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so wie das da, dachte ich im Stillen.

      „Nicht schlimm“, sagte ich stattdessen, „aber das Tattoo auf meinem Fuß … und ein ganz großes auf meinem Rücken, heilige Scheiße, die taten weh!“ Sie lächelte.

      „Ich will auch eins, aber ich habe kein Geld dafür“, sagte sie. Sie schaute mir immer noch nicht in die Augen.

      „Irgendwann hast du genug zusammen, und vielleicht bist du dann alt genug, dir nicht so bescheuerte Sachen stechen zu lassen wie ich, als ich in deinem Alter war. Was würdest du dir stechen lassen, wenn du das Geld hättest?“

      Damit begann ein langes Gespräch, und als wir auf halbem Weg nach New Orleans waren, erzählte sie mir von ihrem Leben: davon, dass sie nicht wusste, wer ihr Vater war, und von der einstweiligen Verfügung gegen ihre ältere Schwester, von der sie im Jahr davor schwer verletzt worden war. Sie redete davon, wie blöd es in ihrer Schule sei. Sie hätten sie in Nachhilfekurse gesteckt, obwohl sie in Mathe eigentlich richtig gut sei; sie finde nur Kurven doof und weigere sich deshalb, sie zu zeichnen. Ich merkte ihr an, dass sie sehr intelligent war. Sie passte nur nicht ins System. Ich erzählte ihr, meine Beraterin auf der Highschool sei eine blöde Ziege gewesen, die dachte, ich solle auf die Handelsschule gehen, und jetzt hätte ich ein abgeschlossenes Hochschulstudium und schon zwei Bücher veröffentlicht. Wer zuletzt lacht …

      Ein Lächeln drängte sich auf ihr Gesicht wie ein ungebetener Gast, und zugleich sah sie viel heller und jünger aus. Für eine Sekunde schaute sie mir sogar in die Augen.

      „Also“, fragte ich schließlich, „bist du auch auf dem Weg zum lutherischen Jugendtreffen?“

      Sie sah mich verdattert an. „Ja … Moment mal, SIE wollen zum lutherischen Jugendtreffen?“

      Lächelnd erwiderte ich: „Ja … zufällig bin ich lutherische Pastorin, und ich soll da morgen Abend etwas sagen.“

      „Nee, ne?“, sagte sie, und ich musste lachen. Dann erzählte sie mir, dass nur zwei Mädchen aus ihrer Jugendgruppe überhaupt ein Wort mit ihr wechseln und dass sie eigentlich gar nicht auf diese Reise hatte mitkommen wollen. Sie passte einfach nicht rein. Das könne ich gut verstehen, sagte ich ihr, weil ich auch nicht reinpasse.

      Wir verstummten. Ich wandte mich meinem Buch zu, und sie arbeitete an einer Zeichnung, die sie mir schenkte, als wir gelandet waren. Es war eine Mangazeichnung von mir.

      Noch im Gang der 737 umarmte sie mich und dankte mir dafür, dass ich mich mit ihr unterhalten hatte. Und ich dankte ihr für die Zeichnung.

      Manchmal bin ich so begriffsstutzig, dass Gott nichts anderes übrig bleibt, als so deutlich zu werden, dass es schon fast peinlich ist. Zum Beispiel, indem er mir ein verletztes Mädchen mit glänzenden Schnittnarben am Arm über den Weg schickt – ein Mädchen, das sich hinter einem schützenden pinkfarbenen Pony versteckt, das nicht reinpasst, ein Mädchen, das mir auf seine ganz eigene Weise sagte: Ach übrigens, ich soll dir etwas von Gott ausrichten: Nimm dich nicht so wichtig.

      Wenn man auf einer Bühne im Superdome redet, sieht man nicht viel von den Leuten, zu denen man spricht. Das Publikum ist so weit weg, dass es wirklich unmöglich ist, zu erkennen, was für Gesichter die Leute machen, oder ihr Lachen zu hören. Es fühlt sich an wie eine Radioansprache. Oder sagen wir, wie eine Radioansprache unter so grellen Scheinwerfern, dass man sich unwillkürlich fragt, ob es vielleicht gar keine Scheinwerfer sind, sondern in Wirklichkeit Lichter von einem außerirdischen Raumschiff, das einen jeden Moment zu sich heraufbeamen wird. Und dann fängt man an zu reden wie eine geblendete Radiomoderatorin, die gleich von Außerirdischen entführt wird und so tut, als spräche sie auf einem Jugendtreffen, und man kann nur hoffen, dass alles gutgehen wird.

      Ich hatte keine Ahnung, ob das, was ich da auf meiner weit entrückten Bühne unter den außerirdischen Traktorstrahlen redete, irgendein Echo fand oder „gut ankam“. Aber immerhin wusste ich, zu wem ich redete, denn kurz bevor ich auf die Bühne gestiegen war, hatte ich ein Stück Papier betrachtet, das zusammengefaltet in meiner Hosentasche steckte – mein Porträt als Mangazeichnung. Und so stand ich nun vor Zehntausenden furchteinflößenden Jugendlichen und wusste, dass ich nur zu Chloe sprach, zu dem Mädchen, das nicht ins System passte.

