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werden. Damit der Druck auf das Notruder nicht so stark wurde, segelte die „Mercure“ nur noch mit den Marssegeln. Eine größere Belastung auf das Notruder hielt sie nicht aus. Delamotte hatte das angeordnet, denn er wollte nicht ausgerechnet vor der Haustür noch einmal einen Ruderbruch riskieren.

      Das Land rückt näher. Deutlich waren jetzt der Einschnitt und die vorspringende Landzunge an Steuerbord zu erkennen. Auf der Backbordseite lag die bretonische Hafenstadt Brest.

      Luke Morgan wurde von dem französischen Steuermann Alain Duval abgelöst, der es lebhaft bedauerte, daß die Seewölfe bald von Bord gingen.

      Aber Capitaine Delamotte bedauerte es noch mehr, denn die handfesten Kerle waren ihm ans Herz gewachsen. Seit sie an Bord waren, wehte auf der „Mercure“ ein frischer Wind, der den Staub von allen Decks geblasen hatte.

      „Bei Gott“, sagte er zu dem Kutscher, zu Ed, Ferris Tucker und Luke Morgan, „ich hätte euch nach England gebracht, dieser kleine Umweg wäre kein Problem gewesen. Aber ich kann es nicht. Wenn ihr jedoch an Bord bleiben wollt, bis ein neues Ruder angeschlagen ist, dann würde mich das freuen.“

      „Keine Sorge, Capitaine“, sagte Ferris lachend. „Das mit dem Ruder dauert mindestens eine Woche, wenn nicht länger. Unsere Kameraden warten aber sicher schon lange auf uns, und wir selbst wollen so schnell wie möglich hinüber. Jack kennt hier ein paar Leute, und irgend jemand wird uns hinüberbringen.“

      „Ihr könnt das Beiboot der ‚Mercure‘ nehmen und …“

      Ferris winkte ab.

      „Ihr habt nur das eine, Capitaine, das andere hat der Sturm zerschlagen, und ihr braucht es selbst. Nein, wir gehen nachher an Land und sehen uns dort um. Wir finden schon etwas. Wir haben uns immer durchgeschlagen, und die Strecke, die vor uns liegt, ist nur ein Spaziergang.“

      „Aber einen zünftigen Abschiedstrunk werdet ihr mir nicht verweigern? Ihr seid genau die Kerle, die ich an Bord behalten möchte. Es fällt mir unendlich schwer, euch gehen zu lassen.“

      Carberry nickte hastig.

      „Zellawie“, sagte er, was soviel hieß wie: So ist das Leben.

      Delamotte blickte ihn irritiert an, dann nickte auch er, obwohl er nicht sicher war, was der Profos meinte, aber es klang jedenfalls nicht nach einem französischen Fluch.

      „Abschied feiern wir selbstverständlich“, sagte der Kutscher, „das ist Ehrensache. Aber jetzt juckt es uns doch mächtig, unsere Kameraden wiederzutreffen.“

      Delamotte verstand das, und vor seinem geistigen Auge sah er die anderen Kerle vor sich, wie sie sich tapfer gegen eine Übermacht durchgeschlagen hatten. Wenn die erst einmal in England waren, dann hatte sich die Teufelscrew wieder zusammengefunden, dachte er. Am liebsten hätte er seine „Mercure“ im Stich gelassen und wäre mitgesegelt. Unter halbgeschlossenen Lidern musterte er jeden einzelnen noch einmal.

      Rudergänger waren das, wie er sie noch nie erlebt hatte. Die hatten seine Galeone mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit gesegelt. Sie hatten sich an Bord Respekt verschafft und ihn in gefährlichen Situationen so beraten, daß er sich manchmal fragte, wer hier eigentlich der Capitaine an Bord war. Dann der Mann, den sie immer den Kutscher nannten. Ein hochintelligenter Bursche, der in allen Lagen seinen Mann stand und in der Kombüse Sachen zauberte, bei denen sogar der französische Koch erblaßte.

      Oder Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann. Das war ein Kerl, der aus alten Brettern ein neues Schiff baute. Ein Notruder? Kein Problem. Das hatte er gleich zusammengebaut, während seine eigenen Kerle noch kinnkratzend und überlegend vor den Trümmern standen.

      Jeder einzelne von diesen Kerlen war sein Gewicht in Gold wert, ob das der Schwede war, Blacky, Luke Morgan, Bill oder der Mann mit der Hakenprothese, Jeff Bowie. Und Finnegan und Rogers, die waren auch nicht ohne. Und dann dieser Profos, dachte er weiter. Der hob alles aus den Angeln, notfalls die ganze Welt. Nur – ja, da war sein Französisch, aber das schmälerte natürlich nicht seine Leistungen als Seemann.

