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weil er den verhaßten Knebel trotz eifriger Bemühungen nicht los wurde.

      „Dieser Hurensohn hat mir beinahe einige Zähne ausgeschlagen“, sagte Buddy Bolden grollend. „Er ist als erster dran!“

      Einige der schwarzen Gestalten stürzten sich auf den Profos der „Isabella“ und befreiten ihn von seinen Fußfesseln. Dann nahmen sie auch dem Seewolf die derben Stricke ab und dirigierten die beiden Männer mit schußbereiten Flinten nach draußen.

      Big Old Shane, Smoky, Roger Brighton, Stenmark und Dan O’Flynn mußten die Hütte ebenfalls wieder verlassen. Obwohl sie sich nichts anmerken ließen, taten sie es mit reichlich gemischten Gefühlen, denn es war ihnen in den letzten Stunden nicht entgangen, daß das Brackwasser an den sumpfigen Ufern des Lake Pontchartrain von zahlreichen Alligatoren bevölkert wurde.

      Hinter ihren Stirnen arbeitete es fieberhaft, aber keiner von ihnen entdeckte im Augenblick eine Schwachstelle bei den Schwarzen. Die Kerle ließen sie keine Sekunde aus den Augen und schienen fest entschlossen zu sein, sie gemäß dem Urteilsspruch ihres Anführers den Alligatoren zum Fraß vorzuwerfen. Bei Gott, sie hatten schon genug religiöse Fanatiker kennengelernt und wußten nur zu gut, zu was solche Burschen fähig waren.

      Die Schwarzen sorgten dafür, daß sich ihre sieben Gefangenen nebeneinander am niedrigen Schanzkleid des Hausbootes aufstellten.

      Der baumlange Buddy Bolden trat jetzt hinter Edwin Carberry und bohrte ihm den Lauf seiner Arkebuse in den Rücken.

      „Löst diesem Kerl die Handfesseln!“ befahl er. „Er soll die Alligatoren wenigstens mal streicheln dürfen. Den Knebel könnt ihr auch entfernen, damit er den netten Tierchen in die Schwänze beißen kann. Auch wenn er es nicht verdient hat, soll er seine Chance haben!“

      Seine Anweisungen wurden sofort ausgeführt.

      Doch kaum hatte man dem bulligen Profos die schmuddeligen Tuchfetzen zwischen den Zähnen hervorgezogen, da verzog er sein narbiges Gesicht zu einer furchteinflößenden Grimasse, schob das Rammkinn vor und holte tief Luft. Ungeachtet der feuerbereiten Waffe drehte er sich langsam zu Buddy Bolden um.

      „Was sagst du da, du angesengtes Rübenschwein?“ brüllte er mit Donnerstimme. „Ich soll diesen Krokodilen in die Schwänze beißen? Paß bloß auf, daß ich mein Gebiß nicht vorher an deinem rabenschwarzen Affenhintern ausprobiere, du im Suff gezeugter Enkel eines Bilgengespenstes und eines pestbeuligen Ziegenbocks! Was sind das für Manieren, sich an einem englischen Profos zu vergreifen, he? Genügt es nicht, wenn du in deiner Räuberhöhle, in der es wie in einem Freudenhaus stinkt, unschuldige junge Mädchen ermordest? Mußt du auch noch anständige Christenmenschen wie den alten Carberry und den Kapitän der ‚Isabella‘ niederknüppeln? Eins laß dir gesagt sein, Schwarzer: Wenn du dir einbildest, daß ich in diese Brühe reinhüpfe, dann hast du dich gewaltig getäuscht! Diesen Gefallen tue ich dir nicht, so wahr ich Edwin Carberry heiße! Was fällt dir aufgetakelten Schilfratte überhaupt ein, dir einen englischen Namen zuzulegen, was, wie? Du hast wohl einen Sprung in deinem buntbetupften Eierkopf? Jetzt nimm bloß deine altmodische Flinte weg! Mit der haben schon die Kinder Israel den Ägyptern die Ärsche weggeschossen!“

      Ed, dessen Stimme an das Grollen eines schweren Gewitters erinnerte, schnappte nach Luft, denn das war mit Sicherheit die längste Rede, die er je gehalten hatte. Wie er so dastand, mit den mächtigen Fäusten und blitzenden Augen, glich er einem Vulkan, der ausbrechen konnte.

      Buddy Bolden war völlig sprachlos. Er wich unwillkürlich zwei Schritte zurück, starrte den Profos an, als sei er ein Wesen aus einer anderen Welt, und riß dann seine vorsintflutliche Hakenbüchse hoch. Der Lauf zeigte jetzt genau auf den Kopf Carberrys. Der Augenblick, der über Leben und Tod entschied, schien gekommen zu sein …

       6.