      Also erzählte ich meine Geschichte: ein Mädchen, das nicht reinpasste, aufgewachsen als fundamentalistische Christin, das dann der Gemeinde den Rücken kehrte, süchtig wurde, wieder clean wurde, einen netten lutherischen Jungen kennenlernte, Lutheranerin wurde, lutherische Pastorin wurde, eine Gemeinde gründete.

      „Manche eurer Eltern und Pastoren haben sich ziemlich darüber aufgeregt, dass ich heute Abend zu euch sprechen sollte“, sagte ich. „Sie waren der Meinung, jemand mit meiner Vergangenheit sollte nicht vor Tausenden von Jugendlichen sprechen dürfen. Und wisst ihr, was ich dazu zu sagen habe?“ Ich schwieg einen Moment. „Sie haben absolut recht.“

      Schweigen. Ich holte tief Luft und fuhr fort: „Jemand mit einer Vergangenheit wie meiner, mit Alkoholsucht, Drogenmissbrauch, Promiskuität, Lügen und Stehlen sollte nicht zu euch sprechen dürfen. Und wisst ihr was? Jemand mit meiner Gegenwart, jemand, der so ist, wie ich jetzt bin, sollte das auch nicht dürfen. Ich bin eine sarkastische, über und über tätowierte, hitzköpfige Person, die flucht wie ein Bierkutscher! Ich bin ein mit Fehlern behafteter Mensch und sollte eigentlich wirklich nicht zu euch sprechen dürfen. Aber wisst ihr was?“, fragte ich. „Das ist der Gott, mit dem wir es zu tun haben, Leute!“

      Die Kids rasten. Sie sprangen klatschend und schreiend von ihren Stühlen auf und rasten.

      Ich muss sagen, es haute mich um. Bis dahin hatte ich keine Ahnung gehabt, ob sie mir überhaupt zuhörten. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigten, und dann fuhr ich fort: „Lasst mich euch von diesem Gott erzählen.“ Ich erzählte ihnen, dass dies ein Gott ist, der schon immer unvollkommene Menschen gebraucht hat, ein Gott, der unter uns gelebt hat, der sich vorzugsweise mit dem letzten Abschaum zum Essen getroffen und sogar Aussätzige geküsst hat. Ich sagte ihnen, dass dies ein Gott ist, der von den Toten auferstand und dann mit seinen Freunden am Strand Fische grillte, der schließlich zum Himmel aufstieg und uns jetzt in ganz hundsgewöhnlichen Dingen besonders gegenwärtig ist: Weizen, Wein, Wasser, Worten. Ich sagte ihnen, dass dieser Gott noch nie begreiflich war.

      „Und ihr müsst Gott auch nicht begreifen, denn dieser Gott wird euch gebrauchen, dieser Gott wird jeden von euch gebrauchen, und nicht nur eure Stärken, sondern auch eure Fehler und euer Versagen. Eure Schwachheit ist für einen vergebenden Gott genau der fruchtbare Boden, aus dem er etwas Neues und Schönes wachsen lassen kann. Bildet euch also nicht ein, ihr hättet nichts anderes zu bieten als eure Gaben. So sieht das aus, wenn man Lutheraner ist.“ Chloe, weißt du, was du bist? Du bist eine Lutheranerin. So wie ich. Und wieder waren sie völlig aus dem Häuschen.

      Als ich mich später im Superdome unter die Menge mischte, um mir die Band anzuhören, die zum Abschluss spielte, wurde ich von Kids überrannt. Ein Mädchen in einem pinkfarbenen Hoodie, der ihm zwei Nummern zu groß war, weinte. „Ich bin fünfzehn Jahre alt, und ich habe eine ganz ähnliche Geschichte wie Sie, und ich glaube, Sie haben mir heute Abend das Leben gerettet.“ Ich nahm sie in die Arme und sagte ihr, was für ein wunderbarer Mensch sie sei.

      Nachdem ich so ungefähr sämtliche Kids, die an diesem Abend dabei waren, in die Arme genommen hatte, fand und umarmte ich meinen Mann Matthew, der ein paar Stunden vorher mit dem Flugzeug gekommen war, um seine verrückte Frau zu unterstützen, die solche Angst davor hatte, vor Jugendlichen zu sprechen. Wir fuhren durch den prasselnden Regen zurück zu unserem Hotel, setzten uns in unser stilles Zimmer und verzehrten in aller Ruhe das Steak, das ich mir bestellt hatte, um meinen bettelnden Post-Adrenalin-Hunger zu stillen.

      „Was ist da eben passiert?“, fragte ich Matthew.

      Er blickte nicht einmal von seinem Teller auf, sondern sagte nur: „Du kannst zu Jugendlichen sprechen.“

      Ich hatte ins behagliche Tarsis fliehen wollen, ein Land der Erwachsenen, die meine Witze verstehen und mich (vielleicht) cool finden, doch stattdessen war ich am Ufer eines Ninive voller Jugendlicher ausgespien

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