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Sein neugieriger Blick kann nichts ergründen. So nickt er dem Mann freundlich zu, als der aussteigt und zieht dann kräftig am Hebel. Die schwere Tür schließt ächzend. Dann den ersten Gang rein und weiter geht es über die Ebene zum nächsten Halt, vielleicht nach hundert Meilen. Wäre da nicht flotte Musik aus dem Radio und eine gut gefüllte Kaffeekanne, hätte der Busfahrer Mühe bei so viel Eintönigkeit die Augen offen zu halten.

      Das Farmhaus liegt um die zweihundert Schritte weit von der Landstraße, meilenweit entfernt vom nächsten Nachbarn. Auf der Westseite ist es durch eine dichte Reihe von Pappeln gegen die Präriewinde geschützt. Es ist eines dieser zweistöckigen Dutzendhäuser aus dem Katalog, wie sie im Westen überall zu finden sind. Breit ausladend, unter einem flachen, mit unempfindlichen Asphaltschindeln gedeckten Satteldach. Das Hauptgeschoss ist oben, darunter befindet sich, was hier Basement genannt wird. Nein, schön oder architektonisch bemerkenswert ist es sicherlich nicht, aber zweckmäßig. Dahinter schaut die Scheune hervor, rot gestrichen mit ausladendem Giebel. Und daneben, in einem offenen Hufeisen, der Maschinenschuppen samt Werkstatt. Alles ist ordentlich aufgeräumt. Der Hund, dessen Bellen weithin hörbar ist, muss hinter dem Haus angebunden sein. Sonst gibt es kein Zeichen von Leben. Es ist noch zu heiß im Freien.

      Das Gesicht des Fremden nimmt die Szene mit einem Ausdruck von Genugtuung auf, als freute er sich, dass alles noch da sei. Er hat den prallen Rucksack locker über die Schulter gehängt. Der Koffer scheint nicht sonderlich schwer zu sein. So setzt er ohne Eile einen Fuß vor den anderen auf dem Einfahrtsweg zur Farm hinüber. Da öffnet sich dort die Haustür im Untergeschoss. Ein älterer Mann, die Holzfällerkappe auf dem schütteren grauen Haar, tritt ins Freie und geht in Richtung des Maschinenschuppens. Plötzlich bemerkt er den Fremden den Weg heraufkommen und bleibt stehen. Etwas wie ungläubiges Erkennen zeigt sein Mienenspiel. Er zögert noch einen Moment, als ob er es nicht glauben kann, was er sieht, um dann dem Ankömmling ein paar vorsichtige Schritte entgegen zu gehen. Dann bleibt er stehen, schirmt seine Augen mit der Hand gegen das gleißende Sonnenlicht und fragt mit verhaltener, belegter Stimme:

      „Bist du das, Uwe?“

      „Ja John, ich bin es“, kommt die Antwort, während der Mann seinen Koffer abstellt und den Rucksack heruntergleiten lässt.

      Er ergreift die ausgestreckte Hand mit einem festen Griff. Die beiden schauen sich in die Augen und mustern sich eine Weile schweigend. John Musgrove, der alte Farmer, bekommt eine feierliche Miene.

      „Es ist lange her, Uwe Breuer. Ist es dreizehn oder vierzehn Jahre, seit du aus der Gefangenschaft entlassen worden bist?“

      „Ja“, kommt die leise Antwort, „und damals hast du gesagt, ich sei bei euch stets willkommen, wenn mich mein Geschick je in dieses Land zurückbrächte.“

      „Das Wort gilt. Aber komm doch erst mal ins Haus.“

      Seine Stimme wird fröhlich lärmend.

      „Donna wird sich freuen. Du musst erzählen, was du so erlebt hast.“

      Er greift nach dem Koffer, Uwes abwehrende Geste missachtend, und geht voraus in Richtung Haustür. Währenddessen mustert er Uwe von der Seite.

      „Du hast eine Menge Falten bekommen, na ja, wir werden eben alle älter, ich bin ja auch bald sechsundsechzig und werde mich in spätestens zwei Jahren auf meinen Altenteil zurückziehen. Tom ist in Saskatoon und studiert Landwirtschaft. Er ist bald fertig und will dann hier übernehmen. Und der Zweitälteste, der Wally, der nie genug von deinen Fliegergeschichten hören konnte, der ist in dein Fach gegangen, er ist Pilot geworden; da drüben, kaum zwanzig Meilen von hier, weißt du, auf dem alten Flugplatz, der während des Krieges für die Flugschule gebaut wurde.“

      Sie sind an der Haustür angekommen. John öffnet sie und ruft mit polternder Stimme das Treppenhaus hinauf:

      „Donna, du wirst nicht glauben, wer hier ist!“

      Oben in der Küche legt Donna Musgrove hastig die Schürze ab, hängt sie ordentlich an den Haken und schaut neugierig das Treppenhaus herunter.

