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Frage schon ein paarmal gestellt und wiederholte sie jetzt.

      „Etwa zehn Minuten später“, sagte Jerry schluckend. Auch ihn wühlte das Erlebnis wieder auf. „Ich weiß nicht mehr warum, aber wohl rein instinktiv habe ich die ‚Isabella‘ hart an den Wind auf Nordkurs gelegt, und dann begann die Hölle. Es ist kaum zu beschreiben, als unser Tanz auf dieser Welle anfing. Es war ein Höllenritt, und niemand rechnete damit, daß wir das überleben würden. Dann folgten kleinere Flutwellen, das Meer hat gekocht, und ständig war dieses Donnern und Rumpeln zu hören. Das ging gut zwei Stunden lang, bis sich die See wieder beruhigte.“

      „Dann seid ihr nach Coral Island zurückgesegelt“, sagte der Profos mit düster verzogenem Gesicht.

      „Ja – und es gab Coral Island nicht mehr. Die Insel war in der See versunken, wir fanden nur ein paar Trümmer vor. Überlebt hat es niemand von den Indianern.“

      Der Profos und die anderen hörten kopfschüttelnd zu und wollten es immer noch nicht wahrhaben. Er sah Jerry Reeves an, als zweifele er an dessen Navigationskünsten, doch dann senkte er den Kopf und dachte an Dan O’Flynn, den man anfangs auch ausgelacht hatte, als er die Schlangen-Insel nicht mehr fand.

      Nein, das ist alles bloßes Wunschdenken, dachte der Profos bedrückt. Es gab die beiden Inseln nicht mehr. Zumindest die Schlangen-Insel hatte auf einem unterseeischen Vulkan gestanden, und Coral Island war durch die Flutwelle versunken. Außer dem einen Schlangen-Krieger hatten sie nach gründlicher Suche noch die Leichen zweier Kriegerinnen in der See treibend gefunden. Sie hatten furchtbare Verbrennungen und Verletzungen, als seien sie in eine Explosion geraten.

      Der Profos starrte wieder über das Wasser. Tief unter sich glaubte er, spitze Schroffen zu sehen, Teile der noch aufragenden Felsen, die der furchtbare Ausbruch gespalten hatte. Die Überreste einer autarken Zivilisation befanden sich mindestens zwanzig Yards tief unter Wasser, falls man von Überresten überhaupt sprechen konnte. Auch die beiden Schiffe „Lady Anne“ und „Tortuga“ ruhten irgendwo dort unten auf dem Meeresgrund und waren der Tragödie zum Opfer gefallen.

      Aus und vorbei, alles hat einmal ein Ende, dachte Carberry wie betäubt. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich alles gegen sie gekehrt, und was sie einst besessen hatten, existierte nicht mehr.

      Was angreifende Schiffe nicht geschafft hatten – die See hatte alles mit einem gewaltigen Donnerschlag hinweggefegt.

      Hesekiel Ramsgate, der alte graubärtige Schiffbaumeister, hatte überlebt, aber nur durch eine Fügung des Schicksals. Er befand sich auf der Fahrt nach Havanna, um unter anderem die Holzeinkäufe zu überprüfen. Zur Vervollständigung der deutschen Crew hatte er noch acht seiner Männer mitgenommen. Die hatten vom Untergang der beiden Inseln noch keine Ahnung. Aber sie würden es ebenfalls bald wissen, denn die Brieftaube Amina war bereits unterwegs, um die furchtbare Nachricht nach Havanna zu übermitteln.

      Und noch etwas kam hinzu, das etlichen anderen das Leben gerettet hatte. Bevor die Insel in Rauch und Feuer versank, war Old Donegal in Begleitung des Schwarzen Seglers nach Tortuga ausgelaufen, um dort einzukaufen, und diese Gelegenheit hatten Mary O’Flynn, Gotlinde mit ihren Zwillingen und Gunnhild mit ihrem Söhnchen Klein David genutzt und waren mitgesegelt.

      Dem Profos rieselte es jetzt noch kalt über den Rücken. Er war kein Freund von „wäre“ und „hätten“, aber diesmal stand es fest: Wären sie auf der Insel geblieben, dann hätte keiner von ihnen den Untergang überlebt.

