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werdet.« Sie bogen ganz in der Nähe der Universität in die zweite Straße rechts ein.

      »Hier, zwischen Augustinerkirche und Lehmannsbrücke, wohnt Nikolaus Marschalk im Haus zur Rossbrücke. Es gehört zu jenen Häusern, die unter die Verwaltung des deutschen Ritterordens fallen. Bei Marschalk wohnt auch Georg Spalatin, ebenfalls ein Kommilitone. Aber gehen wir dort der Gera entlang durch die Schildchengasse zur Krämerbrücke. Sie ist die Marktbrücke der reichen Händler: Edle Stoffe, Steine und Gewürze gibt es hier. Wenn ihr auf die Brücke wollt, müsst ihr eine Brückengebühr entrichten. Ich rate euch also, den Steg auf der anderen Seite zwischen Rathaus und Wenigemarkt zu benutzen.«

      »Das habe ich schon. Mein Pferd steht in der Futterstraße.«

      »Oh«, war Lang erstaunt, »das ist der teuerste Ort, um sein Pferd unterzustellen. Ich empfehle euch einen Stall im Andreasviertel!« Dann fuhr er mit seiner Stadtführung fort. »Hier, neben unserem Hospital, ist ein Badehaus.« Er zwinkerte mit einem Auge und ergänzte: »Wenn ihr Erfahrungen sammeln wollt … Da seht ihr Leute, mit denen ihr nicht gerechnet hättet. Aber da sich niemand dort offiziell aufhält, herrscht eine einvernehmliche Schweigepflicht!«

      Martin und Alexis grinsten peinlich berührt.

      »Hier, im Gotthardtviertel, wohnen viele arme Leute – wie ihr an den kleinen Holzhäuschen seht. Gehen wir durch die Kürschnergasse zur Schlösserbrücke. Eine weitere Marktbrücke an der Tabaksmühle.« Hier rauschte laut die Gera, das Mühlrad schlug geräuschvoll ins Wasser ein. Von der Brücke konnte man die Stege sehen, von denen aus die Kürschner ihre Felle im Fluss wuschen.

      »Hinter der Mühle, das ist das Franziskanerkloster. Gehen wir vorbei.«

      Sie sahen zwei in ihren Sandalen barfüßige Mönche, die vor dem Kloster fegten. Dann führte sie Johannes zum Dominikanerkloster und erklärte: »Dies ist das Predigerkloster. Habt ihr schon mal von Meister Eckhardt gehört? Seine Lehre ist verboten. Aber natürlich gibt es sie noch als anonyme Ausgabe im Antiquariat. Ich habe sie mir gekauft. Johannes Tauler bezieht sie auch in seine Lehre ein. Ich sage nur so viel …«, er holte die beiden nahe zu sich und flüsterte fast, »Gott ist im Grund der menschlichen Seele dauerhaft anwesend – wenn auch gewöhnlich auf verborgene Weise – und kann dort erreicht werden. Gott ist in uns, nicht im Außen. Er ist ein Teil von uns, wir sind ein Teil von ihm.« Er wandte sich zum Weitergehen. »Ihr müsst meditieren, wenn ihr eine Gotteserfahrung sucht. Zur Meditation wird schon lange von den Benediktinern geraten, und Nikolas von Kues hat vor genau fünfzig Jahren höchstselbst direkt dazu aufgefordert. Hier in Erfurt. Auf dem Petersberg. Darüber wird dieses Jahr, zum Jubiläum sozusagen, sicher noch gesprochen.«

      Für Martin waren dies unglaubliche Dinge, die er da hörte. Gott in seinem Inneren. Wie kühn! Seine Mutter hätte sich bekreuzigt, und von seinem Vater hätte er eine Backpfeife erhalten, wenn so etwas aus seinem Mund gekommen wäre.

      Sie liefen an großen Waidspeichern vorbei, hörten den Bierrufer die Brauhäuser, die Ausschank hatten, ausrufen: »Ein wohlfeil Bier gibt’s im Bären zu saufen und ist für ein paar Heller zu kaufen«, und erreichten den Platz vor den Graden. Sie sahen das Trillhäuschen, das auch leer unheimlich war. Martin hatte schon einmal eines mit einer Frau darinnen gesehen, die von den Leuten bespuckt und mit Unrat beworfen wurde. Einige Jungs hatten eine Freude daran gehabt, den Käfig anzuschubsen und wie ein Karussell schneller und schneller in Drehung zu versetzen. Die Frau war kreidebleich gewesen, ihr weißes Hemd gelb getränkt von den Gallensäften, die ihr dabei hochgekommen waren. Dieses hier drehte sich leise quietschend nur ein wenig mal nach links und mal nach rechts. Sie schauten sich den Hebearm mit dem Korb über dem Flusslauf für die Wasserprobe von Hexen an. Auch er bewegte sich leicht knarrend mit jeder Brise auf und ab oder zur Seite. Ganz nah befand sich das Gerichtshaus mit der Justicia als steinerne Figur vor dem Eingang.

      »Eine Hinrichtung findet einmal im Monat statt, mindestens. Es ist ein riesiger Volksauflauf. Widerwärtig, wenn ihr mich fragt. Diese Gaffer, die vor Schadenfreude und Hass vergessen, wie schnell auch sie dort landen könnten.«

      Martin und Alexis nickten angeekelt, wenngleich auch sie sich zu den ehrfürchtig Schaulustigen zählen würden.

