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      Nein, er würde niemals die Flinte ins Korn werfen, freiwillig jedenfalls nicht: Wie immer, wenn er Dampf ablassen mußte, so stürzte sich Johannes auch jetzt in die Landwirtschaft. Nur hier konnte er halbwegs vergessen, und es war ihm, als lasse er die Sorgen, die ihn vor allem der Kinder wegen quälten, einfach in der Stube zurück. Aufs Feld wollte er fahren, mit den beiden Kühen, die er vor den Wagen mit dem gewaltigen Jauchefaß spannen würde. Er liebte diese Arbeit, liebte den Geruch, der seiner Meinung nach nur solche, die von der Landwirtschaft nichts verstanden, zum Rümpfen ihrer vornehmen Nasen bringen konnte, und er liebte es auch, wieder einmal seine neuartige Jaucheanlage bedienen zu können, die schließlich sein ganzer Stolz war.

      Wie lange hatte er an dieser Erfindung gebastelt! Hatte sich des Nachts sein Hirn zermartert, nur um den anderen wieder einmal ein kleines Stückchen voraus zu sein. Doch es hatte sich gelohnt – niemand in der ganzen Gegend besaß heute eine vergleichbare Anlage, deren Fortschrittlichkeit im Grunde doch nur auf einer ganz einfachen Idee beruhte: Johannes hatte nämlich Mist- und Jaucheanlage nicht in die ebene Erde gebaut, sondern dazu einen Hang hinter seinem Haus ausgewählt. Ein großer Vorteil war dabei, daß er das natürliche Gefälle ausnutzen konnte, um sein Jauchefaß zu füllen: Während die anderen Bauern, die er kannte, allesamt ihre Fässer mit handbetriebenen Pumpen füllen mußten, brauchte er lediglich einen Ablauf zu öffnen und die wenigen Minuten abzuwarten, bis sein Faß vollgelaufen war. Die Erfindung hatte jedoch noch einen weiteren Pluspunkt, der nach Ansicht des stolzen Erbauers mindestens ebenso hoch einzuschätzen war wie der erste: Statt nämlich wie üblich den Mist oberhalb der Jauchegrube zu lagern, war Johannes umgekehrt vorgegangen und hatte aufgrund der Hanglage beide Gruben in Stufenform errichtet, wobei in diesem Fall die für die Jauche etwas höher zu liegen kam. Das hatte den enormen Vorteil, daß die Flüssigkeit, die den Höchstpegel überstieg, durch einen Überlauf auf den Mist abfließen und ihn dadurch besonders deftig machen konnte. Durch die versetzte Lage der beiden Gruben war aber trotzdem für freien Zugriff auf eine jede von ihnen gesorgt.

      Wie sehr erfüllte ihn diese Erfindung mit Stolz, und wie gerne zeigte er sie jedem, der nur halbwegs sein Interesse an einer Besichtigung bekundete! Nein, ihm, Johannes, konnte man wirklich nicht vorwerfen, daß er sich den Aufgaben der Zukunft verschloß, er war schon immer für den Fortschritt gewesen – nur seinem Einsatz hatte es Kleeberg zu verdanken, daß es weit und breit die einzige Sähmaschine besaß und seine Bauern mittlerweile bereits auf zwei Ringelwalzen zurückgreifen konnten, die den Boden besonders kleinkrumig machten und damit beste Voraussetzungen für eine gute Ernte schafften!

      Als Johannes heute jedoch an seinem Jauchefaß lehnte, ließ selbst das sonst so beruhigende Geräusch der plätschernden Jauche nur wenige solcher angenehmen Gedanken aufkommen: dann rieben, als sicheres Zeichen, daß er alles andere als ruhig war, plötzlich sogar die Finger seiner linken Hand aneinander, und mit einemmal war da wieder, wie ein Busch, der die ganze Zeit über lediglich vom Frühnebel verdeckt worden war, Franz in seinem Kopf, klar und deutlich war da Franz und immer wieder Franz, der vielleicht gerade in diesem Moment mit den großmäuligen Brüdern in Berlin redete.

