Nelli, gelingen, Hieroglyphen, also Schriftzeichen der alten Ägypter zu finden, die die letzten Geheimnisse preisgeben.

      Nelli blieb also liegen und lauschte belustigt dem unermüdlichen quakenden Gesang des Froschmännchens. Als sie nachmittags aus der Schule kam und ihr Fahrrad in den Schuppen gestellt hatte, lief sie sofort zum Teich, um den neuen Gast zu begrüßen. Nellis Vater hatte das kleine Gewässer auf einem Teil der Wiese angelegt. Mit den Augen tastete Nelli den Teich ab. Kalmus wuchs an einer Seite, um das Wasser sauber zu halten. Zwischen Natursteinen am Rand wucherten Gräser und Schilfblumen. Da entdeckte sie ihn auf einem Stein am Uferrand. Es war kein besonderer Frosch, sondern ein ganz einfacher Teichfrosch, wie es viele davon an den Gewässern gibt. Nelli sah es an der Größe. Dieser Frosch war vielleicht zehn Zentimeter lang und war braun-olivgrün und die Innenseiten seiner Oberschenkel zeigten gelbe Flecken. Das waren Merkmale des Teichfrosches. Im Biologieunterricht hatten sie die verschiedensten Froscharten kennengelernt und wer es wollte, durfte einmal gemeinsam mit Helfern vom Naturschutzbund und Eltern abends am Krötenzaun im Glacis der Stadt helfen. Kröten legen ihren Laich, ihre Eier, immer dort ab, wo sie einmal geboren wurden, und das bedeutet,

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