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vierzig, und ich benehme mich auch nicht so, aber wahrscheinlich finden mich nur Leute, die älter sind als ich, besonders hipp. Ich weiß das, und deshalb sagte ich nein danke. Zweimal.

      Außerdem habe ich kein „Herz für die Jugend“. Manche Leute, mein Mann und meine Freundin Kristen zum Beispiel, lieben Kids. Aber mir ist es einfach lieber, wenn ich keine Zeit mit Jugendlichen verbringen muss (es sei denn mit meinen eigenen Kindern, die ich vergöttere und die mich zum Lachen bringen und die einfach großartig sind). Und vor allem ist es mir lieber, wenn ich mich nicht vor Zehntausende von ihnen hinstellen muss. Wäre ich Jona, so wären Jugendveranstaltungen mein Ninive. Ich will nur in Tarsis Rednerin sein.

      Das Team vom Jugendtreffen mailte mir zurück: „Oh nein, Nadia, wir haben doch nie Leute aus der Jugendarbeit als Hauptredner bei diesen Veranstaltungen. Wir holen uns immer berühmte Sportler, Stars von CNN, Desmond Tutu …“

      Desmond Tutu?, schoss es mir durch den Kopf. Ja klar, nach dem bin natürlich gleich ich an der Reihe. Aber ich antwortete lediglich: „Damit überzeugt ihr mich nicht gerade, dass ich die richtige Person bin.“

      Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Also, eigentlich wollen wir am ersten Abend des Treffens mit guter alter lutherischer Theologie einsteigen. Wir haben selten echte Lutheraner auf der Hauptbühne, und wir möchten gern, dass die Kids gleich zu Anfang der Veranstaltung mal ein anderes Bild davon bekommen, wie Lutheraner aussehen. Und wir wünschen uns eine starke Gnadenbotschaft.“

      Das saß. Der Fremdenverkehrsausschuss von Ninive hat gesiegt. Ich sagte Ja.

      Ein paar Monate, nachdem ich die Einladung angenommen hatte, fand ich heraus, dass ich nicht allen Beteiligten dort willkommen war. Auch dass Andrena Ingram eingeladen worden war, eine afroamerikanische lutherische Pastorin, die HIV-positiv ist und eine Suchtvergangenheit hat, war nicht allen recht. Offenbar waren Tausende von Eltern gewarnt worden, ihre Kinder würden womöglich gefährlichen Ideen skandalträchtiger Frauen ausgesetzt, wenn wir nicht wieder ausgeladen würden. Freilich hätte es weder den einzigartigen Anfang noch die glanzvolle Geschichte des Christentums selbst je gegeben, wenn niemand gefährlichen Ideen skandalträchtiger Frauen ausgesetzt gewesen wäre, aber sei’s drum.

      Obwohl ich der Meinung war, dass die Jugend der lutherischen Kirche sich eigentlich in der Obhut von Pastorin Ingram und Pastorin Bolz-Weber durchaus sicher fühlen konnte, trug dieses Echo nicht gerade dazu bei, meine Bedenken gegenüber einem Auftritt auf einer nationalen Jugendveranstaltung zu zerstreuen. Anfangs machte es mich wütend. Während ich also versuchte, meine Ansprache zu schreiben, war ich abgelenkt, weil ich immerzu daran denken musste, wie ich irgendeine passiv-aggressive Bemerkung darüber einflechten könnte, wie lächerlich es doch sei, dass manche Leute sich einbilden, meine Vergangenheit und mein persönlicher Stil wären irgendwie gefährlich für die heutige Jugend. Ich war ohnehin schon gebeten worden, vor den Kids keine Kraftausdrücke zu gebrauchen – so als hätten diese Jugendlichen noch nie vorher das Wort „Scheiße“ gehört und würden irreparable seelische Narben davontragen, wenn sie es von einer Pastorin bei einer Jugendveranstaltung hörten. Aber okay, dachte ich, was soll ich mich darüber aufregen.

      Am Abend vor meiner Abreise nach New Orleans saß ich mit meinem Mann Matthew, der als Pastor viel Erfahrung in der Jugendarbeit hat, meinem kleinen Sohn Judah und meiner Teenager-Tochter Harper in meinem Wohnzimmer. Da ich ein bisschen Aufmunterung für mein Selbstvertrauen brauchte, fragte ich sie, wie sie meinen geplanten Einstieg in den Vortrag fanden.

      Ich trug ihnen die ersten Zeilen vor: „Manche Leute finden, ich sehe nicht sehr lutherisch aus, wegen der Tattoos, aber dann zeige ich ihnen, dass ich auf meinem linken Arm das ganze Kirchenjahr eintätowiert habe, von Advent bis Pfingsten. Lutherischer geht’s ja wohl nicht!“ Alle starrten mich schweigend an, bis mir klar wurde, dass nur unser Hund auf meiner Seite war.

      „Jugendliche werden das nicht witzig finden“, meinte Matthew schließlich, „und möglicherweise verstehen sie noch nicht einmal, wovon du redest.“

      Worauf unsere Tochter hinzufügte: „Ja, das ist irgendwie doof.“ (Okay, vielleicht vergöttere ich meine eigenen Kids doch nicht so sehr.)

