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dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie unerkannt und vor allen Dingen ohne Verfolger im Nacken ans Werk gehen konnten.

      Ben Brighton stieß einen Seufzer aus. Es gab wahrhaftig nur eine einzige Möglichkeit, die Stadt zu verlassen.

      Hasard war der Seufzer nicht entgangen. Aus Erfahrung wußte er, daß solche Laute, von Ben Brighton ausgestoßen, nichts Gutes bedeuteten.

      „Rede schon, Ben, was hast du für eine Idee? Wie stellst du dir unsere Flucht vor?“

      Ben Brighton sah den Seewolf an.

      „Also lieber würde ich nur mit einem Enterhaken bewaffnet gegen zehn spanische Kriegsgaleonen kämpfen. Aber es hilft alles nichts: Wir müssen über die Mauer. Und zwar im Südwesten der Stadt, damit vermeiden wir, daß wir im Anschluß an unsere Flucht erst noch an der ganzen Stadt vorbei müssen. Und wir sollten es schnell tun, solange es dunkel ist.“

      Hasard hielt den Atem an. Er kannte Ben Brighton gut genug. Wenn sein Bootsmann so etwas vorschlug, dann hatte er auch schon einen Plan. Dennoch konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen.

      „Die nötigen Flügel dazu hast du sicher schon besorgt, oder?“ fragte er in die Dunkelheit hinein. „Über die Mauer, Ben – einfach so! Was glaubst du wohl, warum haben die Dons so sorgfältig angelegte Wehrgänge auf ihren Mauern zwischen den Türmen? Und wozu, meinst du, patrouillieren dort oben Doppelwachen bei Tag und bei Nacht?“

      Ben Brighton hatte sich umgedreht. Er starrte den Seewolf an.

      „Alles richtig, Hasard. Trotzdem bleibt die Mauer unsere einzige Möglichkeit. Schon weil die Dons damit ganz bestimmt nicht rechnen! Und dieser dreimal verfluchte Bastard von Burton auch nicht!“

      Hasard nickte. Aber Ben Brighton ließ ihm gar keine Zeit, irgendwelche Überlegungen anzustellen.

      „Ich denke mir die Sache etwa so …“ Und dann setzte er Hasard seinen Plan in allen Einzelheiten auseinander.

      Der Seewolf hörte ihm zu. Zum Schluß versetzte er Ben Brighton einen leichten Schlag auf die Schulter.

      „Ho, Ben, ich glaube, mit dir kann man wirklich den Teufel persönlich aus der Hölle holen. Ans Werk, beeilen wir uns!“

      Die beiden Männer verließen die schützende Toreinfahrt. Durch das Gewirr der Gassen huschten sie davon.

      2.

      Ben Brighton hatte die Führung übernommen, weil er sich in Sevilla besser auskannte als Hasard. Vor allem aber wußte er genau, wo der Laden des Schiffsausrüsters lag, zu dem sie wollten. Er hatte diesen Laden auf einem seiner Streifzüge durch die Stadt entdeckt und sich seine Lage genau gemerkt.

      Hasard und Ben bewegten sich so lautlos wie möglich durch die Gassen. Sie mußten in die Hafengegend zurück, und beide wußten, wie gefährlich das für sie werden konnte.

      „Nächste Gasse links“, flüsterte Ben Brighton dem Seewolf zu, als sie eine kurze Verschnauf- und Horchpause einlegten. „Der Laden liegt in der Calle del Dos de Mayo, ganz in der Nähe der Stadtmauer, aber zwischen den beiden Toren, die zum Hafen führen.“

      Sie lauschten in die Dunkelheit, doch es war nichts zu hören. Keine Schritte, nicht die Kommandos einer herannahenden Patrouille.

      „Ich laufe jetzt los. Warte zehn Sekunden, dann folgst du. Es ist besser, wenn wir uns einzeln bewegen, diese Gegend hier wird wegen der Hafennähe besonders scharf bewacht.“

      Der Seewolf nickte nur. Er sah noch, wie sich Ben Brighton von der Mauer löste und gleich darauf aus der Calle Temprado in die Calle del Dos de Mayo einbog. Er begann zu zählen. Und dann zuckte er plötzlich zusammen. Aus der Calle del Dos de Mayo erscholl wüstes Gebrüll. Deutlich hörte er Ben Brightons Stimme heraus – dann spanische Flüche, einen schweren Fall und einen Schuß, der sich donnernd aus einer Muskete löste.

      Hasard blieb keine Zeit zum Überlegen. Er mußte Ben heraushauen, und zwar sofort, oder alles war verloren.

      Er stürmte los. Als er in die Calle del Dos de Mayo einbog, erkannte er sofort im Schein einer zu Boden gefallenen Laterne das Knäuel menschlicher Leiber, das sich vor ihm auf der Straße herumwälzte.

