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sie hinaus. Der „Hund von einem Hugenotten“ und sein Kumpan mußten gefunden werden!

      Don Lope konnte es noch immer nicht richtig fassen, was geschehen war. Nie hätte er das für möglich gehalten, und doch war es passiert: Die beiden Gefangenen waren am Vorabend auf die dreisteste Weise ausgebrochen und spurlos verschwunden. Der Zeitpunkt war höllisch geschickt gewählt: bei Sonnenuntergang, als die Arbeiten am Festungsgraben der Landseite wegen der einbrechenden Dunkelheit eingestellt wurden.

      Die beiden Kerle waren einfach in den Wassergraben gesprungen und weggetaucht. Sie hatten sich von der Strömung aus dem Festungsbereich wahrscheinlich bis an den Strand treiben lassen. Die Katastrophe war nur, daß es sich bei den Kerlen nicht um x-beliebige Hafenstrolche handelte. Die sollten bleiben, wo der Pfeffer wuchs. Nein, es handelte sich um den höchst verdächtigen ketzerischen Hugenotten, der als Erster Offizier auf der deutschen Karavelle „Goldene Henne“ fuhr, und um einen Mann aus dieser Crew.

      Don Lope knirschte heftig mit den Zähnen. Er empfand den Handstreich, mit dem die beiden Kerle sich befreit und abgesetzt hatten, als eine persönliche Schmach und Erniedrigung. Ausgerechnet der Hugenotte, dachte er immer wieder, mögen ihn die Alligatoren zerreißen!

      Aber nein – auch das war nicht die richtige Lösung. Er brauchte den Kerl lebend. Denn diesen Hugenotten namens Jean Ribault hatte der englische Bootsmann O’Leary als einen Kumpan des englischen Piraten Killigrew erkannt. Don Lope de Sanamonte brauchte Jean Ribault. Er hatte sich vorgenommen, ihn zunächst durch Zwangsarbeit zu zermürben und ihm dann mittels der Methoden des peinlichen Verhörs den Rest zu geben. Ribault mußte ausspucken, was er wußte. Und er würde ihn, Don Lope, zu dem Schlupfwinkel des Seewolfs führen.

      Nur dieses eine Ziel hatte de Sanamonte vor Augen. Er würde „El Lobo del Mar“ nicht nur vernichten und sich an ihm und seiner Brut rächen. Mehr, viel mehr! Er würde vom König persönlich für seine Tat belobigt und befördert werden und das Kopfgeld kassieren, das für die Ergreifung des Schnapphahns Killigrew ausgesetzt war. Obendrein würde er, Don Lope de Sanamonte, auch noch die Schätze sicherstellen, die dieser Oberbastard an sich gerissen hatte. Kein Zweifel, man würde den Kommandanten von St. Augustine wie den Retter und Erlöser der Menschheit feiern!

      Doch das Ziel schien in weite Ferne gerückt zu sein. Die Suchtrupps kehrten nach und nach zurück. Ihre Anführer konnten nur Negatives vermelden, eine Fehlanzeige nach der anderen. Es gab keine Spuren, keine Hinweise. Entweder hatte der Sumpf die Entflohenen verschlungen, oder aber sie waren über das Meer davongesegelt. Beides erschien Don Lope jedoch absurd. Wo also, zum Teufel, hielten sie sich versteckt?

      Don Lope tobte.

      „Ihr Bastarde!“ schrie er die Soldaten und Wärter an. „Unfähige Säcke! Bewegt euch! Ihr müßt die Hunde finden!“

      „Señor Kommandant“, sagte einer der Soldaten, ein Teniente. „Wir haben alles versucht, was in unseren Kräften steht. Die Kerle sind schon zu weit entfernt.“

      Mit zornfunkelnden Augen blickte Don Lope den Mann an. „So? In welche Richtung sind sie denn verschwunden?“

      „Das weiß ich nicht, Señor.“

      „Keine Ahnung, wie?“ stieß Don Lope angriffslustig hervor. „Aber das große Wort führen, nicht wahr? Sie marschieren sofort wieder mit ihrem Trupp los!“

      „Jawohl, Señor“, sagte der Teniente, dann wandte er sich ab und führte seine Soldaten aus der Festung ins Freie – vorbei an den Schaulustigen, die sich über die verbissenen Gesichter der Soldaten zu amüsieren schienen.

      Don Lope de Sanamonte stelzte auf dem Hof auf und ab. Es ließ ihm keine Ruhe: Die Fahndung mußte Erfolg haben. Er wollte und mußte diesen Mann, diesen Hugenotten, haben, stellte dieser doch den Schlüssel dar, über ihn an den berüchtigten Seewolf und dessen Schlupfwinkel – wo immer der sich auch befinden mochte – zu gelangen.

