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meine Meinung«, sagte Bruno von Kreye. »Hol lieber die zweite Flasche Beerwurz. Eine Stärkung können wir jetzt brauchen.« Ihm war elend zumute. Zum erstenmal begriff er richtig, was sie wirklich waren, nämlich niederträchtige, jämmerliche, erbarmungswürdige Feiglinge, deren einzige große Tat darin bestanden hatte, eine wehrlose Frau meuchlings aus dem Hinterhalt niederzuschießen und zu töten.

      Mitternacht war längst vorbei, die Deckswachen der »Isabella« und der »Wappen von Kolberg« hatten inzwischen zweimal gewechselt. Die Menge der Schaulustigen hatte sich verlaufen, fast alle waren in ihre Häuser zurückgekehrt, weil es nichts mehr zu sehen und nichts mehr zu tun gab. Nur wenige Männer hatten sich vor der Hafenmeisterei auf Bänken und auf Pollern niedergelassen, blickten hin und wieder mal zu den Schiffen und fragten sich insgeheim, was wohl noch geschehen würde.

      Der Seewolf hatte furchtbare Stunden hinter sich. Er hatte sich mit den schwersten Vorwürfen geplagt. Wenn alles nur etwas anders verlaufen wäre, hätte er die Tragödie vielleicht verhindern können. Er gönnte sich keine Ruhe und verfiel immer wieder ins Grübeln.

      Schlimmer noch hatte sich Gary Andrews verhalten, als er wieder bei Besinnung war und erfahren hatte, was sich zugetragen hatte.

      »Es ist meine Schuld«, hatte er immer wieder verzweifelt gesagt. »Wäre ich nicht aufgetaucht, wäret ihr nicht abgelenkt gewesen. Hätte ich mich doch bloß zurückgehalten, bis wenigstens ein paar von euch als Wachen an Land gingen. Es ist alles meine Schuld, daß dies passiert ist.«

      Es kostete Hasards ganze Überzeugungskraft, Gary umzustimmen und ihm auseinanderzusetzen, daß er nichts mit alledem zu tun hatte. Die beiden Heckenschützen hatten ja nicht seinetwegen an der Pier gelauert. Sie hatten auf die Schiffe gewartet. Sie hätten auch dann auf Gisela von Lankwitz geschossen, wenn er, Gary, nicht erschienen wäre.

      Quälend langsam verstrich die Zeit, und die Seewölfe und die Männer der »Wappen von Kolberg« begannen sich allmählich zu fragen, wo Dan O'Flynn und Piet Straaten blieben. Hatten sie mit ihrer Verfolgung etwas erreicht? Oder hatten sie die Spur der Mörder verloren und streiften ziel- und ratlos durch die Nacht?

      »Warten wir bis zum Morgengrauen«, sagte Hasard. »Wenn sie dann nicht wieder da sind, unternehmen wir etwas.«

      Arne von Manteuffel war ebenfalls wieder bei Bewußtsein und hatte seine Kammer im Achterdeck der »Wappen von Kolberg« verlassen. Aber seine Männer brauchten nicht mehr zu befürchten, daß er etwas Unüberlegtes unternahm. Er hielt bei der Freiin von Lankwitz, seiner Braut, Totenwache und rührte sich nicht mehr von der Kuhlgräting fort, auf der er sich niedergelassen hatte. Wie versteinert saß er da und nahm seinen Blick nicht von ihrer leblosen Gestalt.

      Eine Kutsche rollte heran, gezogen von vier Pferden. Auf der Pier hielt sie vor der Stelling der »Wappen von Kolberg« an, und der Schlag wurde von innen geöffnet, während der Kutscher mit entsetzter Miene von seinem Platz zu der erleuchteten Kuhl der Galeone blickte und Gisela von Lankwitz daliegen sah.

      Erschüttert nahm er seinen Zylinder vom Kopf und murmelte: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.« Dann schlug er das Zeichen des Kreuzes.

      Renke Eggens und ein zweiter Mann entstiegen der Kutsche. Hasard hatte keinen Zweifel daran, daß es sich bei diesem um den Vater der Toten handelte.

      Stumm ging Gunther Freiherr von Lankwitz über die Stelling an Bord der »Wappen von Kolberg«. Er war ein schlanker und hochgewachsener Mann, weißhaarig und von beeindruckender Erscheinung. Seine edlen Gesichtszüge waren von tiefem Schmerz gezeichnet. Er blieb nur zwei Schritte von seiner Tochter entfernt auf der Kuhl des Schiffes stehen und bekreuzigte sich ebenfalls.

      »Gisela«, sagte er leise, mehr nicht. Es gab nichts zu sagen.

      Arne von Manteuffel erwachte aus seiner starren Haltung, erhob sich und trat auf seinen Schwiegervater zu. Sie blickten sich an, dann umarmten sie sich stumm. Der Freiherr stellte keine Fragen, Renke Eggens hatte ihm alles erzählt. Jedes Wort war überflüssig.

