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miserabel. Denn im Normalfall wurde ein Mann, der im Sturm außenbords ging, unweigerlich und ohne die leiseste Aussicht auf Rettung abgetrieben.

      Aber wenn ein Edwin Carberry gegen die Gewalt der anrollenden Wellen kämpfte und ein Philip Hasard Killigrew ihm wie vom Teufel gehetzt entgegenschwamm, dann war das eben alles andere als ein Normalfall.

      Es wurde knapp, sehr knapp.

      Zum zweitenmal spürte Hasard, wie das Tau steifkam, aber er brauchte Ed Carberry nur eine Armlänge zu überbrücken. Das tat er mit einer letzten, verzweifelten Anstrengung. Im nächsten Moment klammerte er sich ebenfalls an das Tau, keuchte und prustete, während Hasard die kurze Leine vom Gürtel löste, mit der sie sich aneinanderbinden konnten.

      Das war auch nötig. Denn bei dem Einholmanöver ließ sich nicht vermeiden, daß die beiden Männer unterschnitten, und nur zu leicht konnte einer von ihnen das Bewußtsein verlieren.

      „Hölle und Verdammnis!“ fluchte der Profos los. „Wenn ich den Kerl erwische, der mir den Knüppel zwischen die Beine geworfen hat, zieh ich ihm die Haut in Streifen …“

      „Futterluke dicht!“ schrie Hasard über den heulenden Sturm weg. „Himmelarsch, haben die Kerle Datteln auf den Augen, oder wollen sie uns baden?“

      „Keine Sicht!“ keuchte Carberry überflüssigerweise.

      „Schlaukopf!“ Hasard spuckte Salzwasser aus. Als die nächste Woge sie emportrug, riß er winkend beide Arme hoch, und jetzt endlich schienen die Männer an Bord zu begreifen, daß er den Profos längst sicher hatte.

      Das Tau ruckte an.

      Wasser schlug über Hasards Kopf zusammen, und er fragte sich, wie viele Männer sie da eigentlich hereinzogen und ob sie vorhatten, sie wie Katzen zu ersäufen. Aber das mörderische Tempo war notwendig. Gegen den Seegang mußten sie unterschneiden, und da von der „Isabella“ aus nicht zu unterscheiden war, ob zwei wache oder bewußtlose Männer am Tau hingen, zählte jede Sekunde.

      Ed Carberry hatte noch Luft genug für einen Fluch, bei dem es ein Wunder war, daß der wolkenverhangene Himmel nicht errötete.

      Hasard sparte seinen Atem, bemühte sich, mit dem Kopf oben zu bleiben, und fand nebenbei noch Zeit zu der Festellung, daß das Heulen und Orgeln des Sturms etwas nachgelassen hatte. Oder bildete er sich das nur ein, weil er schon nicht mehr klar denken konnte? Er wußte es nicht, und er kam auch nicht mehr dazu, darüber nachzudenken.

      Etwas Dunkles flog auf ihn zu.

      Treibholz. Vielleicht auch ein Trümmerstück von der Marsrah der „Isabella“, das ein Brecher über Bord gespült hatte. Was auch immer – auf jeden Fall war es hart. Das merkte der Seewolf genau in der Sekunde, in der ihn das Ding am Kopf traf.

      „Wahrschau!“ röhrte Ed Carberry, doch auch er hatte die Gefahr zu spät erkannt.

      Hasard spürte nur noch den Schlag am Schädel, sah einen prächtigen bunten Funkenregen, der dem besten chinesischen Feuerwerk um nichts nachstand – und dann fühlte er überhaupt nichts mehr.

      Die portugiesische Karracke „Lisboa“ taumelte in der steilen Dünung wie eine kranke Kuh.

      Krank war sie auch – sterbenskrank, wenn man es genau nahm. Der Ruderbruch zu Beginn des Unwetters hatte ihr den Todesstoß versetzt. Fast gleichzeitig waren die backschlagenden Sturmsegel in Fetzen gegangen. Zu allem Übel krachte auch noch die Großrah an Deck, fegte zwei Mann über Bord und erwischte das Brooktau einer Culverine. Die Kanone hatte sich dann beim nächsten Überholen losgerissen, das Schanzkleid durchbrochen und einen weiteren Mann mit ins nasse Grab genommen. Die „Lisboa“ wurde zum Spielball der Elemente, und es grenzte an ein Wunder, daß sie nicht längst gekentert war.

      Jetzt begann der Sturm allmählich abzuflauen.

