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zu verlassen, denn alle sind wachsam. Am mißtrauischsten ist jener Capitán Julio de Vilches auf seiner schnellen, gut bewaffneten Schebecke. Wo ist die „Casco de la Cruz“ geblieben? Was halten unsere spanischen Behörden von dem ungewöhnlichen Kurs?

      Unser Ziel sollte Gibraltar sein.

      Aber die Nacht und der helle Tag sind unserem Vorhaben nicht dienlich. Es dauert sicher noch einige Tage, bis wir alle einig sind und wissen, was zu tun ist. Unser Gewissen muß sauber bleiben, denn es geht letzten Endes um unsere Ladung. Sie ist von unschätzbarem Wert.

      Sorgfältig verschloß der Kapitän das Tintengefäß und legte den Federkiel in das Fach des Schreibzeugs zurück. Während er wartete, daß die Tinte eintrocknete, zog er den Korken aus dem Krug und goß unverdünnten, hellbraunen Rum in einen Becher. Er lehnte sich im Stuhl zurück und las das Geschriebene noch einmal. Dann klappte er das Logbuch zu und schob es in das Fach über dem Schreibbrett.

      An der Tür ertönte ein dreifaches Pochen.

      „Ja?“

      „Olinda, Señor. Darf ich eintreten?“

      „Bitte sehr, Paolo.“

      Der weißhaarige Zweite Offizier trat ein und bückte sich unter dem Decksbalken. Die schmale Kapitänskammer zwang ihn, sich auf den Rand der Koje zu setzen.

      Er nahm einen langen Schluck aus dem kleinen Tonkrug und sagte: „An Bord alles ruhig und klar, Don Alvarez.“

      „Gut so. Und was verschafft mir die Ehre und das Vergnügen deines nächtlichen Besuchs?“

      Paolo Olinda grinste unbehaglich und fuhr über sein struppiges Barthaar. Das kratzende Geräusch erinnerte ihn daran, daß er sich spätestens nach der nächsten Wache rasieren wollte.

      „Gemeinsame Sorgen, Don Alvarez.“

      „Das kannst du ruhig lauter sagen“, antwortete der Kapitän. „Du denkst auch an eine Falle?“

      „Falle oder Absonderlichkeit“, erwiderte der Offizier. „Wir sollten mit der ‚Nobleza‘ ganz einfach dorthin segeln, wohin wir immer gesegelt sind. Punktum. Nach Gibraltar nämlich. Mit gefällt’s einfach nicht.“

      „Also“, fing der Kapitän nach einer kleinen Pause an, in der sie ihren Rum über die Lippen und die Zunge rinnen ließen, „wenn ich mich richtig umgehört habe – und meine Ohren sind noch scharf genug – dann ist keiner von uns fünfunddreißig stolzen Spaniern mit dieser Entwicklung zufrieden. Die Mannschaft weiß allerdings nichts von unseren Überlegungen.“

      „Sie braucht es auch noch nicht zu erfahren“, murmelte der Zweite Offizier.

      „Wenn wir in den nächsten drei Tagen dem Konvoi entwischen können“, sagte der Kapitän, und er hatte dabei die Karte vor seinem inneren Auge, „dann ist wohl Südkurs angesagt.“

      „Stimmt. Zur Küste im Norden Afrikas. Und dann hinauf nach Norden nach Gibraltar, den Säulen des Herkules.“

      „Also müßten wir uns binnen zwei, drei Tagen entscheiden?“

      „Genau das müßten wir tun“, stimmte der Zweite zu. „Zumindest für die nächsten zwei Wachen sollte der Wind unverändert aus Süden stehen.“

      „Obwohl, in der Nacht …“ Der Kapitän ließ den Satz unbeendet.

      „Nicht heute. Auf keinen Fall.“

      Der Kapitän dachte schweigend nach. Die kleine Mannschaft, von der das Schiff für die lange Überfahrt sachkundig vorbereitet, überholt und ausgerüstet worden war, würde mit einer befehlsartigen Entscheidung nicht ohne weiteres einverstanden sein. Auf einem kleineren Schiff wie der „Nobleza“ brauchte der Kapitän jeden Mann und jede Hand.

      Es war sinnlos und gefährdete das Schiff, wenn Befehle womöglich mit Waffengewalt erzwungen werden mußten. Die Zeiten waren mehr als unsicher, und wenn die Ladung der „Nobleza“ und deren Wert bekannt war, würde man nicht nur diese Galeone hetzen, solange sie sich nicht in einem sicheren spanischen Hafen befand.