      Hasard verließ sein Schiff und begab sich an Bord der »Wappen von Kolberg«. Der Freiherr begrüßte ihn mit einem Händedruck. Er wußte bereits durch Eggens, wen er vor sich hatte.

      Eine Weile standen sie schweigend und in ohnmächtiger Machtlosigkeit bei Gisela von Lankwitz. Dann bückte sich Arne von Manteuffel, hob die Tote von den Planken auf und trug sie von Bord des Schiffes zur Kutsche.

      »Arne wird mit mir zu meinem Gut fahren«, sagte Gunther von Lankwitz, »und dort bleiben, bis Gisela beerdigt ist. Verstehen Sie, was ich sage, Kapitän Killigrew?«

      Hasard schüttelte den Kopf. Doch inzwischen war auch wieder Nils Larsen aufgetaucht, der ihm die Worte des Freiherrn übersetzte.

      »Ich würde Arne und Sie gern begleiten«, sagte Hasard. »Aber ich muß hierbleiben und warten. Meine Anwesenheit hier ist jetzt wichtiger, denn wenn meine beiden Männer zurückkehren, muß ich wahrscheinlich Entscheidungen treffen, die je nachdem, was sie erreicht haben und mir berichten, sehr unterschiedlich ausfallen können.«

      »Ich verstehe Sie sehr gut, Kapitän Killigrew.«

      »Doch bei der Beisetzung werde ich dabei sein«, versicherte ihm der Seewolf. »Ihre Tochter war mir zur Freundin geworden. Mein Schmerz über ihren Tod kennt keine Grenzen. Ich bin zutiefst betroffen von dem, was geschehen ist, und ich werde nicht ruhen, bis die Mörder ihre gerechte Strafe gefunden haben.«

      »Ich danke Ihnen«, sagte Gunther von Lankwitz.

      Hasard begleitete ihn bis zur Kutsche, dann verabschiedete er sich von Arne und von ihm. Arne war seinem Vetter jetzt sehr dankbar. Zu der Fahndung nach dem Mörder gehörte ein kühler Kopf – Arne hatte ihn nicht. Hasard aber vermochte seine Gefühle zu beherrschen und Distanz zu dem Geschehen zu gewinnen. Er brauchte diesen Abstand, um sein Vorhaben vorantreiben zu können, die Mörder zu fassen und zu bestrafen.

      So wendete die Kutsche und rollte davon. Hasard und die anderen Männer blickten ihr nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden war. Dann kehrte jeder auf seinen Posten zurück und hing seinen Gedanken nach. Renke Eggens hatte das Kommando an Bord der »Wappen von Kolberg« übernommen und teilte die nächsten Wachschichten ein. Danach gab es aber auch für ihn nichts mehr zu tun. Sie alle waren dazu verdammt, zu warten.

      Hasard wurde von Stunde zu Stunde unruhiger. Seinen Männern erging es nicht anders, und auch die Männer der »Wappen von Kolberg« begannen sich über den Verbleib von Dan und Piet zu sorgen. Sie alle standen unter Druck, ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt.

      Der neue Tag – der fünfte April 1593 – brach an.

      Jetzt schien es mit einiger Wahrscheinlichkeit festzustehen: Dan und Piet mußte etwas passiert sein. Anders war nicht zu erklären, warum sie noch nicht zurückgekehrt waren.

      »Sir«, sagte Ben Brighton, der sich zu seinem Kapitän auf das Achterdeck der »Isabella« gesellt hatte. »Wollen wir nicht endlich etwas unternehmen?«

      »Doch«, erwiderte Hasard. »Wir besorgen uns Pferde. Wir brechen mit zehn, zwölf Männern auf, um nach Dan und Piet zu suchen.«

      Doch es kam anders.

      Ein Reiter tauchte aus den Schleiern des Morgennebels auf, die über dem Hafen lagen. Mit klappernden Hufen schritt das Pferd auf die Pier und hielt auf der Höhe der »Isabella« von seinem Herrn gezügelt an.

      »Erich von Saxingen«, sagte der Seewolf gepreßt. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. »Jetzt wird mir alles klar. Die Personenbeschreibungen der beiden Fremden – ja, mein Gott noch mal, war ich denn taub und blind? Der andere Kerl muß Bruno von Kreye sein, daran gibt es keinen Zweifel.«

      Ben ließ Nils Larsen holen, damit ein Dolmetscher bereitstand. Nils erschien auf dem Quarterdeck, verharrte und blickte genauso haßerfüllt zu von Saxingen hinüber wie auch die anderen Männer an Bord beider Schiffe.

      »Da bin ich!« rief Erich von Saxingen. »Das ist eine Überraschung, was? Habt ihr mich wiedererkannt? Um so besser. Ich will mit Killigrew sprechen! Wo ist er?«

      »Hier

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