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José de Larras Augen glänzten ein wenig, aber es war nichts Flackerndes in seinem Blick. Nur seine Mundwinkel zuckten leicht. Wieder, wie so oft während der letzten Tage, fragte Serafin sich, ob er wirklich schwachsinnig geworden oder doch noch im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte war.

      „Was fällt dir ein, einfach so einzutreten?“ fuhr Don Mariano ihn an. Seine Stimme klang brüchig nach all den Entbehrungen, aber sie hatte nichts von ihrer Kälte verloren. „Du weißt genau, daß das nicht einmal einem Offizier dieses Schiffes zusteht, geschweige denn einem Decksmann.“

      „Es gibt keine Offiziere mehr“, sagte Serafin. „Und die Chusma, das gemeine Schiffsvolk, wie Sie es nennen, ist auf drei Mann zusammengeschrumpft. Es ist sinnlos, noch Ordnung und Disziplin aufrechterhalten zu wollen.“

      „Wie ist dein Name?“

      „Serafin.“

      „Serafin, Señor!“ schrie Don Mariano. „Den Señor Captitán hast du vergessen, du Hund, und ich werde dich deshalb und dafür, daß du das Anklopfen vergessen hast, auspeitschen lassen.“ Er fuhr hoch. „Verschwinde! Ich will dich hier nicht mehr sehen!“

      Serafin trat noch einen Schritt auf ihn zu. „Ich bleibe. Und wenn du bis heute nicht weißt, wer Serafin ist, Mariano José de Larra, dann lernst du ihn jetzt kennen.“

      „Du hast mich in meiner wichtigsten Arbeit gestört!“ brüllte der Kapitän ihn an. „Scher dich weg! Fort, oder ich …“

      Serafin hatte nur einen raschen Blick auf das aufgeklappte Buch geworfen, das auf der polierten Platte des Pultes lag. Jetzt sah er wieder dem glatzköpfigen Mann in die Augen und schnitt ihm das Wort mitten im Satz ab. „Das verdammte Logbuch! Du und deine elenden Niederschriften, de Larra! Dein Buch ist die Bibel des Satans, und dein Fanatismus und dein Wahn haben uns alle in die Verdammnis gestürzt!“

      „Wie sprichst du mit mir, du Bastard?“

      „So, wie wir alle schon lange mit dir hätten reden sollen“, erwiderte Serafin. „Lange, bevor der Skorbut und das Gelbfieber unsere Kameraden wie die Fliegen sterben ließen.“

      „Ich verbiete dir …“

      „Nein! Ich lasse mir von dir keine Befehle mehr erteilen, Satanskapitän! Santanás, so haben wir dich getauft, und von jetzt an werden wir dich herumkommandieren – wir, Serafin, Joaquin und Domingo.“

      „Meuterei“, stieß Don Mariano keuchend aus. „So weit ist es also auf diesem Schiff gekommen. Die offene Rebellion ist ausgebrochen, die Revolte der Narren.“ Er griff mit der rechten Hand zur Radschloßpistole. Ein Ruck, und er hatte sie aus seinem Gurt gerissen, hob sie hoch und versuchte, sie auf Serafin in Anschlag zu bringen und gleichzeitig den Hahn zu spannen.

      Deutlich sah Serafin, wie die Hand des Kapitäns bebte.

      Serafin brauchte sich nur noch vorzubeugen, um den hageren Glatzkopf zu packen. Über das kostbare Nußbaumholzpult hinweg schossen seine Arme, seine Hände griffen nach beiden Gelenken des Kapitäns. Er zerrte sie hoch und hielt sie fest. Die Radschloßpistole zielte jetzt auf die Balkendecke. Don Mariano brüllte auf. Er trachtete, wenigstens den linken Arm loszureißen und mit der Faust nach dem Aufsässigen zu schlagen, aber Serafin blockierte jeden Widerstand. Der Griff seiner Fäuste glich einer eisernen Umklammerung.

      „Schluß mit dem Widerstand, de Larra. Drück ab, wenn du willst. Deine Kugel wird keinen Schaden anrichten.“

      „Dafür wirst du mir büßen!“

      „Ergibst du dich jetzt freiwillig?“

      „Laß mich los! Laß mich los!“

      „Du hast mich immer noch nicht verstanden“, sagte Serafin, und dann schrie er ihm ins Gesicht: „Bist du verrückt? Sag mir, ob du Teufel wirklich durchgedreht bist oder ob du nur so tust!“

      „Ich bin der letzte Mann, den du in deinem Leben beleidigt hast, Bastard, denn ich werde dich töten“, keuchte Don Mariano.