      „Sag' schon, wer es ist“, sagt sie ärgerlich.

      Gegen die Helligkeit von den kleinen Fenstern über der Haustür kann sie das Gesicht des Fremden nicht erkennen. So kommt sie mit zögernden Schritten die Treppe herunter, um plötzlich wie angenagelt stehen zu bleiben.

      „Mein Gott, das ist doch nicht möglich – Uwe!“

      Sie nimmt ihn an die Hand und zieht ihn zu dem Flurfenster hinüber, um ihn bei vollem Licht anschauen zu können. Da wird sie still und streichelt ihm mütterlich die Wange.

      „Du hast es schwer gehabt, nicht wahr?“

      Und Uwe antwortet gemessen: „Ja, so friedlich wie es hier für einen Kriegsgefangenen auf der Farm war, ist es nie wieder gewesen!“

      „Wo kommst du denn jetzt her?“, fragt John, die bei seiner Frau aufkommende Rührung abfangend.

      „Wie lange bist du schon unterwegs?“

      „Die letzten vier Tage habe ich praktisch im Bus geschlafen, von der Gegend um Toronto. Ich habe dort nach meiner Ankunft für ein halbes Jahr als Mechaniker gearbeitet, in einer Autowerkstatt, manchmal auch auf einem nahen Flugplatz, für so einen Fliegerclub. Und Inhaber eines Berufspilotenscheins bin ich auch. Aber dann habe ich mir in den Kopf gesetzt, in den Westen zu gehen.“

      „Und wo ist deine Frau?“, fragt Donna Musgrove leise.

      „Du bist doch verheiratet.“

      „Nein, Donna, nicht mehr. Aber das ist eine lange Geschichte.“

      Sein Gesicht bekommt einen gequälten Ausdruck.

      „Also Schluss jetzt. Du wirst uns das ja erzählen, wenn du willst. Aber jetzt soll er sich erst mal frischmachen. Er kann ja in seinem alten Zimmer im Keller schlafen, nicht wahr, Donna?“

      „Ja, selbstverständlich. Ich habe es in ein paar Minuten fertig. John, biete ihm was zu trinken an. Er wird es brauchen bei der Hitze. Oben im Kühlschrank ist noch Limonade, die hast du doch immer so gerne gemocht, Uwe.“

      Und sie macht sich eilig auf den Weg in den Flur des Untergeschosses, in dem Uwe zwei Jahre als Kriegsgefangener beim Arbeitseinsatz untergebracht war.

      Uwe Breuer steht am Fenster seines alten Zimmers. Es ist klein und schmucklos, mit einer Art Feldbett, einem Nachttisch und einem in die Wand eingebauten schmalen Schrank. Auf der Kommode steht eine Waschschüssel mit einem Wasserkrug aus Blech, eine Seifenschale daneben. Und Donna hat ihm ein Handtuch dazugelegt. Ihm ist, als sei er in die Vergangenheit zurückgekehrt. Hier stand er oft und dachte an Zuhause zurück. Und an den Krieg im Mittelmeer, wo er als Oberleutnant im Jagdgeschwader 2, mit seinen Kameraden jenen aussichtslosen Kampf gegen die wachsende Übermacht in der Luft zu fechten hatte. Und an jenen Palmsonntag 1943, an dem für ihn der Krieg zu Ende gegangen war.

      Für ihn ist alles, als sei es gestern gewesen.

      Die Erinnerung überwältigt ihn.

      Er ist unterwegs von Sizilien kommend mit sieben Maschinen Geleitschutz für einen riesigen Schwarm von Transportflugzeugen, Ju 52 und Messerschmitt Giganten. Im Luftkampf wird seine Messerschmitt 109 F flugunfähig geschossen. Er setzt die Maschine ins Wasser und hofft, dass sein Schlauchboot von deutschen Seenot-Flugzeugen entdeckt wird. Aber dann fischt ihn ein englischer Zerstörer aus dem Meer und er landet schließlich in einem Gefangenenlager in Kanada, nahe der Stadt Saskatoon. Dort meldet er sich freiwillig für die Arbeit in der Landwirtschaft. Er erinnert sich noch genau wie freundlich und ohne Vorurteile ihn die Musgroves aufnehmen.

      Szenen tauchen in seinem Gedächtnis auf, wie er gemeinsam mit der Familie am Tisch sitzt, glücklich über eine kräftige Mahlzeit. Wie dankbar John für jede Hilfe bei der schweren Farmarbeit ist. Welchen Spaß er hat beim Spiel mit den Kindern. Aber auch, wie der Winter mit seinen Minusgraden und fürchterlichen Stürmen alles Leben mit Schnee oder später im Frühjahr mit Staub zudeckt.

      Uwe kehrt zurück in die Gegenwart, als er Donnas Stimme hört, die ihn zum Essen ruft. Er gibt sich einen Ruck und geht

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