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ahnendes Gefühl prophezeit mir nichts Gutes!«

      Langsam verließ er das Zimmer, schritt durch den weiten Hausflur und öffnete die Haupttür des Hauses. Der große Platz lag noch in den Schatten der Nacht eingehüllt, und die Laterne, die an einem langen eisernen Arm neben der Tür angebracht war, verbreitete noch einen hellen Lichtschein. Als sich der alte Mann wieder in das Innere des Hauses zurückziehen wollte, trieb der Zugwind, der durch das Öffnen der Tür entstanden war, ein Stück Papier von der Straße heran. Neugierig bückte sich Kaleb zur Erde und hob es auf.

      »Was ist das?«, sprach er leise und trat unter die Laterne, um den Fund näher zu untersuchen. »Ein Stück von einem Anschlagzettel«, fuhr er beruhigt fort, als er die großen gedruckten Buchstaben sah; »wahrscheinlich hat sich ein Mutwilliger den Spaß gemacht, ihn von der Ecke unseres Hauses abzureißen, wo in der Regel die Bekanntmachungen der Behörden angeklebt werden. Wollen doch sehen, was er enthält.

       Eine Belohnung von dreitausend Dukaten wird dem zugesichert, welcher dem Generalkommando den Verfasser der Schmähschrift ›Die Jesuitenkrone‹ dergestalt zur Anzeige bringt, dass er zur Rechenschaft gezogen werden kann.

      Dreitausend Dukaten für eine Anzeige! Ich habe gestern schon davon gehört, allein ich wollte es nicht glauben. Die Verführung zur Verräterei ist wahrlich groß; ich bin ein eifriger Verehrer der gesetzlichen Ordnung, aber zu solchen Verlockungen sollten deren Vertreter die Steuern der Untertanen nicht verwenden; das ist ein Judaslohn, der hier ausgelobt wird! Hätte ich den Zettel an unserm Haus erblickt, ich hätte ihn ebenfalls abgerissen. Aber wissen möchte ich doch, was diese Schrift so Unerhörtes enthält, dass man eine solche Summe darauf setzt – sie muss entweder Lügen verbreiten oder Wahrheiten, die man fürchtet, und eine Regierung sollte doch die Wahrheit nicht fürchten!«

      Der Greis hatte sich so tief in sein Selbstgespräch versenkt, dass er einen einfach gekleideten Mann, der schon seit einigen Minuten aus dem Dunkel an ihn herangetreten war und ihn belauscht hatte, nicht bemerkte. In dem Augenblick, als Kaleb kopfschüttelnd in das Haus zurückkehren wollte, vertrat ihm der Fremde den Weg.

      »Sie wollen wissen, was jene Schmähschrift enthält«, sprach der Mann, »auf deren Verfasser man eine Belohnung ausgesetzt hat? Ich kann es Ihnen sagen.«

      »Mein Herr«, rief Kaleb erschrocken, »wer sind Sie, dass Sie es wagen …?«

      »Erschrecken Sie nicht, alter Freund, mich leitet keine böse Absicht. Das Libell beschuldigt die Krone, dass Sie sich der Jesuiten bedient habe, das Volk in geistiger und körperlicher Knechtschaft zu halten; es entdeckt Frevel und Verbrechen, die in den Klöstern und Staatsgefängnissen verübt worden sein sollen; es stachelt das Volk zu offenem Aufstand an, die Vergangenheit durch den Umsturz des Thrones zu rächen und die durch die letzte Revolution errungenen Freiheiten zu sichern und auszudehnen. Es bemüht sich ferner zu beweisen, dass die Krone nicht aufrichtig gesinnt ist, dass sie die Fäden der Reaktion bereits wieder gesponnen hat und das arme Volk im passenden Augenblick durch einen furchtbaren Schlag in den Abgrund der Knechtschaft zurückschleudern will. Diese Anklagen, mein Freund, enthält die fragliche Schrift. Soviel man bis jetzt ermittelt hat, ließ sie der General B., der mit einem Teil seiner Truppen zum Volk übergetreten ist, vor der Eroberung der Hauptstadt im ganzen Land verbreiten, um zur Erreichung des angegebenen Zwecks die Provinzen für sich zu gewinnen; allein das Los der Waffen hat bereits zu seinem Nachteil entschieden. Obgleich durch Truppenmacht gesichert, ist der Monarch in der öffentlichen Meinung dennoch schwer gekränkt, und aus diesem Grund legt man ein so großes Gewicht auf die Entdeckung des Verfassers.«

      Das anständige Äußere des Fremden und der freundliche, belehrende Ton, mit dem er sprach, hatten den alten Kassierer abgehalten, sich zu entfernen; neugierig hörend war er an der Schwelle der Tür stehen geblieben.

