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Erwartungen wurden enttäuscht. Sosehr er auch im Dikkicht suchte, er stieß nicht einmal auf eine Spur des Flüchtlings.

      „Torana!“ riefen die Stammesbrüder hinter ihm immer wieder. „Torana!“

      Torana hörte nicht auf sie, er hastete weiter. Er allein wollte den Ruhm genießen, das gefiederte Ungeheuer erlegt zu haben. Die bewundernden Blicke der Mädchen wollte er auf sich lenken, wenn er mit der Jagdtrophäe aus dem Urwald zurückkehrte.

      Tiefer und tiefer drang er in das Farngestrüpp vor.

      Wenn nicht der starke Wind gewesen wäre, der jeden Geruch fortblies, dann hätte er sich an dem starken Duft orientieren können, der von dem Schweinebraten verströmt wurde. So aber mußte sich Torana einzig auf seinen Spürsinn und einen Zufall verlassen, der ihm den Räuber doch noch in die Hand spielte.

      Vertraute Laute drangen aus dem Gesträuch, das Locken des Kiwis, das eigentümliche Schlagen des Huia-Vogels, das Schnattern der Ziegensittiche. Aber Torana wollte keine bekannten Geräusche hören. Er schnitt eine Grimasse und lauschte angestrengt in den Dschungel, der sich vor ihm ausdehnte. Verdächtiges Knacken und Rascheln hoffte er zu vernehmen, Laute, die fremd waren und nicht hierher gehörten. Doch auch dieses Mal wurde er enttäuscht. Das Konzert der Buschvögel schien alle anderen Geräusche zuzudecken.

      Alle – bis auf eins. Aus der Ferne schob sich unterschwellig jenes Grollen heran, das Torana wie alle anderen aus dem Pah nur allzu gut kannte. Drohend nahte es und schien in der Luft stehenzubleiben. Auch die heftigen, zornigen Böen vermochten es nicht fortzuschieben.

      Feuerspeiende Götter, dachte Torana, tötet den Feind, verschlingt ihn mit euren brennenden Rachen, begrabt ihn unter glühenden Steinen!

      Plötzlich stieg ihm ein feiner, jedoch ausgesprochen intensiver Geruch in die Nase. Unverkennbar war diese Mischung aus Bratenfett und schwelenden Blättern!

      Torana blieb stehen und sicherte nach allen Seiten. Er glaubte, den Duft rechter Hand zu lokalisieren, und wandte sich in diese Richtung. Jetzt hatte sich die fremde Kreatur doch verraten! Torana pirschte auf einen dichten, verfilzt wirkenden Gebüschgürtel zu. Er nahm die Streitaxt in die linke Hand und löste mit der rechten die schwere Keule vom Gurt. Mit hoch erhobenen Waffen näherte er sich dem Platz, an dem er den – wahrscheinlich verletzten – Gegner vermutete.

      Zu spät erkannte er das Verhängnis.

      Die Falle öffnete sich für Torana, aber das Verderben nahte nicht von dem Punkt, auf den er zusteuerte, sondern von rechts. Als er sich gerade anschickte, in das Buschwerk einzudringen, schoß etwas Langes, Spitzes auf seinen Körper zu.

      Er konnte nicht mehr ausweichen. Siedend heiß durchfuhr in der Schmerz, er war übermächtig und zwang ihn in die Knie. Torana sank auf die linke Seite seines Körpers. Das letzte, was er begriff, war die Tatsache, daß sein eigener Speer ihn getroffen hatte.

      Die Gestalt des Gefiederten erhob sich aus dem Dickicht, aber Torana sah sie schon nicht mehr. Blicklos waren seine Augen auf den Feind gerichtet.

      Aus dem Farnwald drangen die Rufe seiner Stammesbrüder herüber: „Torana! Torana, wo steckst du? So antworte doch!“

      Sie ahnten nicht, daß Torana nie wieder zu ihnen sprechen würde.

      Wieder einmal – wie so oft während der letzten Tage – hatte der Seewolf die große Karte aus der Schublade seines Pults hervorgeholt und an die Seitenwand der Kapitänskammer geheftet. Nachdenklich blickte er auf die Zeichnung, die er selbst mit viel Akribie angefertigt hatte. Er hatte sich auf einem Stuhl niedergelassen, und seine Finger spielten mit dem Ladestock einer Muskete.

      Ben Brighton, sein Erster Offizier und Bootsmann, hatte sich zwei Schritte von ihm entfernt auf den Rand der Koje gehockt. Er mußte die Beine fest gegen den Kammerboden stemmen, um nicht heruntergeworfen zu werden, denn die „Isabella VIII.“ stampfte und schlingerte in der unruhigen See.

