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so weitermacht, wird aus ihm ein guter Student.«

      Hans deutete mit dem Kopf eine Verbeugung an und bedankte sich für diese positive Einschätzung.

      Als der neue Rektor zurück in die Universität ging, die zugleich die philosophische Fakultät war, spazierten Sohn und Vater zum Rathaus und zurück über die Stadtmünze durch die Durchfahrt des Warenhauses am Benediktsplatz, über den Steg entlang der Krämerbrücke in die Futterstraße, wo beide noch ein Bier tranken.

      »Dein Pferd bleibt hier stehen. Meins kann den Wagen alleine ziehen, nachdem es nur noch mich und weniger Gepäck fahren muss. Otto Ziegler hat mir einen guten Preis gemacht für Futter und Stalldienst. Du musst den Rappen nur regelmäßig bewegen kommen. Die Weiden liegen vor den Stadttoren, dort wird es den Sommer über stehen. Na ja, mit Pferden kennst du dich ja aus. Morgen gehen wir noch mal über den Markt, ja?«

      »Ja, Vater. Danke für alles. Wir sehen uns morgen!«

      Martin winkte Hans nach und musste sich anschließend erst einmal auf eine Holzbank auf dem Wenigemarkt setzen, auf dem die Händler längst schon ihre Fleisch- und Brotbänke verschlossen hatten. Eine Wolke schob sich vor die Sonne, die sich allmählich zu senken begann, und er fröstelte. Erschöpfung machte sich nach all der Aufregung und den vielen Eindrücken breit.

      Erfurt ist eine Schmalzgrube, dachte er. Wenn sie wegbrennen würde, müsste an selber Stelle sofort wieder eine Stadt entstehen.

      Dies war nun sein neues Zuhause. Gegenüber des Platzes lag die Kürschnergasse. Hier roch es beißend nach Gerblösung. Die Ledermacher und Schuster hatten hinter ihren Häusern Stege über dem Fluss, von denen aus sie ihre Felle wuschen, bevor sie sie weiterverarbeiteten. Viele Menschen liefen an Martin vorbei, trugen Kiepen oder Körbe, zogen Handwagen oder Lasttiere hinter sich her oder ritten mit bepackten Satteltaschen vorüber. Fensterläden, auf denen Waren ausgelegt waren, wurden abgeräumt und geschlossen, in Werkstätten verklangen die Geräusche von Hämmern, Sägen und Hobeln. Es roch nach Waid oder Urin, nach Kot und nach Vieh. In den schmalen Wasserklingen, die die Straßen durchzogen, plätscherte leise das Wasser und trug den verschiedensten Unrat mit sich. Ein paar Schweine schnarchten dicht an einer Hauswand, Ziegen wurden in den Stall getrieben, und ein Hund schreckte ein paar Hühner auf, die sich flatternd auf eine Zaunlatte retteten.

      Martin lächelte. Er war in Erfurt! Der Taxator hatte ihn als wohlhabend eingestuft und er war Scholar an einer der berühmtesten Universitäten des Kontinents. Vorbei die Zeit, da er sich klein und als Außenseiter fühlen musste. Er hatte ein Pferd, sein Studium war bezahlt, und sein Vater gab ihm ausreichend Geld für alle Tage. Er klopfte sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel, um sich zum Aufstehen zu ermuntern, und freute sich darauf, erste Kontakte zu knüpfen.

      Er lief zurück zur Universität und in seine Kammer. Alexis war schon dort und hatte begonnen, ein paar Dinge auszupacken und auf seiner Seite des Raumes zu arrangieren. So hatte er sein Schreibzeug genau auf eine Hälfte des Tisches gelegt. Auf seinen Stuhl hatte er Kleidungsstücke gestapelt und an den Haken an seinem Bett hatte er sein leinenes Nachthemd gehängt.

      »Alexis, schon zurück? Bist du alleine nach Erfurt gefahren? Ich habe noch meinen Vater zum Gasthaus begleitet. Du kommst auch aus Mansfeld?«

      »Ja, ich bin alleine hier. Mein Vater hat in seiner Werkstatt zu tun. Die Tage werden länger, die Leute bestellen mehr. Er ist Schmied. Macht alles, was mit Eisen zu tun hat. Auch Hufe beschlagen. Alle zehn Wochen bekommt jedes Pferd in Mansfeld neue Hufeisen … Klar, es gibt noch andere und wir sind noch nicht lange in der Stadt. Er muss sich seine Kundschaft sichern.«

      »Ach, deshalb kennen wir uns nicht. Na ja, ich war die letzten Jahre auch in Eisenach. Wo bist du zur Schule gegangen?«

      »In Leipzig. Aber nun, da wir beide in Mansfeld wohnen, können wir unsere Reisen zusammen antreten. Hast du auch ein Pferd hier?«