      „Besaufen sollte man sich“, brummte der Profos leise, „und zwar so, daß es einem aus den Ohren wieder rausläuft.“

      „Saufen hilft auch nicht“, erwiderte der Schwede Stenmark, „da wird alles nur noch schlimmer, und manch einer gerät darüber ins Grübeln.“

      „Jedenfalls lenkt es von dem ganzen Scheiß ab“, sagte Carberry.

      Smoky sah von einem zum anderen und meinte: „Saufen sollte man jetzt nicht, lieber einen trinken. Das bringt andere Gedanken. Wir sollten später darauf anstoßen, daß es wenigstens ein paar Überlebende gegeben hat. Ich mag mir gar nicht vorstellen, daß Gunnhild und David oder die anderen …“

      Er unterbrach sich, hustete krächzend und blickte in die Richtung seiner Frau, die Klein David auf dem Arm hielt.

      „Die lieben Kinderchen haben es gut“, sagte Matt Davies, „die wissen gar nichts von der ganzen Tragödie. Für sie wird später einmal die Schlangen-Insel nur noch eine Legende sein, um die sich wundersame Geschichten ranken. Ich verstehe nur nicht, daß absolut nichts mehr übriggeblieben ist. Vielleicht liegt ja noch einiges auf dem Meeresgrund.“

      „Glaube ich nicht“, widersprach Sten. „Der Vulkanausbruch muß alles zerblasen haben. Wenn er mit einer solchen Gewalt ausgebrochen ist, wie Jerry sagte, dann hat er die Insel mitsamt den Kanonen, Schätzen und den Felsen zerstört. Da ist alles innerhalb kürzester Zeit zerschmolzen und verdampft.“

      „Lebensmittel haben wir auch keine mehr“, meinte Sam Roskill bedrückt, „denn wenn es Coral Island nicht mehr gibt, entfällt auch der Nachschub von dort.“

      „Das ist noch mehr als beschissen“, sagte Luke Morgan, der ebenfalls wie suchend über das Wasser blickte. Der kleine Luke wurde das Gefühl nicht los, als müsse jeden Augenblick aus dem weit hinten über der See liegenden Dunst die Schlangen-Insel auftauchen. In dem wabernden Dunst glaubte er die Passage mit ihrem gefährlichen Mahlstrom zu erkennen, wo das Wasser über dem Höllenriff brodelte. Aber das war eine Täuschung, denn die Nebelgespinste gaukelten den Männern Trugbilder vor, und so sah jeder das, was er gern sehen wollte.

      „Unsere Unterkünfte an Land sind futsch, und von der Kneipe ist nicht mal ein Hauch geblieben. Dabei war in Old Donegals Rutsche doch immer mächtig was los. Unsere enorme Schatzbeute ist ebenfalls futsch, aber das juckt mich nicht weiter. Ich bedaure vor allem die Menschen, die hier hilflos umkamen und keine Möglichkeit zur Flucht mehr hatten.“

      Hasard lauschte den Unterhaltungen seiner Männer mit fast ausdruckslosem Gesicht. Einige schienen zu resignieren, andere hingen ihren trübseligen Gedanken nach, und ein paar weitere blickten immer wieder über die See und schüttelten die Köpfe.

      „Hesekiels Werft ist auch ein Opfer der See geworden“, sagte er, „alles was es hier jemals gab, ist verschwunden für alle Zeiten. Alles was wir aufgebaut haben, hat der Ausbruch zerstört, ganz zu schweigen von unseren Freunden, die wir verloren haben. Natürlich stehen sie an allererster Stelle, und ihr Leben ist durch nichts zu ersetzen. Alles andere bauen wir wieder auf, an sicherer und besserer Stelle. Wir dürfen jetzt nicht ins Grübeln verfallen, denn das belastet uns noch mehr. Daher schlage ich vor, daß wir an etwas anderes denken und uns ausgiebiger damit befassen, denn jetzt geht es um unsere Zukunft und ums Überleben.“

      „Und wie wollen wir uns ablenken?“ fragte Sam Roskill zaghaft.

      Hasard setzte seinen Gedanken in die Tat um.

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