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wieder zu Slagget. »Das ist ja schlimmer als die Regionalnachrichten. Kommt jetzt noch der Wetterbericht? Vielleicht noch was über Kuchenwettessen oder ein vermisstes Miezekätzchen, das den Weg von Mexiko nach Hause gefunden hat?«

      Slagget setzte sich noch gerader hin und sagte: »Dick Blackshaw, alias Tom Chase, kommt aus 'ner ziemlich isolierten Ecke der Welt. Ich weiß, es ist nicht sehr weit weg von D.C., zumindest per Luftlinie, aber die Leute dort reden anders, leben anders. Sie fischen, jagen, sammeln Austern, Muscheln und Krabben und so'n Zeug. Hatten für ein Weilchen sogar 'ne Schildkrötenfleisch-Industrie. Aber hauptsächlich Meeresfrüchte. Und Wasservögel. Smith und Tangier haben beide jeweils mehrere kleine Weiler, die aber von ziemlich zähen Individuen bevölkert sind. Größtenteils arme, fromme, hart arbeitende Sozialabsteiger, die nur versuchen, über die Runden zu kommen.«

      Chalk war ein Augenbrauenzucken davon entfernt, den Personalbestand seiner Operation mittels kaltblütigen Mordes zu verringern.

      Slagget legte einen Zahn zu. »Dieser Richard Willem Blackshaw also ist als Kind recht unauffällig. Hin und wieder ein paar Begegnungen mit den Bullen auf dem Festland. Nichts Ernstes, bis er aus Vietnam zurückkehrt. Seitdem ist er total hinüber. Ein Paradebeispiel posttraumatischer Belastungsstörung. Versucht sich anzupassen. Heiratet ein einheimisches Mädchen. Sie haben einen Sohn, der noch auf Smith Island lebt. Dick versucht sein Bestes, auf dem Wasser zu arbeiten wie jeder andere auf der Insel auch, aber er ist 'ne Zeitbombe. Gewalttätig, unberechenbares Temperament. Flashbacks, dieser leere, unfokussierte Blick. Alkohol, Drogen vielleicht. Das volle Programm. Passt nicht mehr nach Hause. Wird komisch. Rastet aus und verschwindet. Trifft sich mit ein paar anderen Altgedienten im Veteranen-Krankenhaus. Das war alles vor fünfzehn Jahren. Hat vielleicht alte Kumpels oder Kontakte benutzt, um von der Bildfläche zu verschwinden. Wurde dann zum Söldner, der für den Höchstbietenden arbeitet.«

      Chalk fragte: »Wie hat sich dieser Volldepp im Wolfsspelz in meine Dienste geschummelt? Und wo ist er jetzt?«

      Irgendetwas an dieser ganzen Fantasy-Island-Geschichte ließ es bei Chalk klingeln. Eine Chesapeake-Sanktion. Vor langer Zeit. Ein Kumpel von ihm war beauftragt worden, einen Agenten auszulöschen, der über irgendetwas zu viel wusste und drohte, ein paar Obermotze in den oberen Etagen zu verpetzen. Chalk erinnerte sich, dass sein Kamerad jemanden getötet haben sollte, dass er aber abgezogen wurde, bevor er das angesetzte Ziel ausschalten konnte. Vor fünfzehn Jahren. Ungefähr zu der Zeit, als Blackshaw von der Bildfläche verschwand. Chalk würde ein paar ziemlich staubige Akten durchstöbern müssen, um herauszufinden, warum ihm das alles so bekannt vorkam. Ein starkes Stück, falls der Agent, der damals entkommen war, derselbe Mistkerl war. Wie hoch waren die Chancen? Sie fingen an, ziemlich gut auszusehen. Er würde Black Widow auf den Fall ansetzen. Slagget kam zum Ende. »Trotz etwas Geheimdiensttraining, Special Forces, ist Dick Blackshaw seit 'Nam sein Leben lang ein Versager geblieben.«

      Chalk hob wieder eine Hand, schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Es heißt Vietnam für diejenigen von euch, die nicht die Ehre hatten, dort gedient zu haben.Viet. Nam. Nicht 'Nam. Ihr habt noch in eure Windeln geschissen, als ich bis zu den Augen in Blut, Schlamm, Scheiße und Schlitzaugen gesteckt hab. Sag es richtig. Und sag es mit Respekt.« Hinter seinem Rauchvorhang, dem kampfeslustigen Jingoismus, hatte Chalk keine Probleme damit, unerwähnt zu lassen, dass er seine erste Million damit gemacht hatte, von Vietnam aus Heroin in den Särgen seiner toten Kameraden in die Staaten zu schmuggeln. Manchmal in den Leichen selbst, wenn sie intakt genug waren. Einmal, am Anfang seiner Karriere, war es ihm misslungen, eine Lieferung in den Staaten abzufangen, und fünf Kilo Stoff waren von der trauernden Familie gemeinsam mit ihrem Lieben eingeäschert worden. Soweit er sich erinnern konnte, war es eines der wenigen Male, dass er offen geweint hatte, als er zu spät kam, um die Kremierung aufzuhalten.

