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      Der Bursche war nicht nur zäh, er hatte auch den Instinkt eines Raubtieres. Als er sich aufrichtete, geschah es mit der lautlosen Geschmeidigkeit, die seiner Rasse angeboren war und die man zum Überleben in der Wildnis brauchte. Jacahiro trug einen unterarmlagen Bronzestab am Gürtel, eine fünfkantige Waffe, die – mit einer Schlaufe am Handgelenk befestigt – in ihrer Funktion entfernt an Batutis Morgenstern erinnerte. Lautlos löste der Maya-Krieger die Waffe von seinem Gürtel, streifte sie über seine Rechte und schloß die Augen, um sich völlig auf die Geräusche im Dunkeln zu konzentrieren.

      Stenmark ging von der irrigen Annahme aus, daß der unbekannte Pirat aufgrund eines Faustschlags von Big Old Shane in der Vorpiek gelandet sei.

      Wo der ehemalige Schmied und Waffenmeister der Feste Arwenack hinhaute, wuchs nichts mehr. Stenmark ahnte nichts Böses, als er sich bückte und über die Gräting tastete. Er grinste im Dunkeln, als er ein Hosenbein zu fassen kriegte.

      „Bist du das, Dan?“ fragte er.

      „Nein, die Königin Von England!“ knirschte Dan O’Flynn. „Verdammt, beeil dich! Ich will diesen verdammten Bretonen zu fassen kriegen.“

      „Na, na, na“, sagte Stenmark, während er nach Dans Fesseln tastete.

      „Verdammtes Pirat hat kleines O’Flynn auspeitschen lassen“, grollte Batuti. „Bretone wird Fischfutter! Picadillo! Grrr!“

      „Dieser Bastard!“ knurrte Stenmark. „Verdammt, Dan, halt still, ich kann nicht …“

      Er stockte abrupt.

      In allerletzter Sekunde spürte er den Luftzug, aber er hatte keine Chance mehr, Jacahiros Bronzestab auszuweichen. Tief in Stenmarks Schädel schien etwas zu explodieren. Er fiel nach vorn, und Dan stöhnte auf, weil der Schwede auf seinem zerschundenen Rücken landete.

      Jacahiro schwang herum und glitt lautlos in den Laderaum.

      Dan und Batuti fluchten um die Wette, aber es nützte ihnen nichts. Sie waren gefesselt und vermochten sich nicht zu rühren. Sie konnten nur noch abwarten, wie der ungleiche Kampf ausgehen würde.

      Ben Brighton und Big Old Shane hatten nichts mehr zu verlieren.

      Die Kerle, die vor ihnen über den Niedergang flüchteten, prallten mit ihren eigenen Kumpanen zusammen und wurden zurückgespült von der Woge der Angreifer. Der einäugige Esmeraldo verlor das Gleichgewicht und stürzte. Ben Brighton empfing ihn mit einem Tritt, der ihn vor die Füße seiner Kumpane beförderte.

      Auch Pepe le Moco und der Burgunder stolperten. Klirrend schlidderte ein Säbel über die Planken. Die anderen Kerle rückten nach, sprangen über die Gestürzten weg – und prallten zurück angesichts der furchterregenden Gestalt, die sie im einfallenden Licht sahen.

      Big Old Shane schwang mit beiden Fäusten eine mächtige Eisenstange.

      Schritt um Schritt trieb er die Piraten zurück, fegte den Niedergang leer und kämpfte sich weiter. Wo er traf, gingen Männer brüllend zu Boden. Schon hatte Shane das Vordeck erreicht, doch im nächsten Moment ließ er sich fallen, weil die lange Flammenzunge aus einer Muskete auf ihn zuzuckte.

      Ben Brighton schoß zurück, aber er schaffte es nicht mehr, seine Waffe wieder zu laden.

      Wie ein lautloser Schatten tauchte Jacahiro hinter ihm auf.

      Blitzschnell holte der Maya aus. Der Bronzestab wirbelte durch die Luft, traf den Nacken des Opfers – und der Bootsmann der „Isabella“ sank mit einem dumpfen Stöhnen zusammen.

      Big Old Shane stieß einen Wutschrei aus, als er vom Boden hochschnellte.

      Undeutlich sah er den geschmeidigen braunhäutigen Mann sowie den wirbelnden Bronzestab – und hob blitzartig die Eisenstange. Ein helles Klirren ertönte. Loslassen konnte Jacahiro seine Waffe nicht, da sie an seinem Handgelenk festsaß. Der Maya schrie auf. Urgewalten schienen an seinem Arm zu zerren und schleuderten ihn zur Seite. Jacahiro stolperte und fiel, aber Big Old Shane hatte dem Niedergang eine Sekunde zu lange den Rücken wenden müssen.