      »Na ja, zum Bischofssitz im Dom muss ich nichts sagen. Dort hinten, links neben dem Dom, ist die Frauengasse mit einem recht großen Frauenhaus, wo die Mumen nicht nur weltliche Herren glücklich machen.« Lang schüttelte den Kopf. »Daneben ein Findelhaus – passend, denn es geht nicht immer ohne Nachwuchs aus. Und weit und breit nur Gasthäuser: Die Hohe Lilie neben der Grünen Apotheke, auf der anderen Seite die Rote Flasche – das sind die zwei größten Wirtshäuser hier am Platz.«

      Dann zeigte er in Richtung der Andreaskirche, als sie in die Breite Gasse abbogen. »Das Andreasviertel ist das Viertel der Handwerker und Bauern. Sie versorgen auch das große Benediktinerkloster auf dem Petersberg.« Am Fischmarkt blieb er stehen. »Hier seht ihr das Rathaus mit dem Gefängnis, das ›Paradies‹ genannt wird. Da drüben sind die Burse zum Löwenstein und das große Gasthaus Ratskeller, wo es das gute Einbecker und Naumburger gibt. Freitags kann man hier Fisch kaufen. Das soll erst einmal reichen. Meine Kanne Bier fordere ich ein anderes Mal ein. Ich muss noch mal zurück zur Schlösserbrücke, ihr geht dort vorne auf der Via Regia weiter durch die Michaelisstraße.«

      Martin und Alexis bedankten sich und gingen, sich angeregt über alles unterhaltend, zu ihrer Unterkunft zurück. Es war inzwischen kurz vor acht.

      Nach den ersten Tagen der Orientierung sollten sich alle Studenten in ihren jeweiligen Bursen melden, und Alexis schlug vor, dass Martin und er diesen Gang doch gemeinsam erledigen könnten. Von der Studentengasse führte gleich links hinter dem Universitätsgelände eine schmale Holzbrücke über die Gera an einer Mühle vorbei. Der Fluss war hier künstlich in zwei schmale Arme unterteilt worden, damit das Wasser mit mehr Druck fließen und so mehrere Mühlräder gleichzeitig antreiben konnte. Rechts lag die Armenburse mit ihrem ausladenden Obergeschoss direkt am Fluss und geradeaus ging es über die nächste Brücke an der Schildchensmühle vorbei. Vor sich sahen Martin und Alexis das kleine Haus zum Handschuh und auf der Ecke den stattlichen Kompturhof des deutschen Ritterordens. Sie liefen links den Fluss entlang und gelangten so direkt auf die Lehmannsbrücke, auf der um diese Zeit die Händler ihre Stände aufgebaut hatten. Daneben befand sich ein Nonnenkloster der Zisterzienserinnen und dem gegenüber die Brückenkopfkirche St. Nikolai mit ihrem hohen Kirchturm, der wie der Turm der Allerheiligenkirche als Wachturm fungierte. Die Burse war nicht zu übersehen. Es war ein langer Bau hinter der Brücke, vor dem ein paar ältere Studenten standen. Sie traten näher an das Grüppchen heran.

      »Seid gegrüßt, wir sind neu an der Universität und kommen beide aus Mansfeld. Wir möchten uns melden«, sagte Martin.

      Einer der Studenten reagierte zuvorkommend: »Folgt mir. Ich bringe euch zum Bursenmeister.«

      Auf ihrem Weg ins Gebäude wurden sie von unauffälligen, aber interessierten Blicken begleitet.

      Der Bursenleiter hatte eine kleine Amtsstube gleich rechts hinter dem Eingang. Er erwartete die Neuen schon.

      »Nur herein. Wen haben wir denn da?«

      Alexis übernahm die Antwort: »Die beiden Mansfelder, Martin Ludher und Alexander Schmied.«

      Der Bursenleiter schaute sie an, dann auf sein dickes Buch, in dem er seine Bewohner eintrug. »Martinus und Alexius … In der Burse wird für gewöhnlich Latein gesprochen. Das dürfte kein Problem sein, oder? Ja, hier habe ich Euch. Seid willkommen. Ich zeige Euch gleich Eure Betten. Im Sommersemester werdet Ihr um vier Uhr morgens geweckt, im Wintersemester um fünf. Der Tag beginnt mit Gebeten und Lektionen. Um zehn Uhr gibt es die erste Hauptmahlzeit. Dann folgen weitere Lektionen, Übungen und was sonst auf dem Lehrplan steht. Die zweite Hauptmahlzeit ist um vier Uhr nachmittags, danach ist frei. Frei, um zu lernen, zu musizieren oder gar zu arbeiten. Ich rate Euch, tut etwas Sinnvolles! Im Sommer schließe ich die Burse um acht Uhr dreißig, im Winter um acht Uhr ab. Weiblicher Besuch ist nicht gestattet. Während der Mahlzeiten wird geschwiegen. Im Wechsel liest jeweils ein Student aus der Bibel vor.«

      »Das ist ja wie im Kloster«, zischte Alexis Martin zu, als der Bursenleiter aufstand, um sie zu ihren Kammern zu führen.

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