      „Nein. Ganz bestimmt nicht heute nacht“, erwiderte Don Alvarez Santillan und goß beide Becher wieder voll. „Wir reden noch darüber.“

      Keiner glaubte so recht daran, daß König Philipp der Dritte den seltsamen Befehl gegeben hatte, Irland anzusteuern, auch nicht, daß das alles geheimgehalten werden sollte. Die merkwürdigen Schiffe, die den Konvoi begleiteten, riefen in den Offizieren und bei den Kapitänen ebenso ein deutliches Gefühl der Unruhe und des Unglaubens hervor.

      „Ja. Wir müssen noch darüber sprechen“, wiederholte der Zweite Offizier und stierte in den Becher.

      Auf den ersten Blick schien alles in Ordnung zu sein.

      Die „Respeto“, die ihre Position abermals geändert hatte, zog nicht mehr die Schleppe grauen Rauches hinter sich her. Der Konvoi segelte weiterhin auf Nordkurs und war weit auseinandergezogen. Zwischen den grauen, tiefhängenden Wolken blitzte immer wieder die Sonne durch oder brannte mit breiten, schrägen Balken auf das Meer hinunter.

      Die Schebecke der Seewölfe segelte in Luv des Konvois. Noch immer hielten sie gut den Kurs nach Norden. Die ersten, sorgenvollen Blicke zeigten dem Seewolf die einzelnen Schiffe des Konvois und glücklicherweise keinen Fremden, der in ihrer Nähe nichts zu suchen gehabt hätte.

      „Obwohl ich ein wahres Bild des Friedens und der Ruhe sehe“, bemerkte Kapitän Philip Hasard Killigrew schließlich zu Don Juan de Alcazar, „werde ich den Eindruck nicht los, daß schwarzes Unheil in den Rümpfen der Galeonen ebenso nistet wie in den Hirnen ihrer Kapitäne.“

      Don Juan gestattete sich ein überaus herzliches Grinsen, nickte mehrmals und bekräftigte den Eindruck, den der Seewolf hatte.

      „Ich weiß nicht, aus welchen Anzeichen du dies erkennst, aber ich bin deiner Meinung. Wir haben wohl ein wenig zu dick aufgetragen, nicht wahr, Señor Capitán?“

      „Wir waren jedenfalls nicht schüchtern“, meinte Hasard.

      Die Seewölfecrew befand sich bis auf den Kutscher und Mac Pellew an Deck. Jetzt, im Oktober, und weit von der heißen Sonne und dem warmen Wasser der Karibik entfernt, trugen die meisten ihre Segeltuchjacken und die Stiefel.

      „Im Verlauf unseres löblichen Vorhabens“, Don Juan grinste anzüglich, „werden wir auch weiterhin nicht zurückhaltend sein dürfen.“

      Sie beide kannten das Risiko.

      Außer ihnen dachten natürlich auch die Seewölfe über den großen Raid und die Schatzgaleonen nach. Die Distanz, die günstigstenfalls vor dem Konvoi lag, war riesengroß. Auf dem langen Weg konnte alles mögliche passieren – und vieles würde geschehen, das sie sich jetzt noch nicht vorstellen konnten.

      Don Juan hob die Schultern und meinte nach einer Weile: „Im Augenblick sind es wahrscheinlich die Schiffe, die dich beschäftigen. Du traust den Spaniern nicht, den Kapitänen, meine ich.“

      „Eigentlich traue ich niemandem“, erwiderte der Seewolf in sachlichem Tonfall. „Ich rechne damit, daß wenigstens der eine oder andere Kapitän den Befehlen nicht glaubt, die ein gewisser Capitán Julio de Vilches ausgegeben hat.“

      „Damit sollten wir rechnen“, erklärte der Spanier ruhig. „Aber bis jetzt segeln noch alle Galeonen den befohlenen Kurs.“

      „Noch. Aber wie lange noch?“ Hasard lachte sarkastisch. Falsche Selbstsicherheit war nicht sein Fall.

      „Diese Frage kann keiner beantworten“, erwiderte Don Juan. „Fast unaufhaltsam scheinen wir uns den grünen Hügeln Irlands zu nähern.“

      Hasard führte eine seltsame Geste aus. „Unaufhaltsam. Ha!“

      Aber Don Juan hatte recht. Der Schiffsverband war vollzählig und lief auf Nordkurs. Der Schwelbrand war gelöscht, und niemand gab Signale, die Gefahren oder Ärger andeuteten. Der Seewolf rechnete wirklich mit Zwischenfällen aller Art, aber er war eisern entschlossen, den Konvoi über

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