      Delamotte grinste unwillkürlich, wenn er an die gepflegte Salonsprache dachte und daran, was Carberry daraus gemacht hatte. Die meisten kniffen schon aus, wenn er nur wohlwollend zu ein paar Brocken ansetzte. Und wenn er gar in dieser Sprache fluchte, dann wurden seine Franzmänner blaß, und es zog ihnen die Stiefel aus. Etliche hatten in ihrer Verzweiflung lieber Englisch gelernt, um dem Profos vorzubeugen. Doch auch das hatte diesen Klotz nicht angefochten, er meinte es sei ganz gut, wenn jeder die Sprache des anderen spräche, wegen der völkerverbindenden Verständigung und so.

      Jetzt würde er diese Teufelskerle bald los sein, und das versetzte ihm einen leichten Stich. Wenn die erst einmal von Bord waren, dann fehlte hier etwas. Es war so, als würde seine Galeone nur noch mit einem geknickten Mast segeln.

      Aber des Profos „Zellawie“ war schon richtig, so war das Leben nun einmal. Alles ging irgendwann einmal zu Ende.

      Delamotte seufzte tief, dann nickte er ihnen noch einmal zu und stieg den Niedergang zum Achterdeck hoch.

      „Der ist richtig gerührt“, meinte Ed, „wenn er mein Französisch hört. Aber ich habe auch ganz schön gebüffelt. Habt ihr gesehen wie seine Augen tränen, wenn ich mich mit ihm in seiner Sprache unterhalte? Er kriegt dann einen ganz verschleierten Blick.“

      „Kein Wunder“, sagte der Kutscher ernst. „Das hat man oft bei Herzanfällen. Der Blick wird glasig, und der Mensch entschwebt schon in eine andere Sphäre. Dann steht er meist kurz vor dem Tod.“

      „Glaubst du etwa, er ist herzkrank?“ fragte Carberry besorgt.

      Das infame Grinsen in den Gesichtern seiner Kameraden sah er nicht, denn die blickten jetzt krampfhaft zum Land hin, einerseits, weil der Kutscher dem Profos ungerührt etwas unter die Weste schob und andererseits, weil Ed restlos von sich überzeugt war, was seine Sprachkenntnisse betraf.

      „Jetzt nicht mehr, der Anfall ist schon vorüber. Delamotte gesundete sofort, sobald du aufgehört hast, seine Sprache zu versauen.“

      „Zu versauen?“ knurrte Ed erbost. „Was verstehst du hirnkranker Glasaal schon von gepflegter Salonsprache!“

      Paddy Rogers blickte verständnislos von einem zum anderen. Er wurde das Gefühl nicht los, daß die beiden jetzt gleich mit den Fäusten aufeinander losgingen, doch zu seinem Erstaunen geschah das nie, obwohl einer den anderen auf die übelste Art und Weise beleidigte. Auch unterwegs hatte er das schon oft erlebt. Die beiden warfen sich beleidigende Ausdrücke an den Kopf, aber danach waren sie wieder ein Herz und eine Seele.

      Langsam schob sich die Galeone auf die Reede von Brest zu, bis das Wasser ruhiger wurde und sie nur noch leicht dümpelte.

      Am Nachmittag legte sie zwischen vielen anderen Schiffen an einem hölzernen Kai an.

      Am Abend desselben Tages fand die Abschiedsfeier statt, und Delamotte hielt eine lange Lobrede auf die Seewölfe. Dann wurde bester französischer Rotwein gelenzt, und das ging bis tief in die Nacht hinein. Für die Seewölfe der Tucker-Gruppe war es die letzte Nacht an Bord der französischen Handelsgaleone „Mercure“.

      2.

      Der Abschied von Delamotte und seiner Crew, mit der sie immerhin seit dem Mai 1592 zusammen gesegelt waren, fiel allen schwer.

      Während die „Mercure“ schwerfällig zur Werft verholte, klangen immer noch Abschiedsworte herüber. Die Kerle winkten begeistert, die Seewölfe winkten ebenso begeistert zurück.

      Dann standen sie an der langen Pier, zehn Männer, ein bunt gewürfelter Haufen Kerle, und der klotzigste von ihnen hatte einen farbenprächtigen Papagei auf der Schulter hocken.

      Sie fielen auf. Überall drehten sich die Leute am Hafen nach ihnen um oder blieben stehen, um die wilde Schar anzustarren.

      Die Sonne war aufgegangen und tauchte die Hafenanlagen in gleißendes Licht. Es versprach ein warmer Tag zu werden.

      „Seewölfe ohne Schiff“, sagte Luke.

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