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gering. Tatsächlich bereuen die meisten Menschen am Ende des Lebens eher das, war sie im Leben unterließen, als was sie gewagt haben. Und mir ist noch keiner begegnet, der am Ende bereute, nicht genug gearbeitet zu haben….

      Vielleicht denken Sie ähnlich wie ich damals, dass man als Familie speziell gestrickt sein muss, eine große Menge Mut braucht, ein wenig Waghalsigkeit, sogar einen Hauch Naivität und schließlich auch überdurchschnittliches Glück, damit alles gutgehen kann.

      Wir nahmen unsere Kinder aus der Schule, verkauften unser Haus, gaben unsere Berufe auf, und dann, ganz einfach, ließen wir die Leinen los und segelten aus dem Hafen. Vielleicht sind wir tatsächlich etwas abenteuerlich veranlagt, und wir brauchten sicherlich auch eine Portion Mut, aber wir sind nicht mehr von Glück gesegnet als andere Familien. Im Gespräch mit den vielen segelnden Eltern-und-Kinder-Crews, die wir unterwegs getroffen haben, wurde deutlich, dass wir alle eine sehr ähnliche Entwicklung durchlaufen haben: mit den gleichen Fragen, mit denselben Ängsten und vergleichbaren Erlebnissen vor, während und nach der Durchführung unseres Segelabenteuers.

      Meiner Erfahrung nach führt ein Sabbatical durch vier Phasen: 1. Träumen 2. Planen 3. Durchführen und 4. Wiedereinsteigen.

      Typisch nähert man sich einem Sabbatical nämlich als Träumer. Es vergehen oft Jahre, in denen man von einer Auszeit träumt, und hier gehört man wirklich nicht zur Minderheit, wie eine Forsa-Umfrage neulich bestätigte. Aber nur 2% schaffen es am Ende den Schritt tatsächlich zu wagen. Zu schade!

      In der Rückschau war für uns der Übergang zwischen der Phase vom Träumen zum Planen tatsächlich am schwierigsten. Diesem Schritt ging ein langer, innerer Kampf voraus, der sich in unzähligen Gedanken und Diskussionen im Kreis drehte. Immer wieder erwogen wir dieselben Vor- und Nachteile, Risiken und Chancen, ohne ein klares Bild zu bekommen. Die Herausforderung schien einfach zu vielschichtig, denn wir hatten Angst vor einer Veränderung! Dieser Prozess ist verständlich und sogar notwendig.

      Sollten auch Sie diesen inneren Kampf schon in sich selbst gespürt haben: Keine Sorge, wir haben alle darunter gelitten – er gehört dazu! Angst ist der Schrecken jedes denkenden Menschen! Angst steht im Zusammenhang mit stammesgeschichtlich herausgebildeten Warn- und Schutzfunktionen und kann schon bei der Vorstellung einer potentiellen Bedrohung auftreten. Daher führt sie oftmals zu Vermeidung, unterdrückt möglicherweise die Freude am Erkunden von Neuem oder am Spiel und hemmt somit Initiative und Kreativität. Aber man kann sie überwinden und den bewussten, reflektierten und respektvollen Umgang mit Angst in einem weitgehend kontrollierten Rahmen auch als lustvoll, befreiend und zutiefst befriedigend erleben. So tobt ein lebenslanger Kampf in jedem Einzelnen von uns zwischen dem Suchen, Ausprobieren und Erkunden auf der einen und dem Vermeiden, Kontrollieren und Bewahren-Wollen des Bekannten auf der anderen Seite. Beide Pole haben ihre Berechtigung, und jeder Mensch muss seine eigene Balance zwischen diesen beiden konkurrierenden Kräften in sich finden. Gewinnt die Vernunft diesen Kampf jedoch vielleicht zu oft in unserer von Rationalität geprägten Informationsgesellschaft? Werden unsere Gefühle unterdrückt, fehlt es an Fantasie, Neudenken sowie der Bereitschaft umzudenken? Sind wir deshalb für individuelle und daher unübliche Gedankengänge zu blockiert? Die Evolution hat uns den Verstand und die Fähigkeit zum Angsterleben gegeben, um Gefahren zu erkennen und ausweichen zu können, denn das Unbekannte könnte gefährlich sein! Aber ohne den Mut, manchmal auch das Risiko einzugehen, etwas zu unternehmen, das wir nicht ganz verstehen oder kennen, das heißt, dessen Konsequenzen nicht von Anfang bis Ende ersichtlich sind, gäbe es keine persönliche Weiterentwicklung und keinen Fortschritt.

      Wir haben einen Freund, der einmal gesagt hat, er wolle das Blauwassersegeln lieber gar nicht erst ausprobieren, denn er habe Angst, es so zu genießen, dass er nie mehr in einen normalen Alltag zurückkönne.

      »Besser es nicht zu wissen…«, murmelte er, während er in seinem Büro mit dem Gestus großer Wichtigkeit bedeutungsvolle Papiere von einem Haufen zu andern schob. Nachdem wir das Blauwassersegeln ja nun gewagt haben und seit einiger Zeit versuchen, uns wieder an unser altes Leben zu gewöhnen, muss ich zugeben, er hatte nicht Unrecht.

