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      Sie bemerkten ihn nicht.

      Vier Kerle waren es. Im Licht einer Funzel über der Hintertür verrichteten sie ihr niederträchtiges Handwerk. Der Schreiende, auf den sie einprügelten und den sie mit Fußtritten traktierten, klammerte sich verzweifelt an einem Eisengeländer fest. Es säumte die drei oder vier Steinstufen, die zur Hintertür des Hauses hinaufführten.

      Einer der Schläger, ein stiernackiger Glatzkopf, trat mit seinem klobigen Stiefel auf die Handknöchel des hoffnungslos Unterlegenen. Der Kahlkopf rammte seinen Fuß mit aller Kraft auf die schon blutenden Knöchel, und die anderen Kerle hieben und traten ebenfalls. Doch es gelang ihnen noch immer nicht, ihr Opfer zu verschleppen.

      Stenmark stürmte auf sie los.

      Der Schreiende war rotblond, ein Bulle von Statur. Eigentlich hätte er besser in der Lage sein müssen, sich zur Wehr zu setzen, überlegte Stenmark im letzten Sekundenbruchteil, bevor er sich den Kahlkopf schnappte.

      Er packte ihn an der rechten Schulter und riß ihn herum. Der Mann drehte sich wie ein Kreisel und brüllte vor Schreck und vor Wut, als er ins Torkeln geriet. Stenmark setzte nach, ließ ihm keine Verschnaufpause und hämmerte ihn mit seinen eisenharten Fäusten zu Boden, bevor der Bursche wieder sicher auf beiden Beinen stand.

      Das Gebrüll ihres Kumpanen ließ die anderen endlich begreifen, daß sie mit ihrem Opfer nicht mehr allein waren. Ruckartig, mit verblüfften Knurrlauten, ließen sie von dem Rotblonden ab. Der Geschundene sackte am Geländer in sich zusammen. Die Kerle schienen nicht im mindesten zu befürchten, daß er die Flucht ergreifen könnte.

      Jäh sah sich Stenmark der Übermacht gegenüber. Ihm blieb keine Chance, sich noch um den Kahlkopf zu kümmern.

      Die drei, die auf ihn losstürzten, nahmen ihn in die Zange. Jenen, der ihn frontal angriff, konnte er mit seinen wirbelnden Fäusten noch zurücktreiben. Doch die beiden anderen gingen von links und rechts auf ihn los.

      Ein wilder Schrei irritierte Stenmark, als er wegtauchte und versuchte, die Angreifer abzuschütteln. Unvermittelt sah er, daß es der Rotblonde war, der sich mit diesem Schrei auf den rückwärts Wankenden warf und ihn zu Boden riß. All seine Wut über das, was man ihm angetan hatte, lag in diesem raubtierhaften Verzweiflungsakt. Denn er war zu langsam und konnte mit seinen blutigen Fäusten auf Dauer nicht viel ausrichten.

      Einen Atemzug zu lange war Stenmark abgelenkt. Noch während er sich duckend den Fäusten der Angreifer entzog, begriffen sie seine Absicht. Ein Hieb, der ihn mit voller Wucht in die rechte Seite traf, war die Folge. Schmerz durchstieß ihn wie ein Lanzenstich. Geistesgegenwärtig schaffte er es noch, dem hochschnellenden Stiefel des Kerls zu seiner Linken zu entgehen.

      Er überwand den lodernden Schmerz rasch. Einen Moment hatte er Luft und wirbelte herum.

      Der Kerl, den er als ersten auf die Pflastersteine geschickt hatte, war im Begriff, sich stöhnend aufzurappeln.

      Es wurde noch brenzliger als zuvor.

      Stenmarks Instinkt verarbeitete diese Tatsache blitzartig. Für langwierige Überlegungen war keine Zeit. Handeln hieß das Gebot dieser Sekunden. Seine Willenskraft, ohnehin eisern, steigerte sich. Bevor sich die Kerle zu einem neuen Angriff formieren konnten, schnellte er auf den los, dessen Fußtritt er eben entgangen war.

      Der Mann war unvorsichtig genug, es erneut mit seinem hochzuckenden Stiefel zu versuchen. Stenmark wich aus, stieß aus der Bewegung heraus vor und packte zu. Der Treter brüllte vor Schreck, als er sein rechtes Bein nicht wieder auf den Boden kriegte.

      Im nächsten Moment schwoll sein Gebrüll noch an, denn der Schwede nahm ihm mit einem kurzen Ruck das letzte bißchen Standfestigkeit. Ein harter Aufprall beförderte den Kerl in die schmerzfreie Bewußtlosigkeit. Vermutlich würde er sich in den nächsten Tagen verkriechen, um seine mächtige Beule nicht spazierentragen zu müssen.