      »Ist es möglich«, rief er erstaunt, »dass man solche Beschuldigungen gegen die Krone erheben kann? Es ist ja doch nur Verleumdung, nicht wahr? Aber welchen Zweck verfolgen Sie, mein Herr, dass Sie hierherkommen und mir dies alles sagen?«

      »Ich verfolge durchaus keinen Zweck«, antwortete der Fremde gleichgültig; »ich ging hier vorbei, hörte zufällig Ihr Selbstgespräch und wollte nur Ihre Neugierde befriedigen.«

      »Danke, mein Herr! Demnach ist der Verfasser jenes Libells ein Anhänger des Generals?«

      »Die Umstände bestätigen diese Vermutung.«

      »Ich bedaure den armen Mann«, sprach Kaleb.«

      »Warum?«, fragte der Fremde rasch. »Haben Sie ihn gekannt?«

      »Nein, ich habe ihn nicht gekannt, aber das Volk kenne ich, dessen Sache der General so töricht war, zu verfechten.«

      »Der General war ein braver Mann, der von den Soldaten und vom Volk allgemein geachtet und geliebt wurde.«

      »Er war, sagen Sie, mein Herr? Ist er im Kampf gefallen, oder hat man ihn heimlich erschossen?«

      »Nein, mein Freund«, erwiderte der unbekannte Mann, »noch ist er am Leben; aber er ist gefangen und soll diesen Morgen als Hochverräter vor ein Kriegsgericht gestellt werden.«

      »Vor ein Kriegsgericht«, rief Kaleb und schauderte unwillkürlich zusammen. »Man wird nicht wagen, ihn zum Tode zu verurteilen.«

      »Und warum?«

      »War es nicht der General, der den Pöbel in der verhängnisvollen Zeit durch sein Ansehen im Zaum hielt? War er es nicht, der das Leben und das Eigentum des Bürgers schützte und der Anarchie entgegenwirkte? War er es nicht, der das Ansehen der Gesetze zu erhalten suchte, während der Monarch und seine Minister die Hauptstadt verließen, statt ihre Pflicht zu erfüllen und durch Nachgiebigkeit sowohl als durch Strenge den Frieden wiederherzustellen? Mir scheint, er hat durch das, was man ihm zum Verbrechen anrechnet, mehr der Regierung als dem Volk genützt – ich kann es nicht glauben, dass man ihn zum Tode verurteilt!«

      »Aber das Kriegsgericht wird ihn zum Tode verurteilen«, sprach der Fremde, indem er dem Kassierer des Herrn Hubertus näher trat und den Ausdruck seines Gesichtes scharf beobachtete.

      »Aber was werden seine Freunde dazu sagen?«, antwortete Kaleb. »Wie man sagt, hat er deren viele, sowohl in den höheren Ständen als unter den Bürgern. Außerdem gehört er auch einer Familie an, deren Angehörige sich seit langer Zeit in der Nähe des Thrones befanden und wichtige Staatsämter bekleideten – sollten diese nichts zu seiner Rettung unternehmen?«

      Der Fremde schwieg einen Augenblick und sah den alten Mann prüfend an. Dann antwortete er mit leiser Stimme:

      »Man wird etwas zur Rettung des Generals unternehmen; wollen Sie dabei hilfreiche Hand leisten?«

      Kaleb fuhr überrascht zurück.

      »Wie«, rief er, »ich soll dabei helfen?«

      »Sprechen Sie leise, lieber Freund«, sagte der Fremde und sah sich vorsichtig um; »sprechen Sie leise, dass uns niemand hört!«

      »Mein Herr«, fragte Kaleb, der sich von seinem Erstaunen nicht erholen konnte, »was kann ich dabei tun?«

      »Der General befindet sich als Gefangener in dem Staatsgefängnis, das an Ihre Fabrik grenzt.«

      »Ist es möglich!«

      »Man weiß, dass ein unterirdischer Gang vorhanden ist, der das Gefängnis mit den Kellern dieses Hauses verbindet. Der Gang ist im letzten Krieg verschüttet worden, er kann aber in wenigen Stunden wieder geöffnet und so als Rettungsweg für den General benutzt werden. Wenn sich nun zwei vertrauensvolle Männer mit einem verabredeten Erkennungszeichen, die sie als von Freunden des Generals ausgesandt kennzeichnen, bei Ihnen einstellten, würden Sie ihnen wohl Zutritt in Ihre Keller gestatten? – Setzen Sie einen Preis auf diesen Dienst, auch wenn er noch so hoch ist.«

      »Mein Herr«, antwortete Kaleb, dessen Verwunderung den höchsten Grad erreicht hatte, »ich bin nur ein Diener in diesem Haus; darum ersuche ich Sie, meinem Herrn diesen Vorschlag zu machen. Wenn Sie wollen, werde ich Sie zu ihm führen.«

      »Das ist unnütz!«

      »Hat

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