      Die dritte Phase, das eigentliche Segeln, ist der leichteste Schritt, denn hier trifft man auf viele Gleichgesinnte, die, wie wir, in ihren Schiffen für eine kürzere oder längere Auszeit auf den Weltmeeren umherschippern. Die gegenseitige Unterstützung der Blauwassersegler – wir nennen uns die »Yachties« – ist bewundernswert und solange man vorsichtig segelt, mit viel Geduld das richtige Wetter abwartet und mit gesundem Menschenverstand reist, kann man auch unterwegs viel lernen.

      Vor der vierten Phase, dem Wiedereinstieg, sei aber gewarnt: Die Eingliederung in ein gewöhnliches Leben ist oft gar nicht so einfach, wie man es sich am Anfang vorstellt. Die Welt, in die man zurückkommt, ist zwar noch die gleiche, aber man selbst hat sich verändert und hat neue, tiefsinnigere Werte im Leben gefunden. Um nur einige Beispiele unserer Veränderung zu benennen: aus Angst war Vorsicht und Respekt geworden; Hast, Hektik und Stress wurden ersetzt durch Gelassenheit; Vorurteile wandelten sich in Verständnis; sture Pläne wurden zu Optionen; Notwendigkeiten zu Prioritäten, die nicht alle erfüllt werden mussten; Phobien machten der Neugierde und Freude am Unbekannten Platz; Sorgen verwandelten sich in Ur- oder Grundvertrauen und Liebe.

      Zeit ist für viele Menschen eine luxuriöse Mangelware, insbesondere für solche, denen sonst nichts zu fehlen scheint, die ihre Lebensziele weitgehend erreicht haben und auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Ich denke daran, wie ich früher an Time-Management-Kursen für Unternehmer teilgenommen habe, um alles optimal organisieren zu können, alles pünktlich zu vollenden und ja nicht zu spät zu kommen! Ich lächele bei diesen Erinnerungen. Welchen Nutzen hatten diese Zeitoptimierungssysteme, wenn ich sie mit der »Island Time« vergleiche, die in der Karibik von jedem Einheimischen erfolgreich praktiziert wird? Für diese Menschen ist Erfolg nicht Produktivität, sondern Glück.

      Geld kann verdient, gespart, verteilt werden und auf der Bank wachsen, ohne zu altern. Mit dem kostbaren Gut Zeit verhält es sich anders. Im Gegensatz zu seinem monetären Gegenstück ist Zeit gerechterweise an alle Menschen der Welt gleich verteilt und zwar mit genau 24 Stunden pro Tag für jeden; praktisch wie ein Geschenk der Götter. Bis auf seinen ersten und seinen letzten Lebenstag erhält jeder Mensch täglich genau die gleiche Menge an Zeit; nicht mehr und nicht weniger. Es ist jedem selbst überlassen, diese 24 Stunden weise zu investieren, denn man bekommt sie nie mehr zurück. Man kann sie nicht auf ein Bankkonto einzahlen, um ein paar Reste für später aufzuheben. Es gibt keine Zinsen auf gesparte Zeit. Ähnlich kann man Zeit auch nicht auf Kredit erhalten. Zeit ist für uns nun plötzlich viel mehr wert als Geld, und wir überlegen daher genau, ob wir unsere Zeiteinheiten fürs Fernsehen ausgeben, lieber ins Bücherlesen investieren oder mit Freunden Spaß haben wollen. Zeit ist für uns zur wertvollsten Währung geworden.

      Seinen Traum zu leben ist die eine Sache, aber nach der Auszeit wieder in den gewohnten Alltag einzusteigen ist eine ganz andere Herausforderung. Wie soll man beispielsweise nach einem so großen Abenteuer und der weitgehenden Erfüllung langgehegter Ziele und Träume nun neue Ziele und Träume finden? Geht es einem nach einem so erfüllenden Jahr wie dem Olympiasieger, der in eine Depression versinkt nachdem er seine Medaille gewonnen hat, für die er sein ganzes Leben kämpfte? Ich habe von einigen Seglern gehört, dass es helfen würde, ein neues Projekt zu beginnen: ein Haus zu bauen, eine neue Arbeit annehmen oder gar das nächste Segelabenteuer zu planen. In jedem Fall sollte es gelingen, nicht für den Rest des Lebens das Bedauern zu spüren, zurückgekehrt zu sein. Vielmehr muss man weiter nach vorne blicken und Ziele und Perspektiven aufstellen.

      Wir waren aus unserm alten Leben aufgebrochen, um etwas Neues kennenzulernen. Ganz langsam veränderte fast alles, was wir früher für sehr wichtig gehalten hatten, seine Bedeutung. Indem wir uns ein Jahr Auszeit gegönnt haben, haben wir gelernt, uns zu öffnen und für neue Dinge bereit zu sein, und zwar für den Rest unseres Lebens. Wir verwarfen dabei nicht unser altes Leben. Im Gegenteil: Wir schätzten es umso mehr, denn es hatte uns ja zu unserem Segeljahr und unserer veränderten Sichtweise geführt. Unser altes Leben hatte uns Erfahrungen geschenkt, auf die wir unterwegs bauen konnten, denn es bestand aus wesentlich mehr als nur aus Gewohnheiten, die uns gefangen hielten. Unterschiedliche Perspektiven gehören zu verschiedenen Lebensabschnitten, und man unterliegt im Fluss des Lebens ständig kleinen Persönlichkeitsveränderungen.

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