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      Ferris Tucker hatte die Flaschenschleuder neu justiert und schickte sich gerade an, die nächste Bombe zu den Freibeutern hinüberzujagen.

      Die „Saint Croix“ war jetzt abgefallen, lief mit westlichem Kurs auf die Ausfahrt der Bucht zu und bot der „Isabella“ ihre Backbordbatterie dar. Die Piraten schrien durcheinander, hantierten mit den Luntenstökken, senkten sie auf die Bodenstücke ihrer Geschütze.

      Gleichzeitig mit den schweren Culverinen und den leichteren Demi-Culverinen der „Saint Croix“ donnerte die Flaschenbombe los, die Ferris Tucker genau in die Mitte der feindlichen Kuhl gesetzt hatte. Batutis erster Brandpfeil bohrte sich in das Großsegel der Piraten-Galeone.

      Es krachte und toste, und plötzlich schien das Inferno seine Tore geöffnet zu haben.

      Die Männer der „Isabella“ warfen sich auf die Planken, denn die gegnerischen Kugeln heulten heran. Es knackte und knirschte, Splitter wirbelten, etwas segelte in hohem Bogen quer über die Kuhl, und das Backbordschanzkleid der „Isabella“ hatte dicht beim Niedergang zur Back mit einemmal ein großes Loch.

      Auf der „Saint Croix“ herrschte aber noch größere Wuhling als auf der „Isabella“, und das lag an der Wirkung, die Ferris Tuckers Höllenflasche gehabt hatte. Das Großsegel der Feindgaleone stand in Flammen, und Batuti schoß den nächsten Brandpfeil ab, der mit geradezu unheimlicher Präzision die Fock der „Saint Croix“ traf.

      Die Piraten brüllten, rannten auf und ab, bargen Verwundete, warfen Tote über Bord und trachteten, das Feuer zu löschen.

      Der Kampf tobte hin und her.

      Louis hatte in diesem Augenblick an der Spitze seines Trupps das Ufer der Ankerbucht erreicht. Er blieb stehen, starrte für einen Moment auf das Bild, das sich seinen Augen bot, faßte sich dann aber und schrie seinen Männern zu: „Los, schiebt die Jolle ins Wasser! Wir versuchen, an Bord der ‚Saint Croix‘ zu gehen!“

      Die Jolle lag nicht weit entfernt auf dem weißen Sandstrand. Sie war eins der beiden Beiboote der „Saint Croix“.

      Die Piraten rannten fluchend über den Sand, packten das Boot und zerrten wie verrückt daran, um es ins Wasser zu befördern. Wenig später saßen sie auf den Duchten und pullten gemeinsam durch die hohe Brandung. Louis saß auf der Heckducht, hielt die Ruderpinne und blickte mit verzerrter Miene auf sein Schiff.

      Er begriff in diesem Moment, daß er bereits zu spät kam.

      Die „Saint Croix“ stand in hellen, hoch himmelan lodernden Flammen.

      10.

      Brassens lehnte wieder an dem Baumstamm auf der kleinen Lichtung des Hügels, und er zweifelte beim Donner der Schiffskanonen keinen Augenblick daran, daß seine Kumpane dieses Gefecht für sich entscheiden würden. Er hatte gesehen, daß die Galeone der Engländer kleiner als die „Saint Croix“ war, außerdem schien sie auch nicht so gut armiert zu sein. Dies allein war für Brassens, den dicken Piraten, ausschlaggebend, aber er sollte noch lernen, daß man im Leben nicht gar so einfältig sein durfte.

      Maurice kauerte nach wie vor oben auf seinem Aussichtsposten und versuchte, etwas von den Vorgängen in der fünf Meilen nördlich gelegenen Ankerbucht zu erkennen. Er sah aber nur das Feuer und den Rauch, die immer intensiver aufzusteigen schienen.

      Brassens vernahm einen beunruhigenden Laut hinter seinem Rükken, wollte herumfahren, aber da war es schon zu spät für ihn. Etwas sauste schwer in seinen Nacken nieder, und er brachte nicht einmal mehr einen Laut hervor, ehe er bewußtlos zusammenbrach.

      Der Seewolf trat an Brassens’ Stelle und blickte zu Maurice auf, der seinerseits gespannt nach Nord-Nord-West spähte.

      „Hör dir das an“, sagte Maurice. „Und dabei heißt dieses Meer rund um die Inselwelt das ‚Meer der Ruhe‘. Ist das nicht ein Hohn?“

      „Ja“, antwortete Hasard und zog seine doppelläufige sächsische Reiterpistole. „Das ganze Leben ist manchmal ein einziger Hohn, nicht wahr?“

      Maurice ließ entgeistert den Messingkieker sinken. Er sah nach unten und erblickte zu seinen Füßen den schwarzhaarigen Hünen. Er wollte seine Miqueletschloß-Pistole zücken, die griffbereit vorn im Gurt steckte, wurde aber durch eine Geste des Seewolfs gebremst.

