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John, der karmesinrote Aracanga, hockte auf der linken Schulter seines allgewaltigen Herrn Edwin Carberry und knabberte zärtlich an dessen Ohrläppchen herum – aber nur so lange, bis es dem Profos zu bunt wurde.

      Carberry hob mit einem unterdrückten Fluch die rechte Hand und schickte sich an, den frechen Papagei von seiner Schulter zu scheuchen. Sir John reagierte jedoch gedankenschnell, flatterte auf und schwang elegant bis zu Bill in den Großmars empor. „Rübenschweine, Affenärsche!“ zeterte er aufgebracht. Dann ließ er sich auf der Segeltuchumrandung der Plattform nieder und spähte mit dem Moses zusammen aufmerksam in die Bucht, die sich vor ihren Augen öffnete.

      Bill beobachtete durch den Kieker und sah die ganze Landschaft wie zum Greifen nah vor sich, auch die schneegekrönten Zwillingsgipfel der Insel, die seines Wissens über viertausend Yards hoch waren.

      Bill ließ seinen Blick wieder tiefer gleiten und über den Strand der Bucht wandern, bis hin zu dem zerstörten Pfahlbautendorf und den Booten, die wie von einer gigantischen Macht bis ins Dickicht jenseits der Uferzone geschleudert worden waren.

      Tsunami, die Riesenwelle!

      Welch ungeheure Macht sie hatte, das hatten die Seewölfe vor Nihoa, der am weitesten nordwestlich liegenden Insel des Archipels, erlebt. Sie hatten abgewartet, bis die Tsunami sich ausgetobt hatte, um dann weiter nach Süden abzulaufen und nach der Insel zu suchen, von der aus sie damals die sagenhafte Manila-Galeone aufgebracht hatten.

      Hawaii.

      So nannten die Polynesier die große Insel. Wie sich herausgestellt hatte, waren die geographischen Berechnungen des Seewolfs wieder einmal richtig: Zwar war die Inselgruppe von den Europäern offiziell noch nicht „entdeckt“ und daher auch nicht genau erforscht, aber die Behauptung Hasards, Nihoa gehöre zu demselben Archipel wie auch Hawaii, Maui und Oahu, hatte sich als Tatsache bestätigt. Mit Wind aus Nordwesten war die „Isabella“ zunächst auf südöstlichen Kurs gegangen und hatte Oahu an ihrem östlichen Ufer passiert. Als dann am Tag darauf der Pailolo-Kanal zwischen Molokai und Maui erreicht war, war jeder Zweifel beseitigt: Hier hatte ja seinerzeit die denkwürdige Schlacht zwischen der „Isabella“, dem schwarzen Segler und der Galeone des Ciro de Galantes stattgefunden, bei der de Galantes den kürzeren gezogen hatte.

      Hasard hatte den Kanal nicht durchquert wie damals, sondern war mit jetzt wechselnden Winden weiter nach Südosten gesegelt. Er hatte Maui im Süden runden wollen, um an das flachere Westufer von Hawaii zu gelangen, hatte aber vor dem plötzlich steif aus Süden blasenden Wind kapitulieren müssen. So hatten sie die Insel im Osten gerundet und eine recht stürmische Nacht hinter sich, in der sie gegen den weiterhin schralenden Wind hatten kreuzen müssen. Am frühen Morgen hatten sie jedoch mit Ostwind Ka Lae, das Südkap von Hawaii, umrundet und waren anschließend hoch am Wind auf Nordkurs gegangen.

      „Meine Güte, Hasard“, sagte Siri-Tong soeben. „Hättest du das gedacht – daß wir nach so langer Zeit wieder hierher zurückkehren würden?“

      Der Seewolf hatte seine Hände auf die Schultern seiner Söhne gelegt und lächelte versonnen. „Ich hatte nicht gewagt, es zu hoffen“, entgegnete er. „Aber jetzt kann ich es kaum erwarten, Zegú, den König von Hawaii, Thomas Federmann und all die anderen wiederzusehen. Dieses Pfahlhüttendorf am Ufer der Bucht – es war damals noch nicht da.“

      „Nein, ich glaube nicht.“

      „Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Insulaner ihre geschützte Siedlung im Inneren der Insel aufgegeben haben, um hierher, an die Bucht, zu ziehen.“

      „Vielleicht wurde dieses Dorf zusätzlich errichtet“, sagte die Rote Korsarin. „Vielleicht ist der Stamm inzwischen gewachsen, und – nun ja, vielleicht benötigen die Leute ganz einfach größeren Lebensraum.“

      „Du meinst, es könnte noch andere neue Dörfer geben, die über ganz Hawaii verteilt sind?“