      „Also, ich verstehe wirklich nicht, was mit dir los ist“, sagte Ben ohne Umschweife. „Sonst bin ich immer der Pessimistischere von uns beiden, aber diesmal …“

      Hasard blickte zu ihm hinüber. „Nun hör mal gut zu. Ich habe meine guten Gründe dafür, nicht auf eine Wetterbesserung zu hoffen. Wir befinden uns jetzt in der Nähe des vierzigsten Breitenkreises, wenn mich nicht alles täuscht, und die ‚Brüllenden Vierziger‘ dürften hier wohl kaum friedlicher als anderswo ausfallen.“

      „Sicher. Aber wir werden trotzdem keine Stürme abreiten müssen, denn schon bald stoßen wir wieder auf Land.“ Ben gab sich redlich Mühe, überzeugend und zuversichtlich auszusehen, aber er brachte doch nur ein verunglücktes Grinsen zustande.

      Der Seewolf sah wieder zur Karte und schob seine Unterlippe ein wenig vor. Schweigen breitete sich in dem Schiffsraum aus, unterbrochen nur vom Knarren der Verbände und dem Rauschen des Seewassers an den Bordwänden.

      „Du hast auch deine Zweifel, gib’s ruhig zu“, sagte Hasard schließlich. „Wir sind jetzt sieben Tage unterwegs, und der verdammte Südwestwind hat uns immer weiter von unserem Kurs abgebracht. Nach Süden wollten wir segeln, aber wir haben es doch nicht geschafft, gegen den Wind anzukreuzen. Er hat uns nach Südosten gedrückt – hierher.“ Er wies mit der Spitze des Ladestocks auf die Karte, dorthin, wo noch ein großes weißes Feld mitten in der Südsee prangte. „Hier ist kein Land, mein Lieber, nur Wasser.“

      „Augenblick mal.“ Ben stand von der Koje auf. Er trat vor die Karte und glich dabei die schwankenden Schiffsbewegungen durch entsprechende Beinarbeit aus. Mit dem Zeigefinger tippte er auf den Küstenstreifen, den der Seewolf zuletzt eingezeichnet hatte. Viele komplizierte Berechnungen waren dieser Arbeit vorausgegangen, Hasard hatte es sich nicht leichtgemacht. „Willst du jetzt etwa auch bezweifeln, daß wir die Ostküste des Südlandes entdeckt haben?“ fragte Ben.

      „Drücken wir es mal anders aus“, erwiderte der Seewolf. Er begegnete wieder Bens Blick, und in seine eisblauen Augen war ein fast kampflustiger Ausdruck getreten. „Ich schließe nicht aus, daß wir möglicherweise auf einen neuen Kontinent gestoßen sind.“

      „Du solltest stolz darauf sein.“

      „Das bin ich auch.“

      „Letzten Endes hatte de Larra sich also doch nicht getäuscht, so verrückt und hinterhältig er auch war.“ Ben sprach von dem spanischen Schiffskommandanten, dem sie auf der Südseeinsel Tutuila begegnet waren – und der Hasard junior und Batuti sehr schwer verletzt hatte und um ein Haar die „Isabella“ samt ihrem Kapitän und ihrer Crew entführt hätte.

      „Hast du das Logbuch des Satans genau gelesen?“ erkundigte sich Hasard.

      „Wort für Wort. Sonst hätte ich dich nicht darum gebeten.“

      „De Larra war nicht nur ein blindwütiger Fanatiker, sondern auch ein Phantast.“

      „Aber die Positionsangaben …“

      „Die sind von erstaunlicher Präzision.“

      „Obwohl er das Südland nie erreicht hat!“ stieß Ben hervor. Sein Tonfall war jetzt fast leidenschaftlich.

      „Schön, es ist erstaunlich, wie exakt die Darstellungen de Larras ausgefallen sind“, sagte der Seewolf noch einmal. „Daran will ich ja auch gar nicht rütteln. Laß dir nur eins gesagt sein: Dieses Traumland existiert nicht in der Form, wie die meisten von uns es sich vorstellen.“

      Ben kratzte sich am Hinterkopf. Es war eine Geste der Verlegenheit und Verwunderung. „Aber du hast doch wie wir die merkwürdigen Tiere gesehen, die es nur auf diesem neuen Erdteil und sonst nirgendwo gibt. Tiere, die ihre Jungen in einem Leibbeutel tragen und gewaltige Sprünge vollführen. Pelztiere mit Schnäbeln, seltsame Bären und komische kleine Wölfe. Und dann erst die Eingeborenen mit ihren krummen Wurfhölzern! De Larras Phantasie hat zwar vor ihrer genauen Beschreibung haltmachen müssen, aber die Theorie von einem Kontinent mit heißem bis gemäßigtem Klima und einer absonderlichen Tier- und Pflanzenwelt sowie nackten Wilden trifft in allen Punkten zu.“

      „Wir reden immer noch aneinander vorbei“,

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