      Den schmetternden Hieb mit dem Musketenkolben, der seinen Schädel traf, konnte selbst er nicht verkraften.

      Ohne einen Laut kippte er nach vorn.

      Er wachte erst wieder auf, als er zwischen Stenmark und Ben Brighton auf den Planken der Kuhl lag.

      Auch die beiden anderen waren bei Bewußtsein. Sie waren nicht einmal gefesselt, aber das nutzte ihnen nichts. Mindestens ein halbes Dutzend Musketen zielten auf sie. Beim geringsten Widerstand würden die Geschosse sie zerfetzten.

      „… vielleicht besser mitnehmen“, hörten sie die Stimme des einäugigen Esmeraldo. „Wir sind ohnehin zu wenig, wir könnten die Kerle gebrauchen.“

      „Unsinn“, knurrte Jean Morro. „Es ist schon schwer genug, auf die beiden anderen aufzupassen. Mit fünf von diesen Teufeln an Bord hätten wir keine Minute mehr Ruhe.“

      Für einen Moment blieb es still.

      „Na dann“, sagte Esmeraldo gleichmütig und stieß Stenmark mit dem Fuß an. „Aufstehen, ihr Hunde! Ihr dürft schwimmen!“

      Der blonde Schwede preßte die Lippen zusammen und quälte sich hoch. Ben wollte ihm folgen, aber Pepe le Moco stieß ihn mit dem Lauf der Muskete zurück.

      „Einer nach dem anderen“, sagte er grinsend. Und in Stenmarks Richtung: „Hopp-hopp! Ab in den Bach! Und grüß die Haie!“

      Die Seewölfe hatten keine Wahl.

      Einer nach dem anderen wurde über Bord befördert, und dann konnten sie nur noch der „Isabella“ nachsehen, die wie ein stolzer Schwan nach Norden rauschte.

      Wenig später sichtete der Ausguck auf der Galeone Mastspitzen über der Kimm, aber das konnten die drei Männer im Wasser nicht mehr hören.

      Sie ahnten nicht, daß der schwarze Segler in der Nähe war. Sie mußten versuchen, die Insel zu erreichen, und alle drei wußten nur zu genau, was ihnen damit bevorstand.

      4.

      „Mannomann!“ sagte Smoky andächtig.

      Ferris Tucker grinste und fuhr sich leicht verlegen durch das rote Haar. Hasard schlug ihm krachend auf die Schulter. Sie hatten alle wie die Wilden gearbeitet, aber daß das Ergebnis tatsächlich wie ein Boot aussah, war in erster Linie das Verdienst des Schiffszimmermanns.

      Das Kernstück des abenteuerlichen Fahrzeugs stammte von dem Wrack auf dem Riff: ein Stück des Kielschweins, an dem noch der halbe Fockmast hing. Drumherum hatten sie unter Ferris Tuckers Anleitung ein Mittelding zwischen Auslegerboot und Floß gebaut. Ein ausgesprochen stabiles Fahrzeug, nicht kentersicher natürlich, aber unsinkbar, da es keine Hohlräume gab, die volllaufen konnten. Sechs bis acht Mann hatten Platz darauf.

      Wenn der Teufel es wollte, daß sie tatsächlich keine andere Möglichkeit fanden, die Insel zu verlassen, würden sie drei von diesen Konstruktionen brauchen, und deshalb waren sie vor allem mit der Segelfläche sparsam gewesen.

      Sie bestand aus einem kleinen dreieckigen Lateinersegel, das sie aus der einigermaßen heilgebliebenen Fock des Wracks herausgeschnitten hatten. Beim nächsten Mal würden sie sich mit der Persenning begnügen müssen, die im Lager der Piraten zurückgeblieben war. Übermäßig seetüchtig sah die ganze Konstruktion nicht aus, aber es grenzte ohnehin an ein Wunder, daß die Seewölfe binnen kürzester Zeit geschafft hatten, was der Piratenbande während ihres ganzen Aufenthalts auf der Insel nicht gelungen war.

      „Probieren wir es aus“, sagte Hasard trocken. „Zuerst nach Nordosten, damit wir sehen, ob man mit dem Ding überhaupt an den Wind gehen kann. Dann nach Nordwesten …“ Er lächelte matt. „Könnte ja sein, daß wir dem schwarzen Segler begegnen.“

      „Du willst ihn suchen?“ fragte Carberry skeptisch.

      Hasard schüttelte den Kopf. „Das dürfte ziemlich sinnlos sein. Vielleicht hilft uns

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