      Hasard hatte die Reiterpistole gehoben und vorgestreckt. Die Mündungen zielten bedrohlich auf Maurices Unterleib.

      „Wer – wer bist du?“ stammelte der Pirat, aber er war sich im selben Moment der Dummheit bewußt, die dazu gehörte, solch eine Frage zu stellen.

      Hasard sagte: „Ich erkläre es dir vielleicht später. Steig jetzt ’runter von deinem Ast – und wage bloß keine Dummheiten. Es könnte das letzte Mal in deinem Leben sein, daß du einen idiotischen Trick versuchst.“

      Siri-Tong, Dan O’Flynn, Smoky und Matt Davies traten jetzt ebenfalls aus dem Dickicht auf die kleine Lichtung, und damit war es um Maurices Fassung endgültig geschehen. Er ließ den Messingkieker fallen, kletterte vom Baum und hob die Arme. Er begriff, was geschehen war. Die Engländer hatten sie hereingelegt, und zwar gründlich. Sie waren hinter der südlichen Landzunge, wo sie nicht mehr beobachtet werden konnten, mit einem Beiboot am Ufer gelandet. Dann hatte das Ablenkungsmanöver ihrer Galeone begonnen, und sie hatten seelenruhig durch den Inselurwald bis hierherauf marschieren können.

      Zweifellos hatte das Mädchen Alewa ihnen verraten, daß es hier oben, über dem Hauptdorf, einen Aussichtsplatz gab.

      „Wir gehen ’runter zum Dorf“, sagte Hasard. „Dan und Smoky, ihr nehmt diesen Fettwanst hier mit.“ Er wandte sich wieder an Maurice und erklärte ihm in seinem besten Französisch, was er von ihm verlangte.

      Maurice sah auf die doppelläufige Radschloßpistole, die immer noch auf seinen Bauch gerichtet war, und zweifelte keinen Moment daran, daß dieser schwarzhaarige Teufel mit den eisblauen Augen auch wirklich abdrücken würde, falls er seine Befehle nicht befolgte. Hasard hätte niemals auf einen wehrlosen Menschen geschossen, auch auf den größten Schurken nicht, aber das konnte Maurice nicht ahnen. Maurice wußte nur das eine: daß er nämlich das Leben so heiß und innig liebte wie nie zuvor und nicht sterben wollte.

      Er nickte und sagte leise: „Ich tue alles, was ihr von mir verlangt, wenn ihr mich leben laßt.“

      Die beiden Wachtposten, die vor dem großen Tor der Palisade zurückgeblieben waren, blickten sich verdutzt an, als im Dickicht plötzlich Maurice auftauchte und ihnen zuwinkte.

      „Hier“, zischte Maurice. „Seht euch an, was ich geschnappt habe. Ein Weibsbild. Kommt her und nehmt sie gefangen.“

      Die beiden Piraten schritten gleichzeitig los und blieben zwei Schritte von Maurice entfernt stehen, um sich über die schwarzhaarige Frau mit den exotischen Zügen zu beugen. Sie lag zu Maurices Füßen im Dickicht. Wer war sie? Woher kam sie? Wie hatte Maurice sie überwältigen können?

      All diese Fragen, die die Piraten sich im stillen stellten, blieben leider unbeantwortet. Die Schwarzhaarige kam nämlich ganz überraschend zu sich, schnellte hoch und hieb dem rechten Posten die Hand so hart gegen die Schläfe, daß dieser umfiel und nicht mehr aufstand.

      Der links stehende Kerl wollte protestieren, zur Waffe greifen, handeln, aber alles war zu spät, viel zu spät. Wie der Teufel schoß ein schwarzhaariger Riese aus dem Gebüsch hervor und warf sich auf ihn. Daß zwei andere Gestalten neben Maurice hochwuchsen, nahm der Wächter des Dorfes schon gar nicht mehr wahr. Etwas schien vor seinem Kopf zu explodieren, und er sank hin und spürte den Aufprall auf dem Boden schon nicht mehr. Ihm schwanden die Sinne, und das war gut für ihn, denn er brauchte am weiteren Geschehen nicht mehr teilzunehmen und rettete dadurch sein Leben.

      Matt Davies und Smoky hatten Maurice in die Zange genommen. Maurice, der schnauzbärtige Pirat, stieß einen Laut ohnmächtiger Wut aus, aber Matt grinste ihn sofort so freundlich wie ein hungriger Hai an und sagte: „Nur eine falsche Bewegung, und du lernst meinen geschliffenen Eisenhaken kennen, mein Junge.

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