      Die vier Seewölfe, die mit Musketen, Degen und Entermessern bewaffnet an Land gegangen waren, hegten nicht gerade besondere Sympathien für die unübersichtliche Sumpflandschaft.

      Die Bayous steckten voller Geheimnisse und Gefahren. Der Morgenwind, der durch das Schilf- und Rohrdickicht strich, klang wie das Wispern und Raunen eines unsichtbaren Geisterheeres. Gelegentlich raschelte es, wenn sich Sumpfhühner und andere Tiere einen Weg durch das oft mannshohe Schilf bahnten, oder es war ein dumpfes Klatschen zu hören, wenn sich ein Alligator beutehungrig ins Wasser schob.

      Oft konnten die Arwenacks nicht sehen, was vier oder fünf Yards von ihrem eigenen Standort entfernt vor sich ging. Der Boden war an vielen Stellen feucht und schwammig, so daß jeder Schritt ein schmatzendes Geräusch erzeugte. Fast überall roch es nach Moder und Fäulnis.

      Ja, vielleicht hatte Paddy doch recht, und sie hatten tatsächlich ein überirdisches Wesen gesehen, denn was sollte schon ein Mensch aus Fleisch und Blut in dieser düsteren Moorlandschaft verloren haben?

      Ferris Tucker, Nils Larsen sowie Blacky und Matt Davies hatten sich etwa zweihundert Yards von der Jolle entfernt. Still und schweigsam, aber mit wachsamen Augen arbeiteten sie sich durch das Dickicht.

      Da hörten sie plötzlich ein gedämpftes Kichern.

      Ferris legte Nils Larsen, der ihm am nächsten war, die Hand auf die linke Schulter. Wie auf Kommando blieben alle stehen und lauschten.

      „Das ist ein Vogel“, sagte Blacky flüsternd und wollte weitergehen.

      Doch Ferris hielt ihn durch eine rasche Geste zurück.

      „Das sind menschliche Laute“, sagte er mit leiser Stimme. „Wie es scheint, halten sich mehrere Kerle hier auf. Vielleicht haben sie auf den komischen Kauz, den wir gesehen haben, gewartet, und er berichtet ihnen jetzt von der ‚Isabella‘ und der Jolle.“

      Das Kichern verstummte, dafür war jetzt ein undeutliches Murmeln zu hören. Sekunden später vernahmen die Seewölfe ein schrilles Lachen. Sie blickten sich fragend an. Ferris schien recht zu haben, es mußte sich um mehrere Personen handeln, denn wer lachte oder redete schon mit sich selber.

      Vorsichtig setzten sie ihren Weg fort und spannten die Hähne ihrer Musketen. Sie wollten kein Risiko eingehen, es reichte schon, wenn Hasard und seine Mannen – wie es schien – spurlos verschwunden waren. Aber vielleicht führten sie gerade diese merkwürdigen Geräusche auf die Spur ihrer verschollenen Kameraden.

      Das Kichern, Murmeln und Lachen wurde lauter. Es vermischte sich jetzt mit einem Rascheln und Klopfen. Die Arwenacks wußten, daß sie nicht mehr weit von der Quelle der Geräusche entfernt waren.

      Ferris drehte sich zu Blacky um.

      „Du bleibst besser hier zurück und übernimmst unsere Rückendeckung“, sagte er im Flüsterton. „Wenn man uns in eine Falle tappen läßt, ziehst du dich zurück und alarmierst unsere Leute auf der ‚Isabella‘. Sollte nichts passieren, hörst du den bekannten Pfiff und folgst uns.“

      Blacky zeigte verstanden und postierte sich sofort hinter dem knorrigen Stamm eines weidenähnlichen Baumes.

      Ferris, Nils und Matt pirschten weiter voran. Doch schon nach höchstens zwanzig Schritten mündete das schwammige Gelände unvermittelt in eine kleine, grasbewachsene Lichtung, die sich inmitten des Schilfs wie eine Insel ausbreitete.

      Mitten auf dieser Lichtung sahen sie die merkwürdige Gestalt, die sie schon von der Jolle aus wahrgenommen hatten. Es handelte sich um einen verwildert aussehenden Mann, der in zerlumpter Kleidung steckte und gebückt über die Lichtung lief. Von Zeit zu Zeit stoppte er abrupt seine Schritte, kicherte und hieb dabei mit einem langen Aststück auf den Boden.

      Die Seewölfe sahen sich entgeistert an. Sie hatten mehrere Personen erwartet, aber dieser Mann dort war allein. Und er war ohne Zweifel der Urheber all der eigenartigen Geräusche. Sprach und lachte er etwa mit sich selber? Handelte es sich um einen Verrückten? Und was hatte sein seltsames Treiben zu bedeuten?

      „Er darf uns nicht entwischen!“ stieß Ferris Tucker hervor.

      Nachdem sie sich mit raschen Blicken davon überzeugt hatten, daß sich sonst niemand

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