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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 399. Burt Frederick
Читать онлайн.Название Seewölfe - Piraten der Weltmeere 399
Год выпуска 0
isbn 9783954398072
Автор произведения Burt Frederick
Жанр Языкознание
Серия Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Издательство Bookwire
Es wollte Cubera nicht in den Kopf, daß es die zweimastige Schaluppe gewesen sein sollte, die aus dem Dunkel heraus ihre beiden Angriffe gefahren und die Ruderanlagen der „San José“ und der „Gaviota“ zerschossen hatte. Wenn es sich aber tatsächlich so verhalten hatte, dann waren die Gründe dafür mehr als schleierhaft. Warum, in aller Welt, sollte so ein Zwerg zehn schwerarmierte Kriegsschiffe angreifen, von denen schon jedes einzelne ihm haushoch überlegen war?
Sollte diese verrückte Vermutung dennoch zutreffen, konnte es sich bei der Besatzung des Zweimasters nur um Wahnsinnige oder um Lebensmüde handeln.
Don Garcia Cubera stand vor einem Rätsel. Was sich in dieser ersten Stunde des 20. Juli 1594 ereignet hatte, war in seiner Laufbahn als Seeoffizier ohne Beispiel. Er hatte selbst die tollkühnsten Angriffe geleitet und auch die waghalsigsten Angriffe von Gegnern erlebt. Doch er konnte in seinem Erinnerungsschatz soviel herumkramen, wie er wollte, es ließ sich nichts darin finden, was mit dem soeben Erlebten zu vergleichen war.
Cubera wußte jedoch, daß er über allem Herumrätseln die Fakten auf keinen Fall vergessen durfte. Dabei stand an erster Stelle die Tatsache, daß sein Flaggschiff und die „Gaviota“ manövrierunfähig und somit äußerst verwundbar waren.
Ein anderer Gedanke durchzuckte ihn: Was, wenn es den Schiffszimmerleuten wider Erwarten doch nicht gelang, die Ruderschäden zu beheben? Beide Schiffe würden dann zur Werft in Havanna zurückkehren müssen. Mußte das aber zwangsläufig bedeuten, daß das Unternehmen gegen den Seewolf mit nur acht Schiffen fortgesetzt wurde?
Schwere Entscheidungen standen in jedem Fall bevor.
Capitán Cuberas Ruhe auf dem Achterdeck wurde so unvermittelt gestört, daß er versucht war, einen Fluch auszustoßen.
Einer der Lakaien des Gouverneurs erschien mit vernehmlich schweren Schritten auf dem Steuerbordniedergang. Die mit prachtvollen Stickereien besetzte Montur des Mannes funkelte im schwachen Laternenlicht. Als er das Achterdeck erreichte, wandte er sich um und streckte hilfreich beide Hände aus.
Rosige Wurstfinger reckten sich von unten hoch und griffen zu. Der Lakai stemmte sich gegen die Planken und zog mit aller Kraft. Es war anzunehmen, daß ihn seine Kollegen am unteren Ende des Niedergangs unterstützten, indem sie das Lebendgewicht ihres Dienstherrn aufwärts stemmten.
Prustend und schnaufend erschien Don Antonio de Quintanilla in voller Leibesfülle im Blickfeld des Verbandsführers. Daß die eigenen Beine diesen Koloß noch zu tragen vermochten, war schon ein Wunder. Cubera verzog ärgerlich die Mundwinkel und konnte nicht umhin, sich den Dicken vorzustellen, wie er in ein paar Jahren in einer Sänfte durch die Gegend getragen wurde – wenn er sich nicht vorher überfraß und nach einem allzu üppigen Mahl den letzten Schnaufer tat.
Doch einen solchen Tod hatten ihm seine Feinde bislang vergeblich an den Hals gewünscht. Daran, daß es einige gab, die ihm ein möglichst baldiges Herzversagen gönnten, zweifelte Cubera nicht. Er hatte von Anfang an geahnt, zu welcher hinterlistigen Sorte dieses schwabbelnde Schwergewicht gehörte. Das verdeutlichten allein schon die stets flinken und dabei verschlagenen Augen, die hinter wulstigen Tränensäcken fast verschwanden.
Schon auf mehrere Schritte Entfernung wehte Cubera der betäubende Duft des Puders entgegen, mit dem de Quintanilla seine Perücke und das prunkvolle Wams einzustäuben pflegte. Sein Doppelkinn wogte bei jedem Schritt auf und ab. Drei Lakaien waren es diesmal, die seinen Begleitschutz bildeten.
Capitán Cubera stieß sich von der Heckbalustrade ab, trat einen Schritt vor und baute sich breitbeinig auf, indem er die Fäuste in die Hüften stemmte. Bei aller äußerlichen Lächerlichkeit, die von dem Koloß ausging, vergaß Cubera doch eines nicht: De Quintanilla verfügte auf Kuba nach wie vor über uneingeschränkte Macht. Zwar berührten seine Kompetenzen keineswegs die Admiralität, der Cubera unterstand, doch jeder halbwegs intelligente Mensch vermochte sich vorzustellen, auf welchen verschlungenen Wegen ein Mann vom Schlage dieses Gouverneurs seine Machtinteressen durchzusetzen verstand.
