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eine Muck oder ein Teller geleert waren. Selber frühstücken durften die Gefährtinnen der Horde erst dann, wenn sämtliche Kerle satt und zufrieden waren und sich zur Vormittagsruhe in ihre Hütten zurückgezogen hatten.

      Zu normalen Zeiten verband sich diese Ruhepause übergangslos mit der Siesta. Denn es geschah höchst selten, daß della Rocca und seine Kerle schon frühmorgens aus dem Schlaf gerissen wurden.

      Der Korse griff nach einem der frischen Brotlaibe, die die Frauen erst am Vortag gebacken hatten. Es war das Zeichen für die anderen, ebenfalls zuzulangen. Sehr bald übertönten Geschirrklappern und ungenierte Eßgeräusche das Gurgeln des Mannes am Baum, der sich vergeblich in seinen Fesseln wand.

      Niemand beachtete ihn, da er auch von della Rocca keines Blickes gewürdigt wurde. Es war nicht ratsam, ein anderes Verhalten an den Tag zu legen, als es der Korse tat.

      Della Rocca konnte Andersdenkende und Andershandelnde auf den Tod nicht leiden. Und er reagierte empfindlich wie eine Mimose, wenn er sich gar verspottet fühlte.

      Della Rocca aß schweigend. Er stopfte Brot mit Schinken und knusprigem Speck in sich hinein und spülte mit dem speziellen Stärkungstee nach. Seine Gesichtsmuskeln bewegten sich rhythmisch, ohne seinen Zügen das Brutale und Grausame zu nehmen.

      Seine Augen waren schmal über dem sichelförmigen Bart, das schwarze Haar glänzte wie ein eingeölter Rahmen. Er trug jene Kleidung, mit der er sich als Anführer der Gruppe hervorhob. Niemand anders durfte sich ähnlich kleiden.

      Über der schwarzen Jacke mit den goldenen Knöpfen lag ein roter Umhang. Zu den schwarzen Kniehosen und blauen Strümpfen trug er blankgeputzte schwarze Schuhe mit goldenen Spangen. Bewaffnet war er innerhalb des Lagers nur mit einem Dolch, dessen kunstvoll ziselierter Griff aus einer silbernen Scheide mit Goldeinlagen ragte.

      Im offenen Hemdkragen war zu erkennen, daß della Rocca um den Hals eine Kette aus nahezu taubeneigroßen Perlen trug. Eine Kette aus kleineren Perlen zierte auch sein rechtes Handgelenk.

      Während die Männer eine gute Stunde lang aßen und aßen, fiel der Gefesselte mehrere Male in erneute Bewußtlosigkeit. Sein schmerzerfülltes Gurgeln setzte nach jedem Erwachen von neuem ein, doch bald war es nur noch ein heiseres Krächzen, das er hervorbrachte.

      Schließlich trank della Rocca den letzten Schluck, knallte die Muck auf den Tisch und schnalzte mit den Fingern. Während auch die Kerle das Essen einstellten, reichte della Roccas Gefährtin dem Korsen eine bereits mit Tabak gestopfte Tonpfeife und einen glimmenden Kienspan.

      Umständlich und sorgfältig setzte della Rocca den Pfeifeninhalt in Brand. Kleine weiße Wolken von Tabakrauch stiegen in die Luft. Es war heller geworden. Die Sonnenstrahlen durchdrangen den Dunst, und es würde nicht mehr lange dauern, bis der Feuerball seine Gluthitze aus dem Zenit auch auf die Lichtung an der Bucht schicken würde.

      „Quebracho“, sagte der Korse wie beiläufig, ohne den Blick zu heben. „Erzähle, was los war.“

      Der Kubaner stand auf, wie es den von della Rocca festgelegten Regularien entsprach.

      „Dubuque wollte, daß Malvina sich für ihn bei mir freikauft. Dazu hat er ihr gestern abend einen Beutel Perlen um den Hals gehängt. Geschenkt. Heute morgen behauptet er, sie hätte die Perlen geklaut.“

      Die Kerle grinsten und glucksten verstehend. Klar, daß die morgendliche Ernüchterung so manche Einsicht mit sich brachte. Doch sich auf diese Art und Weise ausgerechnet mit Quebracho anzulegen, brachte nur so ein zügelloser Idiot wie Dubuque fertig.

      „Ist das die Wahrheit?“ fragte della Rocca und sah den Kubaner an.

      „Die reine Wahrheit“, erwiderte Quebracho und nickte. Mehr war nicht zu sagen.

      Jeder in della Roccas Haufen wußte, daß sich die Frauen das Lügen längst abgewöhnt hatten. Es war bereits ein Jahr her, daß della Rocca in einem solchen Fall die Todesstrafe verhängt und vollstreckt hatte. Das wirkte noch immer.