      Sie nickte. „Ich kann es mir gut vorstellen.“

      „Ich auch“, sagte nun Carberry. „Wenn ich mich nicht irre, sind seit unserem letzten Besuch gut zehn Jahre vergangen. Und in zehn Jahren passiert so allerlei.“ Er grinste plötzlich. „Hölle, wie viele kleine Kinder mögen da wohl geboren worden sein?“

      „Ed“, mischte Dan O’Flynn sich ein. „Darf ich dich berichtigen? Wir schreiben jetzt den Monat März des Jahres 1590.“

      „Das weiß ich doch, du Stint!“

      „Schön, und deshalb liegt die Geschichte mit der Manila-Galeone eben nur sechs Jahre zurück.“

      „Ach …“

      „Ja, Edwin, Dan hat recht“, meinte Siri-Tong mit dem Anflug eines Lächelns. „1584 – das war das Jahr, in dem wir zusammen die ‚Santa Ana‘ überfielen. Im übrigen dürfte dies aber auch in der Bordchronik festgehalten sein.“

      Carberry kratzte sich verlegen am Kinn und legte den Kopf ein wenig schief, was bei ihm immer ein Zeichen für angestrengtes Nachdenken war. „Bordchronik, Madam?“ wiederholte er verdutzt.

      „Schon gut, Ed“, sagte der Seewolf. „Siri-Tong meint das Logbuch von damals.“

      Carberry blickte ziemlich betroffen drein, und ihm fehlten die Worte, was sonst eigentlich selten passierte.

      Dan O’Flynn wollte schon eine seiner bissigen Bemerkungen über des Profos’ Gesichtsausdruck fallenlassen, da sagte sein Vater, der alte Donegal Daniel O’Flynn: „Soso, das Logbuch von damals. Steht da auch was über die niedlichen kleinen Mädchen drin, die hier ’rumsprangen und die wir aus de Galantes‘ Gewalt befreiten? Wie hießen die doch noch gleich …“

      „Alewa, Waialae, Mara und Hauula“, zählte Ferris Tucker die Namen der Mädchen auf. „Und du bist ein alter Schwerenöter, Donegal. Verzeihung, Madam.“

      Siri-Tong konnte ihr Lachen kaum noch zurückhalten.

      „Ferris, du ungehobelter Klamphauer“, sagte Old O’Flynn mit gespielter Freundlichkeit. „Wie kommt es eigentlich, daß du dich so genau an die kleinen Ladys erinnerst? Hast du dir die Namen vielleicht aufgeschrieben? Ha, das wäre vielleicht spaßig.“

      „Quatsch, ich hab nur ein gutes Gedächtnis“, erwiderte Hasards rothaariger Schiffszimmermann. Er bereute es schon, überhaupt etwas geäußert zu haben.

      „Männer, ihr braucht euch gar nicht so zu zieren“, meinte der Seewolf. „Auch Siri-Tong hat großes Verständnis dafür, daß ihr es nicht erwarten könnt, die Hawaii-Mädchen wiederzusehen. Allerdings muß ich eines gleich vorwegschicken: Ich will, daß ihr euch mustergültig benehmt. Keiner tanzt aus der Reihe, verstanden? Wenn ihr das nicht beherzigt, gibt es dicken Ärger. Ihr wißt, daß ich mich nicht scheue, den einen oder anderen von euch in die Vorpiek zu sperren, falls er sich nicht zusammenreißen kann.“

      „Aye, aye, Sir“, murmelten die Männer.

      Hasard hatte seine Gründe dafür, die prächtige Laune seiner Männer ein wenig zu dämpfen. Es war schon viel zu lange her, daß sie Frauen gehabt hatten, und von allen Entbehrungen, die sie seit dem Beginn der Reise durch die Nordwestpassage hatten über sich ergehen lassen müssen, war diese wohl die schlimmste. Deshalb mußte er aufpassen und seine Crew streng an der Kandare halten, denn es war gut möglich, daß die Männer beim Anblick des ersten Mädchens, das am Strand auftauchte, alle Disziplin vergaßen.

      „Mal herhören“, sagte nun auch der Profos. „Ich passe auf, daß die Order des Seewolfs strikt befolgt wird, klar? Angucken dürft ihr Barsche die Frauen von mir aus, aber nicht anfassen, solange kein neuer Befehl erfolgt. Kapiert? Finger weg von den Mädchenhintern – Verzeihung, Madam.“

      „Bitte, Ed.“

      „Aye, Sir“, brummelten die Männer.

      „Ich will mich nicht falsch verstanden wissen“, sagte Old O’Flynn. „Ich hab eher väterliche Gefühle, was die Mädchen betrifft. In Ordnung, Sir?“

      „Ja, Donegal“, entgegnete Hasard.

      Stenmark

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