      Slagget wirkte beschämt. »Seitdem hat Dick Blackshaw gefährlich gelebt. Nonstop am Rande des Todes als Söldner, mit kurzen Pausen zum Trinken und Rumhuren, bis sein Sold aufgebraucht war. Angola, Tschetschenien, Afghanistan, Kolumbien, Bolivien, Somalia. Wenn ich richtig liege, ist er an irgendeinem Punkt vor ein paar Jahren zur Vernunft gekommen. Wollte nicht mit einer Kugel in Rente gehen. Er fing an, nachzudenken.«

      Chalk grübelte, für den Moment besänftigt. »Du denkst, dieser Vollwichser hat uns abgezockt, damit er als Held nach Hause zurückkehren konnte zu seiner lange überfälligen Hillbilly-Konfettiparade?«

      Slagget blickte zu Clynch, bevor er sagte: »Ja, Mr. Chalk, das denke ich.«

      Chalk dachte einen Moment länger nach und leerte den Rest seines Scotchs.

      »Aufgesattelt, Kameraden. Wir fahren nach Smith Island. Holen uns ein paar Austern. Schauen mal nach, ob Dick Tunichtgut für einen kleinen Plausch zu haben ist. Ansonsten stellen wir seinen Sohn zur Rede, finden raus, was er weiß. Wir müssen das schnell eindämmen. Wir haben zwei Tage, bis alle anfangen, uns den Arsch bis zu den Schulterblättern aufzureißen. Bis dahin müssen wir das Gold und die Blaupausen haben und alle glücklich machen. Vermasseln wir das, sind wir tot, schlicht und einfach. Mausetot.«

      KAPITEL 10

      Dunkle Wellen wogten in einer dunklen Nacht. Schaumkronen erschienen wie aus dem Äther in der heulenden Ferne. Miss Dotsy ächzte unter zweieinhalb Tonnen Fracht, für die sie nicht gebaut war. Sie pflügte durch die Wellen, anstatt über sie hinwegzugleiten. Mit nur einer zerstörerischen Breitseite konnte sie volllaufen und der Nantucket Lance auf dem Meeresgrund Gesellschaft leisten. Ellis stand am Steuer. Ben hatte ein Auge auf die Ladung, für den Fall, dass sie rutschen sollte. Er hielt außerdem nach anderen Booten Ausschau. Bisher hielt ihr Glück an.

      Ellis sagte: »Wird in drei Stunden hell. Irgendein Plan?«

      Ben zögerte, Knocker Ellis gegenüber zu viel auszuplaudern. Der Sortierer war ein verschlossenes Buch, eine absolut unbekannte Größe. Ben hatte Ellis niemals nach Dick Blackshaw gefragt und Ellis hatte auch nie von ihm angefangen. Er war nicht der Typ, der bei einem Bier Geschichten aus der Vergangenheit ausplauderte. Und ganz sicher war er kein Klatschmaul. Es kam ihm vor, als hätte Ellis gewusst, wer die Leiche war, bevor Ben es ihm sagte. Und an diesem speziellen Tag an diesem speziellen Austernfelsen zu arbeiten, war Ellis' Vorschlag gewesen. Ellis hatte zu viele Geheimnisse. Fürs Erste sagte Ben ihm nur, wohin sie unterwegs waren, und nicht mehr. »Deep Banks Island.«

      Bei dem Gedanken an ihr Ziel rümpfte Ellis die Nase.

      Ben lächelte schwach. »Japp. Die Reiherkolonie dort stinkt zum Himmel. Jahrzehnte altes Guano. Außer Vogelkundlern geht dort um die Jahreszeit keiner hin. Und nicht bei dem Wetter. Nicht bis zur Weihnachtszählung.«

      Ellis setzte Kurs in Richtung Norden. Er beäugte die Ladung. »Wir haben hier mindestens drei Probleme, vor denen wir den Kopf in den Sand stecken.«

      Ben musste seine Stimme über den Motor und den Wind erheben. »Welches zuerst? Die volle Menge Gold? Dein Anteil? Die Bombe? Ich denke, wir können es mit Sicherheit Bombe nennen.«

      Ellis lächelte. »Warum nehmen wir das verdammte Ding mit nach Deep Banks Island? Ich dachte, du magst die Natur … als großer Seemann und so weiter. Wie ich das sehe, wird's mit der Bombe an Bord keine Anteile außer denen von Atomen geben.«

      Erschöpft sprach Ben mit zusammengebissenen Zähnen: »Ellis, ich arbeite daran.«

      Deep Banks Island lag nördlich des Martin-Wildtierschutzgebietes, welches die nördliche Landmasse des Smith-Island-Archipels ausmachte. Ben navigierte durch ein chaotisches Wirrwarr aus Meerengen und Strömen in das Herz der Insel. Da Miss Dotsy so tief lag, konnte sie kaum die kleineren, flachen Wasserwege befahren, wie Ben es wollte. Schließlich sah er etwas, das wie ein totes Bäumchen im Schlamm aussah, direkt vor Miss Dotsys Backbordseite. Miss Dotsy lag nun mehr oder weniger auf Grund, da sämtliche Vorwärtsbewegung aufgehört hatte und ihr Propeller nur noch Schlammwolken am Heck aufwirbelte. Er stellte den Motor ab. Sie saßen einen Moment schweigend da und lauschten, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit und ihre Ohren an die Stille gewöhnt hatten. Jäger wussten, dass man den Sinnen erlauben musste, sich nach einem Wandel in der unmittelbaren Umgebung neu zu kalibrieren. Der Motor knisterte und

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