      Außerdem hatte jeder Mann das Recht, seine persönliche Gefährtin schon bei den kleinsten Vergehen hart zu bestrafen. Keiner von ihnen gefiel es beispielsweise, vor versammelter Mannschaft zwanzig Rutenhiebe auf den nackten Hintern zu empfangen.

      „Dann lügt Dubuque“, sagte della Rocca und warf einen flüchtigen Blick zu dem Gefesselten. „Nehmt ihm den Knebel raus, damit er sich äußern kann.“

      Die Männer gehorchten.

      Augenblicklich begann der Kreole vor Schmerzen zu schreien.

      „Ich habe gesagt, er kann sich äußern!“ brüllte della Rocca. „Von Schreien war nicht die Rede!“

      Der Kerl, der den Kreolen vom Knebel befreit hatte, versetzte ihm zwei schallende Ohrfeigen und verklarte ihm flüsternd den Befehl della Roccas.

      Dubuque verstummte. Seine Gesichtsfarbe hatte eine grünliche Blässe angenommen. Er stierte den Korsen an, und ihm war anzusehen, welche Anstrengung es ihn kostete, seine Schmerzen zu unterdrücken.

      „Das Mistweib“, sagte Dubuque ächzend, „hat mich beklaut.“ Seine Stimme ging in einen jammernden Ton über. „Und Quebracho, dieser Schweinehund, hat mir den Arm gebrochen!“

      Della Rocca winkte ab.

      „Das genügt“, sagte er brummend. „Steckt ihm den Lappen wieder ins Maul. Es genügt, wenn er die Urteilsverkündung hört.“

      Im nächsten Augenblick war Dubuque stumm wie zuvor und konnte sich nur noch mit seinem gequälten Gurgeln äußern. Abermals schnippte della Rocca mit den Fingern. Seine Gefährtin, eine mollige Brünette, eilte in seine Hütte und kehrte mit einer Lockenperücke zurück.

      Der Korse stülpte sich die Perücke über das fettige Haar und erhob sich. Sofort standen alle anderen ebenfalls auf.

      „Kraft meiner Befehlsgewalt“, sagte della Rocca mit gesalbter Stimme, „ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte Dubuque wird wegen ruhestörenden Lärms mit dem Tode bestraft. Das Urteil ist sofort zu vollstrecken, und zwar durch Erschießen. Der bedauernswerte Delinquent hat schon genug Schmerzen erlitten. Er soll jetzt Gelegenheit zu einem letzten Wort haben.“ Der Korse gab den Männern neben dem Kreolen einen Wink.

      Dubuque hatte aufgehört zu gurgeln. Entsetzen und Fassungslosigkeit schienen ihm die Augen von innen her aus den Höhlen zu drücken.

      „Nein!“ schrie er schrill, mit sich überschlagender Stimme, kaum daß sie ihm den Lappen aus dem Mund genommen hatten.

      „Danke, das reicht“, sagte della Rocca, und auf seinen abermaligen Wink hin hatte der Kreole den Knebel wieder im Mund. Der Korse blickte Quebracho an. „Als Geschädigter hast du das Recht, das Urteil zu vollstrecken. Bist du einverstanden?“

      Quebracho wußte, daß er sich nicht widersetzen durfte. Es hätte als Mißachtung von della Roccas Ansichten gegolten, und er hätte selbst aus eben diesem Grund verurteilt werden können.

      „Selbstverständlich“, sagte er daher. „Schreiben Euer Ehren eine bestimmte Waffe vor?“

      „Freie Wahl“, erwiderte della Rocca.

      Quebracho verneigte sich kurz, drehte sich um und lief in seine Hütte. Mit einer schweren Pistole, Pulverflasche und Kugelbeutel tauchte er eine Minute später wieder auf.

      Die Männer neben dem Gefesselten wichen nach beiden Seiten weg. Quebracho ging auf zehn Schritte Abstand, spannte den Hahn und hob die Pistole mit ausgestrecktem rechtem Arm.

      Dubuque war starr vor Angst. Seine Augen verdrehten sich unkontrolliert. Niemand wagte den Vorschlag, ihm eine Augenbinde zu gönnen. Weil della Rocca das nicht von selbst angeordnet hatte, wäre es vorlaut gewesen, ihn darauf hinzuweisen.

      Quebracho zog durch. Der Flint schlug auf den Reibstahl, Funken sprühten, und das Zündkraut verpuffte weiß wölkend in der Pulverpfanne. Im nächsten Sekundenbruchteil löste sich der Schuß. Die Mündungsflamme zuckte aus dem Lauf.

      Dubuque sackte in seinen Fesseln zusammen. Der Kubaner brauchte keine

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