      »Ja, steht bei Ziegler in der Futterstraße.«

      »Meins auch, aber im Haus zum Schwarzen Bären.« Sie machten es sich jeder auf seinem Bett bequem, streckten ihre Beine aus und unterhielten sich über Mansfeld, über die Leute dort und gemeinsame Bekannte und schöne Plätze. Sie sprachen über Erfurt, ihre ersten Eindrücke von der Stadt und über Gott und die Welt. Zwischenzeitlich war es dunkel geworden und Martin hatte die Kerze auf dem Tisch angezündet. Beide teilten sie sich den Proviant ihrer Mütter und ließen es sich schmecken. Alexis war in Ordnung. Ein aufrichtiger, offener, netter und humorvoller Kerl, wie Martin fand. Sein erster Freund in Erfurt: ein Mansfelder! Martin musste bei dem Gedanken schmunzeln, kurz bevor ihm die Augen zufielen, als sie weit nach Mitternacht endlich ihre Nachthemden angezogen, die Kerze gelöscht und sich schlafen gelegt hatten.

      Am nächsten Morgen wuschen sie sich in einem Waschraum mit mehreren Waschschüsseln, die bereits mit noch lauwarmem Wasser aufgefüllt waren. Alle Neuankömmlinge wünschten sich einen guten Morgen und unterhielten sich durcheinander darüber, was sie am heutigen Tag erwartete, in welche Burse sie endgültig einziehen mussten und was sie am Vortag schon entdeckt oder in Erfahrung gebracht hatten. Martin traf ein letztes Mal seinen Vater vor dessen Rückreise. Hans wollte sich auf den Märkten umsehen und noch das eine oder andere aufladen. Er fand eine schöne Tischdecke mit Blaudruck, einen kleinen türkischen Teppich für den Eingang und getrocknete Früchte aus dem Orient.

      »Grüß Mutter und die Geschwister von mir«, sagte Martin, als die Zeit des Abschieds gekommen war.

      »Soll ich deiner zukünftigen Frau auch einen Gruß ausrichten?«, fragte Hans seinen Sohn mit vielsagendem Blick.

      »Vater, lasst dieses leidige Thema. Ich heirate nicht des Geldes und der Beziehungen wegen.« Martin wunderte sich selber über seinen kühnen Ton, aber anders würde sein Vater es nie verstehen.

      Hans schüttelte ärgerlich den Kopf: »Du wirst schon noch zur Vernunft kommen. Mit der Zeit kommt die Liebe, wenn das Leben sorglos ist!«

      Martin verdrehte die Augen, lächelte versöhnlich und winkte seinem Vater hinterher, bis der Wagen um eine Ecke verschwunden war.

      In den folgenden Tagen reisten noch ein paar Nachzügler an. Auch aus anderen Ländern. Latein war dann ihre einzige Verständigungsmöglichkeit. Wer da war, machte sich mit allem vertraut und wurde eingeteilt, im Brauhaus, in der Küche und in den Gastzimmern zu helfen. Martin ging täglich zu seinem Pferd. Er putzte es, kratzte ihm die Hufe aus und lief mit ihm spazieren. Sonnabend, nach dem Gottesdienst, sattelte er seinen Wallach und ritt mit ihm aus den Mauern der Stadt hinaus in die Natur.

      Am Tag des heiligen Georgs, dem 23. April, begann das Semester. Während die Vorlesungen der höheren Semester bereits im alten Halbjahr auf die Dozenten verteilt worden waren, mussten sich die Neuen jetzt in Listen eintragen. Für die meisten Vorlesungen waren Vorlesungsgelder zu entrichten. Martin hatte deshalb aber nicht vor, sich zurückzuhalten, denn sein Vater hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er das Studium nicht in die Länge ziehen sollte. Als er nun im Foyer der artistischen Fakultät stand, kam Johannes Lang auf ihn zu, den Martin bereits von dem kleinen Rundgang durchs Gebäude kannte.

      »Und? Schon das Richtige gefunden? Lang, Johannes Lang, ist mein Name. Ich habe im letzten Jahr angefangen. Wenn ich dir helfen kann?«

      »Oh ja, danke. Ludher, Martin Ludher. Einige Vorlesungen sind schon voll. Ich bin wohl etwas spät dran.«

      »Die Hälfte aller Studenten sind an der artistischen Fakultät. Da erst nach dem Magister dort eins der drei Hauptstudiengänge begonnen werden kann, studieren etwa ein Drittel Theologie, ein Sechstel Jura und nur wenige Medizin. Wofür interessierst du dich?«

      »Jura.«

      »Wenn du es eilig hast, rate ich dir, dich überall auf die Liste zu setzen. Dann hast du die Möglichkeit nachzurücken. Nett, dich kennengelernt zu haben!«

      »Bist du aus Erfurt?«

      »Ja.«

      »Hättest du Zeit und Lust, mir und meinem Freund Alexis gegen eine Kanne Bier die Stadt zu zeigen?«

      »Kein Problem. Um sechs Uhr heute Abend vor der Kirche kann es losgehen!«

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