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ihren Lebensunterhalt mit dunklen Geschäften verdienten. Wegen ihrer Verschlagenheit und Gewalttätigkeit hatten sie in der ganzen Umgebung der Bucht von Valinco einen schlechten Ruf.

      Sebastiano Tursi stoppte seine Schritte und legte die Hand über die Augen. Er wußte nicht, wie oft er das an diesem Tag bereits getan hatte. Immer und immer wieder tasteten seine Augen die Kimm nach einer Mastspitze ab. Er wußte, daß er verloren war, wenn die „Santa Maria Figaniella“ nicht erschien. Er konnte sich nicht mehr länger verstecken. Die Brüder Ducale hatten geschworen, ihn umzubringen. Sie würden nicht nachlassen, ihn überall mit fanatischem Eifer zu suchen.

      Schon konnte er weiter unten in der Bucht, wo sich das silbrige Band des Taravo in den Golf ergoß, die Mauern von Porto Bollo erkennen. Dort lebte seine Familie und ernährte sich mühsam von der kargen Landwirtschaft. An einen lohnenden Fischfang war nicht mehr zu denken, denn außer ihm gab es keine Männer mehr in der Familie, die auf das Meer hinausfuhren.

      Sebastiano war gedrückter Stimmung. Er konnte sich nicht einmal von seiner Mutter und seinen Schwestern verabschieden, denn er mußte wie ein Geächteter das kleine Dorf umgehen, um ungefährdet den Strand zu erreichen.

      Seine Familie war verarmt. Außer der Liebe Dorinas, die oben auf dem Berg in einem winzigen Gehöft bei ihren Eltern lebte, besaß er nichts, was er mit in die Ferne nehmen konnte. Sein ganzer Besitz war das, was er am Leibe trug.

      Sebastiano hastete über Steine und Geröll, vorbei an Mastixsträuchern, duftendem Lavendel und hochwucherndem Farnkraut. Er durchquerte ein Felsenlabyrinth und erreichte dann die Macchia, den dichten, immergrünen Buschwald, der sich über einen Teil des Berghanges hinunterzog.

      Die Luft roch frisch und salzig, der Abend brachte eine milde Brise vom Meer herüber. Die Sonne hatte sich fast bis zum Horizont gesenkt und tauchte die Wasserfläche des Golfes von Valinco in einen rötlichen Schimmer.

      Aber Sebastiano Tursi hatte nicht die Zeit, diesen herrlichen Ausblick zu genießen. Er verhielt gerade neben einer Gruppe von Mandelbäumen, um seine Augen über die endlosen Wassermassen gleiten zu lassen – da sah er das Schiff.

      Zuerst waren es die Mastspitzen und die großen Rahsegel, die an der Kimm auftauchten, und Sebastiano hoffte sehr, daß sie zur „Santa Maria Figaniella“ gehörten. Wieder und wieder ließ er seine Augen in die Ferne schweifen, doch er täuschte sich nicht. Das Schiff war näher gerückt und hielt unverkennbar auf die riesige Bucht zu.

      Der junge Korse beschleunigte seine Schritte. Sein Herz begann plötzlich wie wild zu pochen. Aber so erleichtert er einerseits war, daß Niccolò Borgo sein Wort gehalten hatte, so sehr bedrückte ihn doch die Tatsache, daß er seine Heimat verlassen mußte. Still und heimlich, wie ein Dieb oder Ehrloser, mußte er sich davonschleichen, wenn er am Leben bleiben wollte.

      Aus der Ferne hörte Sebastiano die Schiffsglocken glasen. Längst ging er nicht mehr, sondern rannte. Seine nackten Füße eilten über Steine und Geröll. Rasch wechselte er die Richtung, um Porto Bollo zu umgehen. Die Konturen des Segelschiffes waren inzwischen größer und deutlicher geworden. Ruhig und majestätisch lief es in die Bucht ein.

      Der Weg zum Strand war nicht mehr weit. In wenigen Augenblicken mußte er den unteren Rand des Buschwaldes erreichen. Ein Stück weiter unten konnte er sich bereits in der Deckung der Felsen ans Wasser heranarbeiten, ohne gesehen zu werden. Er hatte jedoch längst die Erfahrung gesammelt, daß die Familie Ducale überall ihre Spitzel hatte. Nirgendwo konnte man sich deshalb in Sicherheit wiegen, zumindest nicht über einen größeren Zeitraum hinweg.

      Das plötzliche Poltern von Steinen und Geröll ließ Sebastiano herumfahren. Seine Augen weiteten sich, über seinen Rücken fegte ein eiskalter Schauer.

      Sie waren da. Sie hatten ihn gefunden. Dort oben am Steilhang verschwanden sie blitzschnell hinter einigen Felsblöcken, aber er hatte sie gesehen. Es waren Fulvio und Cosimo Ducale. Ihre wilden, bärtigen Gesichter waren unverwechselbar. Sebastiano zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie versuchen würden, ihn zu töten, sobald sie näher an ihn herangelangt waren.

