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wahr und spähte durch den Kieker aufmerksam in alle Himmelsrichtungen – besonders nach Nordosten, wo die Kimm mittlerweile eine schwärzlich-gelbe Färbung angenommen hatte.

      Wenig später entdeckte er etwas und richtete sich hoch auf.

      „Mastspitzen an der Kimm!“ meldete er. „Steuerbord voraus! Ein Dreimaster auf Passierkurs zu uns!“

       2.

      An Bord der „Empress of Sea II.“ hörte das Fluchen auf, und auch die Debatte über Gespenster und Wassermänner wurde eingestellt. Old O’Flynn laschte die Pinne fest und griff selbst zum Spektiv. Er zog es auseinander und warf einen Blick hindurch. Auch die anderen spähten voraus. Ihre volle Aufmerksamkeit galt jetzt dem fremden Segler, der sich zügig näherschob.

      Durch das Okular der Kieker mauserte sich der Segler zur Galeone.

      „Ein Handelsschiff!“ rief Hasard junior. „Sehr bauchig gebaut, nicht stark armiert!“

      Inzwischen befand sich die „Empress“ nahezu am Rand der mächtigen Haufenwolke. Karl von Hutten wandte sich noch einmal besorgt an Old O’Flynn. „Donegal, ich empfehle dir, nach Nordwesten abzulaufen – auch, um dem Handelssegler auszuweichen.“

      „Schnickschnack“, erklärte der Alte. „Der Kerl steuert von der offenen See heran und kommt demzufolge vermutlich aus der Alten Welt. Sagt dir das nichts?“

      „Doch. Wahrscheinlich will er nach Havanna.“

      „Wohin er segelt, ist mir egal. Was mich interessiert, ist seine Ladung.“

      „Was?“ fragte Smoky entgeistert. „Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein!“

      „Die Galeone ist ein Spanier!“ meldete Hasard junior in diesem Moment.

      Old O’Flynn entblößte seine Zähne zu einem verwegenen Grinsen. „Das habe ich mir gedacht. Ein Kauffahrer, den man ohne große Probleme aufbringen kann. Wir müssen das nur geschickt anpacken. Wenn alles klappt, gelangt er nicht mal zum Schuß. Er hat nicht mehr als acht Culverinen, schätze ich.“

      „Nach der Zahl der Stückpforten hat er vier Kanonen auf jeder Schiffsseite“, sagte Hasard junior, der jedes auf dem Achterdeck gesprochene Wort verstehen konnte.

      „Aber wer sagt dir, daß es Siebzehnpfünder sind?“ fragte Smoky den Alten fast lauernd. „Könnten es nicht auch Zwanzigpfünder sein?“

      „Von mir aus auch Fünfzigpfünder“, versetzte Old Donegal gallig. „Das ist mir schnurz.“

      „Aber es ist ein Unding, das Schiff aufzubringen“, sagte Karl von Hutten. „Nicht mit einer so kleinen Crew.“

      Old O’Flynn hatte wirklich seinen bockigen Tag. „Ich hab’s wohl schon gesagt – ihr habt die Hosen voll, und zwar gestrichen. Was hier läuft, bestimme ich. Jede Zuwiderhandlung wird bestraft. Wer ist hier eigentlich der Kapitän?“

      „Du natürlich“, erwiderte Smoky und rümpfte die Nase.

      „Wer denn sonst?“ fragte Sam Roskill mit verkniffener Miene.

      „Also!“ brüllte der Alte. „Jede Nörgelei wird von jetzt an als Insubordination und Versuch zur Meuterei aufgefaßt! Schreibt euch das hinter die Ohren, ihr Miesmuscheln! Diesen Spanier lassen wir nicht an uns vorbei, das schwöre ich euch!“

      „Na dann – gute Nacht, Leute“, sagte Sam Roskill. „Unser ‚Empress‘-Kapitän ist zur Zeit vom Wahnsinn umzingelt!“

      „Wie war das?“ brüllte der Alte.

      Mac Pellew tauchte in diesem Augenblick wieder aus der Pantry auf und schickte einen mißmutigen Blick in die Runde.

      „Die Suppe ist jetzt fertig“, meldete er. „Klar zum Backen und Banken.“

      „Suppe?“ schrie Old O’Flynn. „Du kannst dir deine Suppe an den Hut stecken, Mann! Merkst du nicht, daß wir Wichtigeres zu tun haben?“

      Mac Pellew war zutiefst gekränkt. An den Hut konnte er sich die Suppe nicht stecken, weil er erstens keinen Hut trug und zweitens nicht wußte, wie er dies praktisch hätte bewerkstelligen sollen. Aber er kehrte in seine Pantry zurück und holte den Suppenkessel.