      „Wirf die Pistole weg!“ befahl Serafin.

      „Niemals!“

      „Ich befehle es dir! Ich führe von jetzt an das Kommando, und du bist nur noch ein dreckiger kleiner Deckshund!“

      „Lieber sterbe ich!“

      „Jawohl“, stieß Serafin grimmig hervor. „Aber bevor du verreckst, begleitest du mich auf die Kuhl. Dort wirst du unserem armen Freund Esteban den letzten Segen erteilen, denn du bist der einzige hier an Bord, der sich mit den Gebeten und allem, was dazugehört, auskennt.“

      „Werft den Kerl so in die Bucht.“

      Serafins dunkle Augen waren plötzlich von einem tödlichen Funkeln erfüllt. „Esteban hat ein Begräbnis mit allen seemännischen Ehren verdient, denn er war ein guter Kamerad. Du wirst eine Rede halten, de Larra, wie du auch die Totenmesse für die anderen armen Teufel gehalten hast, die wir den Haien zum Fraß überlassen mußten.“

      „Es war nicht meine Schuld, daß sie starben.“

      „Du hättest unseren Kurs besser bestimmen und festlegen müssen!“

      „Hätte ich auch die Stürme wegkehren können?“

      „Laß die Pistole los“, forderte Serafin noch einmal. „Oder soll ich sie dir mit Gewalt abnehmen?“

      Don Mariano José de Larra winkelte plötzlich sein linkes Bein an. Er hatte genügend Abstand vom Kapitänspult, um das Knie hochziehen zu können. Mit aller ihm noch zur Verfügung stehenden Kraft drückte er gegen die Kante des Möbels. Es kippte um und stürzte Serafin entgegen.

      Das Logbuch und alle anderen Utensilien wie der Federkiel und das Tintenfäßchen fielen zu Boden. Das Pult drohte mit seiner Kante genau auf Serafins nackte Füße zu krachen. Serafin stieß einen Fluch aus und wich zurück. Er mußte Don Mariano notgedrungen dabei loslassen.

      Der Kapitän gab einen triumphierenden Laut von sich. Seine beiden Arme waren frei. Bevor der schwarzbärtige Mann wieder zufassen konnte, senkte er die Pistole, zielte auf den Kopf des dreisten Widersachers und krümmte seinen Zeigefinger um den Abzug.

      Don Marianos Augen waren in diesem Moment weit aufgerissen, sein Blick starr auf Serafins Gesicht gerichtet. Ein höhnisches Lächeln verzerrte seine Lippen.

      „So stirbt ein verfluchter Meuterer!“ schrie er.

      Dann drückte er ab. Der Schuß brach donnernd in dem niedrigen Raum. Die Feuerlanze, die auf Serafins Haupt zustach, war in dicken weißen Qualm gebettet.

      Der Seewolf hatte die große Landkarte ausgebreitet und ihre vier Ekken mit Gegenständen beschwert, damit sie sich nicht wieder zusammenrollen konnte: mit einer Radschloßpistole und einer Miqueletschloßpistole aus seiner privaten Sammlung, mit dem goldenen Kreuz des Malteserordens, das ihm seinerzeit auf Malta geschenkt worden war, und mit einem großen smaragdbesetzten Armreif, der von den Chibcha-Indianern in Neu-Granada stammte.

      Die Karte lag auf dem Boden von Hasards Kammer ausgebreitet, weil sie für das Pult zu groß war. Der Seewolf hatte sich auf dem Rand seiner Koje niedergelassen und einen Ladestock zur Hand genommen.

      Philip junior und Hasard junior, die Zwillinge, hatten sich links und rechts der Landkarte auf die Planken gekauert. Sie gaben sich Mühe, ihre ganze Aufmerksamkeit den Eintragungen auf der Karte zu widmen. Philips Interesse galt zwar eher den Pistolen und dem wunderschönen goldenen Malteserkreuz, aber er hütete sich, damit herumzuspielen. Er wußte genau, daß er in dem Fall sofort mit dem Ladestock was auf die Finger kriegte.

      „Dad“, sagte Hasard junior in diesem Augenblick. „Du hast diese Karte wirklich ganz allein gezeichnet?“

      „Ja, das habe ich euch doch vorhin schon erklärt.“

      „Aber wie kann man die Welt auf ein Blatt Papier malen, wenn man kein Vogel ist und sie aus der Luft betrachten kann?“ fragte Philip.

      Der Seewolf atmete tief durch. Er holte zu einer Antwort aus, aber Hasard

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