      Er brauchte wahrhaftig kein Rechenkünstler zu sein, um sich seine Chancen auszurechnen. Sie waren zu zweit und wahrscheinlich bis an die Zähne bewaffnet. Er war nicht nur allein, sondern er hatte auch keine Waffen, wenn man von dem einfachen Buschmesser absah, das er am Gürtel trug.

      Also kombinierte Sebastiano Tursi blitzschnell, daß er in erster Linie auf seine Beine angewiesen war. Er dachte nicht im geringsten daran, aufzugeben. Gerade jetzt nicht, als die „Santa Maria Figaniella“ mit vollem Zeug in die Bucht segelte.

      Der junge Korse wußte sehr wohl, daß ihm der Tod dicht im Nacken saß, aber er wußte auch, daß er schnell und geschmeidig sein konnte wie eine Raubkatze, wenn es um sein Leben ging.

      Rasch wirbelte Sebastiano herum und lief weiter, lief um sein Leben. Er achtete nicht auf spitze Steine und Dornen, die ihm bald blutige Spuren in die Haut rissen und sein Hemd zerfetzten. Er hatte nur ein Ziel vor Augen: den Strand. Er mußte ihn erreichen und notfalls schwimmend versuchen, zum Schiff zu gelangen.

      An den Geräuschen hinter sich erkannte er, daß ihm die Verfolger auf den Fersen waren. Er nahm sich nicht die Zeit, einen Blick nach hinten zu werfen, denn der Weg war steinig und gefährlich. Er mußte sich voll auf sein Ziel konzentrieren. Einmal stolperte er und stürzte. Aber er raffte sich sofort wieder auf und lief weiter. Daß seine Hose über dem rechten Knie in Fetzen hing, registrierte er nur am Rande. Um die Hose ging es nicht, sondern um ihn – um sein Leben.

      Die Geräusche hinter ihm wurden lauter. Die Verfolger schienen aufzuholen. Doch plötzlich verstummten sie, und Sebastiano hörte eine rauhe Männerstimme rufen: „Bleib stehen, Tursi, gib auf! Es hat keinen Zweck mehr, wir kriegen dich doch!“ Wie zur Bekräftigung dieser Worte krachte ein Pistolenschuß durch das Gestrüpp.

      Aber Sebastiano stürmte weiter. Er dachte nicht ans Aufgeben.

      Auch die Laute hinter ihm, die von raschen Fußtritten auf dem Geröll verursacht wurden, setzten wieder ein. Offenbar waren auch Fulvio und Cosimo Ducale fest entschlossen, ihr Ziel zu erreichen.

      Als die Verfolger wieder ein Stück aufgeholt hatten, stoppten sie ihre Schritte abermals. Unmittelbar darauf flog am Kopf Sebastianos etwas vorbei, und er hörte einen dumpfen Aufprall. Noch im Laufen sah er, was es war – ein Messer, das sich wenige Schritte vor ihm in den Stamm einer Laricio-Kiefer gebohrt hatte.

      Doch dieser Mordversuch der Brüder Ducale verschaffte ihm nur einen weiteren Vorsprung. Während er von einem mächtigen Felsblock aus hinuntersprang in den weichen Sand des Strandes, sah er, daß die „Santa Maria Figaniella“ ein Stück draußen bereits vor Anker gegangen war. Die Segel waren aufgegeit worden, und einige Männer waren damit beschäftigt, ein Beiboot abzufieren.

      Sebastiano Tursi sah sein Ziel zum Greifen nahe. Aber er fühlte instinktiv, daß er noch lange nicht gewonnen hatte. Der Tod saß ihm noch immer im Nacken, deshalb jagte er mit Riesenschritten über den breiten Strand, direkt auf das Wasser zu, das den Sand leicht umspülte. Es gab keinen anderen Weg für ihn, er konnte sich nicht wie eine Maus in einem Loch verkriechen. Und hätte er es tun können, dann würden die Brüder Ducale mit Sicherheit vor dem Loch warten, bis er wieder auftauchen mußte. Ihr Haß und das Gesetz der Vendetta trieb sie weiter, rücksichtslos und unaufhaltsam.

      Das Wasser spritzte auf, als sich Sebastiano mit fliegendem Atem hineinstürzte. Er war, wie die meisten Korsen, die in Küstennähe aufgewachsen waren, ein schneller und geübter Schwimmer. Aber auch Wasser konnte nicht unbedingt vor tödlichen Pistolenkugeln retten.

      Während der junge Bursche, der um sein Leben schwamm, sah, wie die Männer im Beiboot der „Santa Maria Figaniella“ eilig auf ihn zupullten, erreichten auch Fulvio und Cosimo Ducale den Strand. Während sich Fulvio, der seine Pistole bereits abgefeuert hatte, ein Messer zwischen die Zähne klemmte und sich ins Wasser warf, verhielt Cosimo einen Moment und hob seine Schußwaffe. Die Kugel fuhr dicht neben Sebastiano ins Wasser und riß eine kleine Fontäne hoch. Dann tauchte auch der braunhäutige Cosimo in die Fluten.

      Sebastiano konnte nicht zurückblicken, aber er hoffte, seinen Vorsprung halten zu können.

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