      Erstaunt sah Stenmark am Rand seines Blickfelds, daß der Rotblonde erfolgreich war. Sein Gegner leistete nur noch schwachen Widerstand.

      Die beiden anderen versuchten noch einmal, den Schweden in die Zange zu nehmen. Stenmark konzentrierte sich auf seinen ersten Gegner, wich dem zweiten geschickt aus und schickte den ersten abermals in einen torkelnden Rückwärtsdrall. Er wollte auf den anderen los.

      In diesem Augenblick schnappte sich dieser Mann den Torkelnden und zerrte ihn weg – außer Reichweite. Der noch Unversehrte gab einen scharfen Befehl von sich, und die beiden anderen gelangten keuchend und grunzend auf die Beine.

      Stenmark wollte sich den einen greifen, der in seiner Nähe war.

      Ein Knacken ließ ihn erstarren.

      „Keine Bewegung!“ zischte jener Kerl, der als einziger von den Schlägern noch einen Überblick hatte. In seiner Rechten schimmerte der Stahl einer Pistole. Der matte Schein der Ölfunzel zeichnete die acht Kanten des Laufes als scharfe Linien. Die großkalibrige Mündung gähnte schwarz und unheilvoll.

      Die Kerle, die eben noch am Boden gelegen hatten, stolperten davon. Gleich darauf waren alle vier verschwunden. Nur noch für eine Sekunde hallten ihre Schritte im Durchgang nach. Dann verschluckte sie der Nebel draußen in der Gasse.

      Stenmark verstand die Welt nicht mehr. Er war versucht gewesen, die Verfolgung aufzunehmen. Doch andererseits interessierte es ihn nicht weniger, zu erfahren, was es mit dem rotblonden Hünen auf sich hatte.

      Der Mann lehnte am Geländer. Er sah übel aus, jetzt, direkt unter der Funzel. Beulen und Schrammen entstellten sein Gesicht, beide Brauen waren aufgeplatzt. Seine an vielen Stellen geflickte Jacke war an ebenso vielen Stellen eingerissen und würde ihn in dieser Kälte einer Londoner Aprilnacht nur unzureichend schützen.

      Angesichts seiner zerschundenen Hände mußte man sich fragen, wie er wohl in den nächsten Tagen einen Bierkrug halten wollte. Denn daß dieses eine seiner Lieblingsbeschäftigungen sein mußte, wurde dem Schweden klar, als er auf ihn zutrat. Eine Wolke von Alkoholdunst wehte Stenmark entgegen.

      Dann fing der Rotblonde an zu reden, und er war ein Schotte, dieser Bulle von Kerl, den es aus dem regen- und sturmgepeitschten Hochland nach London verschlagen hatte.

      „Sieht so aus, als ob ich dir meinen Dank aussprechen muß, Mac“, sagte er mit schwerer Zunge und im guttural rollenden Akzent der Highlander. Seine graublauen Augen hatten etwas Gutmütiges. Er schien nichts dabei zu finden, seinem Helfer allen Ernstes die blutige Rechte hinzustrecken.

      Stenmark klopfte ihm statt dessen auf die Schulter. Die Kleidung des Mannes stank. Es war eine Geruchsmischung aus schalem Bier und jener Brühe, die in schlecht durchgespülten Gossen faulte.

      Böse Zungen behaupteten, London stinke zum Himmel – im wahrsten Sinne des Wortes. Insofern war dieser abgetakelte Schotte ein passender Repräsentant der englischen Hafenstadt.

      Stenmark hatte sich davon überzeugen können, daß nicht wenige Gassen einen geradezu betäubenden Gestank ausströmten. Wer die Weite der Weltmeere gewohnt war und sonst jederzeit seine Nase in den Wind halten konnte, der mußte hier in London wahrhaftig einen Schwindelanfall nach dem anderen erleiden.

      „So elegant, wie du redest, siehst du nicht aus“, sagte Stenmark unverhohlen und grinste. „Hast ein paar Liter Gebräu zuviel in dich hineingeschüttet, stimmt’s? Aber was ich nicht begreife, ist, warum sie gleich zu viert über dich herfallen. Danach, daß es bei dir was zu holen gibt, siehst du nämlich auch nicht aus.“

      Der Schotte verzog die Schrammen- und Beulenlandschaft seines Gesichts und sah dadurch aus wie ein zusammengequetschter lederner Wasserschlauch.

      „Ich war mal Steinmetz“, brummte er betrübt. „Hab die schönsten Grabmale in ganz Edinburgh zurechtgehauen.“

      „Das ist lange her, was?“

      Das Knarren einer Tür und eine Frauenstimme unterbrach die beiden Männer.

      „Haben sie euch am Leben gelassen?“ Die Frau beantwortete sich die Frage gleich selbst. „Sieht so aus, ja. Also gut, herein mit euch! Los, los, beeilt euch!“

      Stenmark

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