      Wie der Blitz war der Seewolf heran. Der Musketenschuß hatte garantiert die Wachen der beiden nahegelegenen Stadttore alarmiert. Jeden Augenblick konnten weitere Soldaten herbeieilen. Und richtig – am Ende der Gasse wurden Rufe laut, Laternen wurden hin und her geschwenkt.

      Einer der beiden Streifensoldaten, die sich mit Ben Brighton am Boden herumwälzten, begann lauthals zu schreien.

      Hasard packte zu. Mit einem gewaltigen Ruck riß er den Schreihals von Ben herunter. Dann schlug er zu, und seine Rechte traf den Spanier mit verheerender Gewalt. Hasard wußte nicht genau, wo und wie er getroffen hatte, aber er hörte, wie der Mann einen gurgelnden Schrei ausstieß und gleich darauf zusammenbrach. Inzwischen hatte sich Ben Brighton auch von dem anderen Spanier befreit. Mit beiden Fäusten schlug er auf den am Boden Liegenden ein, bis auch dessen Geschrei verstummte.

      Die Rufe wurden lauter, die Laternen rückten näher. Aber auch von der anderen Seite näherten sich Soldaten.

      Hasard schoß ein Gedanke durch den Kopf. Ihre Lage war aussichtslos, wenn sie nicht zu einer List griffen. Blitzschnell legte er die Hände an den Mund, formte sie zu einem Trichter und brüllte dann, so laut er konnte, in bestem Spanisch, das er inzwischen ja genau wie Ben Brighton dank des von Drake verordneten Unterrichts perfekt beherrschte: „Oh, diese Hunde, sie sind uns entwischt! Fangt sie, sie fliehen durch die Calle Rodo, kreist sie ein, umzingelt sie – es sind die gesuchten ingles!“

      Er wiederholte den Ruf ein paarmal, während er und Ben bereits davonrannten, ebenfalls in Richtung auf die Calle Rodo. Erst als Hasard die laut gebrüllten Befehle hinter sich hörte, als er wußte, daß die Spanier ihm auf den Leim gegangen waren, änderte er seine Laufrichtung.

      Er lief ein paar Schritte weit in die Calle del Dos de Mayo zurück und preßte sich dort mit Ben in eine der zahlreichen Toröffnungen.

      Ben fand gerade noch die Zeit, Hasard einen verständnislosen Blick zuzuwerfen, da waren die Verfolger auch schon heran.

      Und es kam genauso, wie Hasard vorausgesehen hatte. Einer der Verfolger stolperte über einen der bewußtlosen Soldaten, der mitten in der Gasse lag. Er krachte zu Boden, seine Hellebarde schepperte laut. Aber die anderen, angestachelt durch das Gebrüll der Soldaten, die sich von der anderen Seite her der Calle Rodo näherten, achteten nicht darauf. Sie liefen weiter, als sei der Satan persönlich hinter ihnen her.

      Hasard wartete, bis der letzte von ihnen vorbei war, dann schnellte er aus der Tornische und warf sich auf den Spanier, der sich gerade eben fluchend wieder aufrappeln wollte. Er legte dem Überraschten sofort beide Hände um den Hals und drückte zu. Da war auch Ben Brighton schon heran und schickte ihn mit einem genau plazierten Faustschlag ins Land der Träume.

      Hasard ließ den Bewußtlosen zu Boden gleiten.

      „Die Uniformen, rasch, Ben!“ zischte er seinem Gefährten zu.

      Und Ben begriff sofort. Sie packten die beiden Bewußtlosen, den dritten, der ebenfalls noch immer in der Gasse lag, ließen sie liegen. So schnell sie konnten, liefen sie mit ihren beiden Gefangenen durch die Calle del Dos de Mayo wieder zurück und verschwanden gleich darauf mit ihren Opfern über der Schulter in der Calle Velarde, die direkt an der Stadtmauer entlangführte.

      Hinter einem dort abgestellten Wagen ließ Hasard seinen Spanier zu Boden gleiten und entkleidete ihn. Während er in Rekordzeit in die Soldatenuniform schlüpfte, merkte er, daß er wiederum sagenhaftes Glück entwickelt hatte: Der Spanier, den er sich geschnappt hatte, war von außergewöhnlich großer und kräftiger Statur. Auf diese Weise paßte die Uniform beinahe wie angegossen.

      Aus der Calle Rodo drang lautes Rufen herüber. Die Spanier suchten die beiden angeblich entflohenen Engländer also immer noch. Ein Grinsen huschte über die Züge des Seewolfs.

      „Fertig, Ben?“ fragte er, während er sich

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