      Ich zog eine finstere Miene, schnappte mir die Hundeleine und marschierte ab zu einem Spaziergang, hauptsächlich, um meine Gedanken zu sammeln und Freunde anzurufen, die mehr von der Sache verstanden als mein Mann und meine Tochter und mir sagen konnten, wie großartig meine Ansprache doch sei. Während ich durch mein Stadtviertel in Denver spazierte und den anderen Passanten zunickte, dachte ich immerzu: Ich wette, die Frau, die da drüben mit ihrem Schnauzer aus ihrem 30er-Jahre-Bungalow kommt, ist nicht im Begriff, sich morgen vor Zehntausenden lutherischer Jugendlicher zu blamieren.

      Sobald es mir gelang, mein Selbstmitleid zu bezähmen, rief ich meine Freundin Kristen an und ging meine Ansprache mit ihr durch. Sie hatte über zehn Jahre lang Jugendarbeit gemacht und war so freundlich, auf meinen panischen Hilferuf zu reagieren. Sicher würde sie mein erlahmendes Selbstvertrauen wieder auf Zack bringen.

      „Das hört sich so an, als ob du zu ihren Eltern sprächest. Stattdessen könntest du Folgendes sagen …“ Und dann entwarf sie eine ganze Ansprache für mich, grundsolide und vollkommen anders als alles, was ich jemals sagen würde. In wachsender Panik beschleunigte ich meine Schritte, zerrte den Hund hinter mir her und rief meinen Freund Shane an, der schon auf solchen großen Jugendtreffen gesprochen hatte, obwohl er genau wie ich nichts mit Jugendarbeit am Hut hatte.

      „Kein Wunder, dass du Angst hast, Schätzchen. Jugendliche sind ein hartes Publikum.“

      Ich weiß noch, wie mir zwei Dinge durch den Kopf schossen, bevor ich an diesem Abend schlafen ging. Erstens: Ich brauche bessere Freunde. Zweitens: Ich werde mich vor 35 000 Leuten in Grund und Boden blamieren. Wach im Bett liegend, stellte ich mir den ohrenbetäubenden Lärm einer riesigen Schar von Menschen vor, von denen keiner über meinen Einstieg auch nur schmunzelte. Den größten Teil der Nacht verbrachte ich damit, mir auszudenken, wie ich es anstellen könnte, mein Flugzeug zu verpassen, krank zu werden oder einen Nervenzusammenbruch zu erleiden.

      Als ich schließlich früh am nächsten Morgen in mein Flugzeug stieg, war ich übernächtigt, von Grauen erfüllt und fühlte mich so, als müsse ich ohne Hilfe eines Dolmetschers einen Vortrag in einem fremden Land halten. Und dann setzte sich Chloe neben mich. Wie eine Gesandte aus Ninive.

      Ich war so mit meiner Panik vor dem Jugendtreffen und meiner Verärgerung darüber beschäftigt, auf dem mittleren Platz sitzen zu müssen, dass ich gar nicht bemerkte, wie dieses junge Mädchen den Gang entlangkam. Ihr pinkgefärbter Pony hing ihr wie ein Schutzvisier übers Gesicht, als wollte sie die Aufmerksamkeit gleichzeitig anziehen und abweisen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung zwängte sie sich an mir vorbei auf den Fensterplatz, nahm ihren abgeschabten schwarzen Rucksack und holte ein Anime-Heft und ihren Zeichenblock heraus. Sie bog ihre Schulter nach vorn herab, als versuchte sie damit zu verstecken, was ihr pinkfarbener Pony nicht verstecken konnte.

      Sie warf einen schüchternen Blick auf meine nackten Arme, ohne mich anzusehen, und sagte: „Schöne Tattoos.“

      „Oh, danke. Mir gefallen sie auch. Was ein Glück ist, da ich sie ja noch eine Weile haben werde.“

      Sie lächelte. Glaube ich. Es war schwer zu sagen.

      Dann saßen wir wieder schweigend nebeneinander, während sich das übrige Flugzeug allmählich mit Reisenden füllte. Viele von ihnen waren ebenfalls auf dem Weg zu unserer Konferenz in New Orleans. (Das erkannte ich daran, dass sie alle passende T-Shirts aus verschiedenen lutherischen Gemeinden anhatten, wie eine Bandenuniform aus dem mittleren Westen.)

      „Was zeichnest du denn da?“, fragte ich sie. Das sei Manga (ein japanischer Comicstil), aber sie zeichne auch Fantasy-Gestalten. Das mache meine Tochter Harper auch gerne, sagte ich ihr. „Sie sollten ihr von dieser Website erzählen, wo sie ihre Arbeiten uploaden kann“, meinte Chloe. Das war alles noch vor dem Start, sodass ich Harper eine SMS mit der Internetadresse schicken konnte, die Chloe mir genannt hatte. Prompt kam eine SMS von ihr zurück: „Ja, Mama, die kenne ich.“ (Seht ihr? Nicht cool.)

      Chloe zeichnete

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