      Auch seinem Widersacher aus dem Steinbruch hatte er vor einiger Zeit die neue Anlage gezeigt, und hier, so mußte er sich im nachhinein eingestehen, war es eigentlich nur darum gegangen, ihn zu ärgern und neidisch zu machen. Er konnte sich das leisten, hatte er immer gedacht, was sollte der kleine untersetzte Mann mit dem verbissenen Gesichtsausdruck und dem für die kurzen Beine viel zu großen Schritt ihm auch schon anhaben können? Johannes hatte sich gründlich getäuscht. Seit die Nazis an der Macht waren, hatte offenbar ein jeder die Möglichkeit, sich wichtig zu tun, wenn nur sein Mundwerk groß genug war. Und daß Franz gerade diese Voraussetzung erfüllte, das hätte Johannes eigentlich wissen müssen. Aber er hatte es nicht wahrhaben wollen, hatte nicht glauben können, daß ein Mensch ihn so sehr haßte! Nur Agnes, die kluge Agnes, hatte ihn immer wieder vor Franz gewarnt: »Paß auf Johannes«, hatte sie zu ihm gesagt, »der Franz, der führt nichts Gutes im Schilde, der wird die Gunst der Stunde jetzt nutzen!« Und so war es auch Agnes gewesen, die seinerzeit, als Johannes der Gemeinde angeblich mehrere Holzpfähle gestohlen haben sollte, gleich seinen alten Gegner dahinter vermutete. Denn Franz war in Kleeberg binnen kürzester Zeit zum Sprachrohr des Ortsgruppenleiters Vollmer geworden, der es Johannes niemals verzeihen würde, daß er nicht gleich wie die anderen Bürgermeister in die Partei eingetreten war. Johannes war ein weißer Fleck auf der braunen Weste von Vollmer, und diesen wegzuwaschen, war dem ehrgeizigen Pg darum jeder Anlaß recht. So auch die Geschichte mit den Holzstangen, die ihm, wie sich später herausstellte, tatsächlich Franz zugetragen hatte. Verschwiegen hatte der gute Mann dabei nur, daß Johannes, bevor er die Pfähle schlug, der Gemeinde die gleiche Anzahl von Holzstangen aus seinem eigenen Bestand geliehen hatte, was er sich nun vom Förster schriftlich bestätigen ließ. Ein andermal sollte Johannes einem der beiden Gastwirte im Ort genehmigt haben, während der nationalsozialistischen Kundgebung am 1. Mai einen Tanz zu organisieren. Sicher, wenn er ihn nur gefragt hätte, Johannes wäre wahrscheinlich der letzte gewesen, der sein Anliegen abgelehnt hätte: allmählich begann ihm nämlich das immer gleiche Spiel bereits Spaß zu machen, doch hatte der Mann leider niemals bei ihm vorgesprochen. Trotzdem aber hatten sie den Ortsgruppenleiter gemeinsam davon zu überzeugen, daß alles nur Lug und Trug war, wobei der die Wahrheit wahrscheinlich von Anfang an kannte.

      Und gerade weil er ihm immer wieder zeigte, daß er ihn im Visier hatte, mußte Vollmer eigentlich auch wissen, daß Johannes niemals ein Blankopapier unterschreiben würde, so wie diese Lebensbescheinigung, mit der er angeblich einer lieben Nachbarin einen Gefallen hatte tun wollen. Wieder einmal steckte Franz hinter der Intrige, der, dieses Mal, um jemanden ins Feld zu führen, dem man mehr glauben würde als ihm selbst, behauptet hatte, der ehemalige Bürgermeister Schuster habe die Angelegenheit aufgedeckt. Falsch eingeschätzt hatte er dabei nur das Verhältnis zwischen Johannes und seinem Vorgänger: Schuster wie auch die Nachbarin bescheinigten gerne, daß alles erstunken und erlogen war – auf Wunsch von Johannes natürlich wieder in höchst offizieller und schriftlicher Form, denn seiner Ansicht nach zählten mündliche Worte wenig in einer Zeit, in der schon hergelaufene österreichische Handwerksburschen etwas zu sagen hatten. Franz hatte also schon wieder eine empfindliche Schlappe erlitten, und Johannes verstand zu wenig von Psychologie, um wie Agnes gleich zu begreifen, daß die Gefahr, die von seinem Erzfeind ausging, dadurch nicht kleiner geworden war. »Wie steht er nun da vor den anderen Pgs, vor Vollmer?« machte sie aus ihrer Sorge keinen Hehl, »Franz wird die Scharte, die du ihm beigebracht hast, irgendwie auszuwetzen versuchen!« Und Agnes war klar gewesen, daß er dies nur tun konnte mit einer Aktion, die sämtliche Niederlagen mit einem Schlag wegwischen würde. Daß er allerdings gleich nach Berlin fahren würde, daran hatte auch sie nicht gedacht, und Johannes, der wußte, daß er sich bei der Arbeit auf dem Feld heute mächtig ins Zeug zu legen hatte, um die immer größer werdende Besorgnis vielleicht doch noch zu verdrängen, durfte ihr deshalb keinen Vorwurf machen.

      Zwei Tage später war Franz wieder da. Erzählte solchen, von denen er wußte, daß sie es Johannes wiedererzählen würden, er wäre zwar nicht beim Führer, dafür aber bei Göring gewesen. Johannes´ Zeit wäre jetzt abgelaufen, dafür hätte er endlich gesorgt. Schon bald käme er da hin, wo sie alle hinsteckten, die das Maul zu weit aufrissen. Als Johannes von dem Gerede erfuhr, mußte er tatsächlich ein wenig schmunzeln: »So, dann komme ich also weg! Dann bestellt dem Franz doch mal, er kann mir das ruhig selber sagen. Jetzt, wo er gewonnen hat!« Da atmete auch Agnes erleichtert durch. Sicher, daran hätte sie gleich denken sollen: ein Mensch wie Franz würde es sich niemals nehmen lassen, seinen Erfolg Johannes persönlich ins Gesicht zu sagen. Es war ausgestanden, Franz hatte schon wieder – diesmal hoffentlich endgültig – verloren. Und in diesem Moment war es ihr völlig egal, ob er nun versuchte, diese Schlappe in einen Sieg umzumünzen.

      Der Tag, der wie die letzten mit dunklen Wolken über den Gemütern begonnen hatte, er endete in einem kleinen Fest: am Abend gab es Eierkäse und Weißbrot, und wenngleich Agnes dazu schon ihren herrlichen Pfefferminztee gekocht hatte, der nur zu ganz besonderen Anlässen auf den Tisch kam, so gönnten sich Johannes und sie später, als die Kinder im Bett waren, außerdem noch ein Glas von ihrem selbstgemachten Johannisbeerwein, der eigentlich immer nur denen vorbehalten war, die – todtraurig, weil sie ein Aufgebot bestellten, das keineswegs nach ihrem Sinne war, oder überglücklich, weil sie endlich den

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