All das änderte aber nichts an Cuberas festem Vorsatz, sich von de Quintanilla nicht länger wie ein dienstbeflissener Lakai behandeln zu lassen.
Don Antonios Gesicht war schweißnaß und dunkelrot. Er keuchte, während er heranwatschelte und schließlich vor dem Capitán stehenblieb. Sein tonnenförmiger Bauch hob und senkte sich bei jedem Atemzug.
„Ich bin nicht bereit, diesen Saustall eine Minute länger zu ertragen“, sagte Don Antonio mit einer Stimme, die vor Ärger fast schrill klang. Er holte tief Luft, bevor er weiterredete. „Ich verlange, daß Abhilfe geschaffen wird. Sofort! Auf der Stelle! Haben Sie mich verstanden, Cubera?“
„Nein“, erwiderte der Capitán kalt.
Don Antonio sperrte den Mund auf, und er sah dabei aus wie ein fetter alter Karpfen, dem man das Wasser aus dem Teich abgelassen hat.
„Wie war das?“ ächzte er und blinzelte dabei.
„Ich sagte, daß ich nicht verstanden habe, von was Sie reden, Gouverneur.“ Capitán Cubera lächelte kaum merklich. „Wenn Sie die Güte haben, sich deutlicher auszudrücken, können wir Ihr kleines Problem sicherlich lösen.“
„Kleines Problem?“ rief de Quintanilla erbost. „Eine Riesenschweinerei ist das! Kein Mensch scheint es hier an Bord nötig zu haben, für Ordnung zu sorgen. Nennen Sie das etwa Disziplin? Ich verlange, daß in der Kapitänskammer sofort die zersplitterten Bleiglasfenster ersetzt werden. Niemand kann mir zumuten, daß ich in einem Raum wohne und schlafe, in dem es so fürchterlich zieht. Auch die vielen Glassplitter liegen noch herum. Die müssen ebenfalls sofort weggeräumt werden.“
Cubera glaubte, nicht richtig zu hören. Wie würde sich dieser Fettsack erst in einem richtigen Gefecht verhalten? Da würde er wahrscheinlich verlangen, daß man ihm die zum Salon umgebaute Kapitänskammer mit Watte polsterte, damit seine zarten Öhrchen den Geschützdonner nur gedämpft ertragen mußten.
„Haben Sie sonst noch Wünsche?“ fragte der Capitán eisig.
Don Antonio blinzelte abermals.
„Was fällt Ihnen ein?“ keifte er. „Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“
Cubera konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ich wäre sicherlich überfordert, wenn ich das versuchen wollte. Nun zu Ihrem Anliegen bezüglich der Fenster und der Glassplitter: Sie werden sich noch eine Weile gedulden müssen. Es gibt nämlich Arbeiten, die zur Sicherheit des Schiffes absoluten Vorrang haben. Sofort bei Tageslicht soll die Reparatur der Ruderanlage beginnen. Dazu werden jetzt die Vorbereitungen getroffen. Ich kann keinen einzigen Mann erübrigen.“ Letzteres entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber Cubera dachte nicht daran, auf die Nörgeleien des Fettsacks einzugehen.
Don Antonios Doppelkinn sackte weg, und er starrte den Capitán an – entgeistert, mit offenem Mund. Sein Atem roch süßlich, nach den kandierten Früchten, die er zum Zeitvertreib in sich hineinzustopfen pflegte.
„Das – das ist – Befehlsver…“, setzte Don Antonio schwer atmend an.
„Kein Wort mehr“, unterbrach ihn Cubera schneidend. „Über die Frage, welche Entscheidungsbefugnisse ich als Kapitän dieses Schiffes und als Verbandsführer habe, haben wir uns bereits ausführlich unterhalten. Wenn Ihnen die Zugluft so überaus unangenehm ist, dann siedeln Sie in die freie Kammer über, in der Sie Ihr Baljen-Bad genommen haben. Sie haben fünf Lakaien, genügend Hilfskräfte also, die Ihnen das neue Quartier herrichten können.“
Die Livrierten verzogen das Gesicht.
„Das kann nicht Ihr Ernst sein“, sagte Don Antonio, und seine Stimmlage war unvermittelt in Ratlosigkeit und Verzweiflung umgeschlagen. „Sie wollen mir doch nicht etwa zumuten …“
„Es ist keine Zumutung“, fiel ihm Cubera erneut ins Wort. „Die Sicherheitsbelange des Schiffes haben absoluten Vorrang. Wir befinden uns augenblicklich in erhöhter Gefechtsbereitschaft.