      Die steile Dünung konnte der Karracke immer noch zum Verhängnis werden, deshalb schufteten die Männer wie besessen, um irgendwelche Fetzen als Notsegel anzuschlagen. Mit den Segeln zu steuern, war zwar ein mühseliges Unterfangen, aber es reichte immerhin, das Schiff am Querschlagen zu hindern, was hieß, daß sie es mit der Nase schräg an den Seegang bringen mußten. Denn vor dem Wind herlaufen konnten sie nicht – es sei denn, sie hätten Wert darauf gelegt, ein Loch in die südamerikanische Küste zu bohren.

      Der Capitan auf dem Achterkastell bekreuzigte sich und schickte ein Dankgebet zum Himmel, ein etwas verfrühtes Dankgebet, wie sich wenig später herausstellen sollte.

      Sturm und Pech zusammengenommen hatten den Portugiesen für ein paar Stunden die Hölle auf Erden beschert. Sie waren völlig erschöpft, am Ende ihrer Kräfte, und keiner von ihnen hatte mehr den Nerv, die aufgewühlte See ringsum zu beobachten.

      Viel zu spät sichteten sie die von achtern aufsegelnde Karavelle.

      Ein schriller Warnruf ließ den Capitan herumfahren. Aus schmalen Augen starrte er dorthin, wo das fremde Schiff schon erschreckend nah war. Vermutlich ein Spanier, dachte er hoffnungsvoll und zog das Spektiv auseinander.

      Minuten später wußte er, daß es sich bei der Karavelle auf keinen Fall um ein spanisches Schiff handelte.

      Das Holzkreuz unter dem Bugspriet fehlte. Außerdem gab es viel zu viele hellhaarige Männer an Bord, deren zerlumptes, verwahrlostes Äußeres auf einem Schiff Seiner Allerkatholischsten Majestät Philipp II. niemals geduldet worden wäre. Der Captain biß die Zähne zusammen. Nicht, daß er dem Allerkatholischsten Philipp grenzenlose Sympathie entgegengebracht hätte – die Vereinigung von Portugal und Spanien war auf portugiesischer Seite durchaus nicht freiwillig erfolgt. Aber ein spanisches Schiff wäre nichtsdestoweniger ein Verbündeter gewesen, und alles andere konnte bei dem desolaten Zustand der „Lisboa“ nicht viel Gutes bedeuten.

      Die Karavelle segelte beängstigend schnell auf.

      „Klar Schiff zum Gefecht!“ befahl der Portugiese erbittert.

      Dabei wußte er verzweifelt genau, daß die manövrierunfähige „Lisboa“ kein Gefecht überstehen würde, und wenig später bestätigten sich seine schlimmsten Befürchtungen.

      Auf der Karavelle rasselten die Geschützpforten hoch.

      Sie würde angreifen. Die Portugiesen wußten, daß sie keine Chance hatten, aber sie dachten nicht daran, kampflos aufzugeben.

      2.

      Philip Hasard Killigrew hustete, würgte und spuckte einen Schwall Seewasser aus – mehr Seewasser, als seiner Meinung nach in einem menschlichen Magen Platz haben konnte. Aber zu dieser Erkenntnis reichte es erst etwas später.

      Vorerst war er vollauf damit beschäftigt, gegen das Brennen seiner Lungen zu kämpfen, gegen das nur langsam nachlassende Gefühl des Erstickens – und gegen diese verdammte Bande von Piraten, Spaniern oder sonstwelchen Gegnern, die über ihn hergefallen waren, ihn gepackt hielten und wie einen Bettsack schüttelten.

      Der Seewolf war noch halb bewußtlos, und deshalb tat er, was er immer tat, wenn sich jemand erdreistete, mit ihm Ball zu spielen.

      „Au!“ brüllte Ferris Tucker erbittert.

      „Uuuhh!“ röhrte Smoky und krümmte sich zusammen, weil er einen Tritt erwischt hatte. „Nun laßt doch schon los, ihr Hammel“, sagte Ben Brighton kopfschüttelnd.

      Hasard landete auf den Planken, warf sich herum und wollte hochschnellen, um den Piraten, Spaniern oder sonstigen Gegnern an die Kehle zu fahren. Mit dem Hochschnellen klappte es allerdings nicht so schnell, weil in seinem Schädel eine von Ferris Tuckers Höllenflaschen zu explodieren schien. Der Seewolf fiel zurück. Bevor er die Nachwirkung der Höllenflasche überwunden hatte und zu einem neuen Angriff ansetzen konnte, klärte sich sein Blick.

      Keine Spanier, keine Piraten, überhaupt keine Gegner. In dem Nebel vor seinen Augen tanzten vertraute Gesichter. Hasard erkannte seinen Bootsmann und Ersten Offizier Ben Brighton, den Decksältesten Smoky, den hünenhaften rothaarigen Schiffszimmermann. Und wie einen Bettsack geschüttelt hatten sie ihn natürlich, weil

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