      Mit Philip Hasard Killigrew hatte Don Lope de Sanamonte auch ein ganz persönliches Hühnchen zu rupfen. Schließlich war es dieser Bastard gewesen, der St. Augustines Schatzkeller bereits einmal ausgeplündert hatte. Nie würde Don Lope vergessen, welche Schmach und Schande der Hund von einem Engländer ihm seinerzeit zugefügt hatte. An die damalige Jagd auf ihn konnte Don Lope nur noch mit Grausen denken. Es hätte auch nicht viel gefehlt, und er wäre damals als Fort-Kommandant abgelöst worden.

      Nur allzu verständlich war es also, daß de Sanamonte alles daransetzte, den entlaufenen Hugenotten und dessen Kumpan wieder einzufangen. Alle verfügbaren Kräfte zog der Kommandant an diesem Morgen zusammen – auch die Aufseher über die Sklavenarbeiter am Wehrgraben. Er stellte sie zu immer neuen Suchtrupps zusammen. Alle Trupps, die erfolglos in die Festung zurückkehrten, wurden sofort erneut auf den Marsch geschickt.

      Die Arbeit am Wehrgraben war jetzt zweitrangig. Die Gefangenen blieben in ihren Zellen im Fortgefängnis. Don Lopes Anweisungen an die Suchtrupps waren knapp und präzise: Jean Ribault sollte lebend eingebracht, sein Fluchtkumpan erschossen werden. Mit diesem zweiten Kerl mochten die Soldaten und Aufseher verfahren, wie sie wollten – Don Lope war es egal. Falls es sich so ergab, verpaßten sie ihm ganz einfach eine Kugel. Oder sie erschlugen ihn. Don Lope brauchte diesen Kerl nicht.

      Hatte man in der Nacht St. Augustine selbst bei der Suche nach den Flüchtlingen auf den Kopf gestellt, so wurde jetzt, bei Tageslicht, die Umgebung abgeforscht und durchgekämmt. Dies war längs der Küste nach Norden und nach Süden durchaus möglich, aber nicht im westlichen Hinterland, das aus sumpfigem Urwald bestand und völlig unzugänglich war. Kein Mensch traute sich in diese malaria- und alligatorenverseuchte Wildnis. Sie war giftig und tödlich.

      Don Lope de Sanamonte hielt es für völlig ausgeschlossen, daß die beiden Kerle in diese Hölle geflüchtet sein könnten. Er brauchte nur an die Panzerechsen und die giftigen Schlangen dort zu denken, dann schauderte es ihn.

      „Dort brauchen wir nicht zu suchen“, sagte Don Lope barsch, als einer der Soldaten, ein Sargento, die Sprache darauf brachte. „Die Hunde müßten ja verrückt sein, wenn sie sich dort verkriechen würden.“

      Der Sargento, ein graubärtiger Mann namens Bonano, der schon viele Erfahrungen in Florida und anderen Bereichen der Neuen Welt gesammelt hatte und seit vielen Jahren hier seinen Dienst tat, wandte ein: „Aber wenn sie sich ein Boot geschnappt haben, Señor? Ich könnte mir denken, daß das gar nicht so schwierig wäre.“

      „Das Denken überlassen Sie am besten mir, Sargento“, kanzelte ihn Don Lope, der sowieso keinen Widerspruch duldete, ab. „Die Hunde sind nicht lebensmüde. Sie wollen sich weder das Wechselfieber holen noch von Schlangen gebissen werden. Die verstecken sich sonstwo, aber nicht in den Sümpfen.“

      „Ja, Señor“, erwiderte Bonano. Aber er dachte: Leck mich doch.

      Damit war der durchaus gute und logische Hinweis Bonanos vertan. Die Trupps schwärmten aus und wandten sich nord- und südwärts entlang der Küste.

      Es waren nicht eben wenige Spanier, die jetzt wieder unterwegs waren. Fort St. Augustine wurde im wahrsten Sinne des Wortes von seiner Besatzung entblößt. Don Lope de Sanamonte hatte sich inzwischen davon überzeugt, daß wieder mal – wie üblich – außer ihm alle anderen Idioten waren. Er übernahm selbst den Oberbefehl über den zweiten Teil der Suchaktion und beschloß, den nordwärts suchenden Soldaten zu folgen, um im richtigen Moment zur Stelle zu sein und zuzupacken.

      Denn seiner Meinung nach waren Jean Ribault und dessen Spießgeselle in genau diese Richtung geflohen – nach Norden. Der Grund? Der nördliche Bereich des Umlandes war eher als „Niemandsland“ zu bezeichnen als die südliche Küstengegend von St. Augustine. Das mochten auch die beiden Entflohenen wissen oder zumindest ahnen. Don Lope war sicher, sich in seiner instinktiven Beurteilung der Lage nicht zu täuschen.

      Ein Pferd wurde für den Kommandanten, gesattelt. Mit schroffer Stimme gab Don Lope wieder seine Befehle. Zwei Melder, ein Sargento und zwei Soldaten – also fünf Mann – begleiteten ihn, natürlich ebenfalls zu Pferde.

      Ziemlich umständlich hievte sich Don Lope de Sanamonte in den Sattel des Pferdes. Wie lange war es her, daß er zum letzten Mal geritten war?

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