      Keiner beachtete ihn so recht, als er damit ans Steuerbordschanzkleid trat. Nach wie vor galt das Augenmerk der Männer und der beiden Jungen der spanischen Galeone, die inzwischen so nah war, daß man mit dem bloßen Auge ihre Flagge erkennen konnte, die im Besantopp flatterte.

      „Ich bin ja eigentlich für’s Sparen“, sagte Mac Pellew mit beleidigter Miene. „Aber was zuviel ist, ist zuviel.“ Mit diesen bedeutungsschweren Worten entleerte er den dampfenden Inhalt des Kessels in die See.

      „Mac!“ brüllte Old O’Flynn, der jetzt registrierte, wie die grünliche Brühe in Lee ins Wasser klatschte. „Was, zum Teufel, ist das für eine Sauerei?“

      „Suppe!“ brüllte Mac zurück. „Und ich bin zum letzten Mal auf diesem Schlorren zur See gefahren, Mister O’Flynn!“

      „Einen Schlorren nennst du mein Schiff?“

      „Jawohl, einen Schlorren! Und du kannst zusehen, wer dir künftig hier an Bord einen Fraß kocht, ich jedenfalls nicht mehr! Ich hab’ die Schnauze voll!“

      „Das ist Meuterei!“

      Mac setzte den leeren Kessel auf dem Handlauf des Schanzkleides ab und sah irritiert nach vorn.

      „He“, brummte er. „Was ist denn das für ein Kahn, der …“

      „Achtung!“ rief der Alte, der nicht mehr auf das hörte, was Mac sagte. „Holt die Drehbassen rauf und macht sie schußfertig! Gleich ist es soweit!“

      Mac hielt den Kessel immer noch mit beiden Händen fest. Sein Blick glitt etwas höher – und sein Unterkiefer klappte weg. Smoky bemerkte es, sah ebenfalls auf und stieß einen saftigen Fluch aus.

      Dann schrie er: „Seht euch das an! Ich glaub’, ich spinne!“

      Entsetzt deutete er zu der dunklen Haufenwolke hoch. Die anderen hoben ruckartig die Köpfe, Philip und Hasard stießen erschrockene Rufe aus, Plymmie heulte und jaulte in der Vorpiek, Mac ließ vor Schreck seinen Kessel sausen, und Martin Correa bekreuzigte sich rasch.

      Was jetzt geschah, jagte ihnen allen eine Gänsehaut über den Rücken, und alles Bisherige wurde gegenstandslos. Der Teufel schien seine Hand im Spiel zu haben, sämtliche Geister der Finsternis waren losgelassen – denn eine vernunftmäßige Erklärung für dieses schreckerregende Schauspiel gab es nicht.

      Aus der Wolke schob sich eine Art gläserner Rüssel hervor, der immer dunkler wurde. Er pendelte hin und her und senkte sich dabei immer tiefer auf die See – wie der Arm eines Riesenkraken, unheimlich und drohend zugleich.

      Alle an Bord der „Empress of Sea II.“ waren wie gelähmt, auch Old Donegal. Ihm schienen die Augen aus den Höhlen zu quellen. Mit ungläubigem Entsetzen verfolgte er, was sich weiter ereignete.

      Trotz der Entfernung von mehreren hundert Yards drang von dem Rüssel ein schmatzendes, gurgelndes Geräusch zu ihnen herüber, als er die See berührte. An dieser Stelle wurde das Wasser kranzartig in die Höhe gezogen. Es gischtete und brauste, und dann begann der Rüssel zu wandern – auf die spanische Galeone zu.

      „Sie heißt Valencia“, stammelte Hasard junior, der kurz vor Smokys Ausruf noch durchs Spektiv geschaut hatte. Deutlich hatte er den Namenszug an dem Steuerbordbug des Dreimasters entziffern können. Und er sah jetzt auch die Gestalten, die auf den Decks in heller Aufregung durcheinanderliefen und gestikulierten. Schreie wurden ausgestoßen, sie hallten zur „Empress“ hinüber. An Bord der Galeone herrschte Zustand, keiner schien mehr auf die in Panik geratene Mannschaft einwirken zu können.

      Bei Old O’Flynn stellten sich die Nackenhaare auf. Ja, er spürte, wie sie sich sträubten, wie es ihm eisigkalt über den

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