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kursierten neuerdings Gerüchte von einer seltsamen Krankheit. Sie kam wie ein mörderischer Blitz aus heiterem Himmel, und sie brachte ihre Opfer innerhalb von wenigen Tagen oder bestenfalls Wochen um.

      Niemand hatte je von dieser Krankheit gehört, folglich hatte sie keinen Namen. Selbst die erfahrensten Ärzte von Havanna, sonst immer schnell mit Erklärungen zur Hand, schienen diesmal ratlos zu sein.

      „Ich kann ja nicht mal runter“, flüsterte Joaquin. „Ich brauche schon zwei Hände für mich, und wenn ich nur mit einer loslasse, stürze ich ab. Das weiß ich.“

      „Glaubst du, ich lasse dich allein abentern?“ sagte Rincon. „Hältst du mich für ein solches Schwein? Los jetzt, packen wir’s. Je eher du in deiner Koje liegst, desto eher bist du wieder auf den Beinen.“

      Er schob sich dicht neben den kreidebleichen Freund, legte ihm den linken Arm um den Oberkörper und veranlaßte Joaquin, seinerseits den rechten Arm über seine Schulter zu legen.

      Paco wußte, daß es ihm mit seinem rauhen Ton nur halbwegs gelang, sein Erschrecken zu verbergen. Joaquin war immer wie ein junger Gott gewesen, voller überschwenglicher Lebenskraft. Daß es ausgerechnet ihn treffen sollte, war mehr als unbegreiflich.

      Langsam schob sich Paco Rincon mit dem hilflosen Freund auf den Großmast zu. Unten, auf der Kuhl, waren sie bereits aufmerksam geworden.

      Ein paar der Seesoldaten und auch einige Decksleute standen da, Fäuste in den Hüften, Kopf weit im Nacken. Etwas Abwechslung in der Bordroutine war ihnen immer willkommen, obwohl sie eigentlich genug damit zu tun haben sollten, sich innerlich auf die Begegnung mit den Engländern vorzubereiten. Denn es würde alles andere als ein Spaziergang werden, wenn man den gefürchteten Seewolf zur Strecke bringen wollte.

      Aber so weit konnten diese Kerle nicht denken. Sie weideten sich an jeder kleinen Sensation. Wie dreckig es Joaquin Delvero ging, interessierte sie dabei überhaupt nicht. Und wenn er abkratzte, war für sie bestenfalls wichtig, ob es nach der Seebestattung eine Sonderration Rum gab oder nicht.

      Kapitäne wie de Campos pflegten mit solchen Maßnahmen die Stimmung an Bord einigermaßen erträglich zu halten, wenn auch sonst meist ein Zustand herrschte, der knapp unterhalb der Grenze zur Meuterei lag.

      Gebrüll wurde laut.

      „He, Rincon!“ Eine Stimme, die sich so anhörte, als ob man mit einem rauhen Stein über ein Trommelfell fuhr. Der Profos. Einer, der beim Kapitän gern katzbuckelte. „Was ist los da oben? Händchenhalten oder so was?“

      „Delvero ist krank!“ brüllte Paco zurück. „Ich bringe ihn runter.“

      Der Profos schien sich vorerst damit zufrieden zu geben.

      Die beiden Männer in den Fußpferden der Großmarsrah erreichten die Wanten. Paco Rincon schaffte es, seinen Freund in die Wanten zu bugsieren. Joaquin war bereits wie ein nasses, schlaffes Bündel. Den schlimmsten Teil hatten sie geschafft. Paco traute sich zu, in den Wanten sogar einen Toten nach unten zu bringen.

      Er haßte sich für den Gedanken. Fing er etwa an, sich selbst auch verrückt zu machen? Joaquin war noch nicht tot, und er würde auch nicht sterben – einerlei; was in den Hafenschenken und überall in der Stadt über die heimtückische Krankheit erzählt wurde.

      Bei den Huren sollte man sich’s holen, nichts von dem aber, was man schon kannte. Andere, die es noch genauer wissen wollten, hatten eine Geschichte in Umlauf gesetzt, die man sich nur hinter vorgehaltener Hand zu erzählen wagte.

      Die Vornehmsten Señoras aus den allerfeinsten Kreisen sollten es noch viel schlimmer treiben als jedes Hafenmädchen. In eben jenen feinen Kreisen mit ihrem ausschweifenden Leben sollte die Krankheit entstanden sein.

      Etliche der Hochwohlgeborenen hatte es vermutlich schon erwischt. Aber das wurde natürlich mit dem Mantel des Schweigens zugedeckt.

      In Joaquins Fall konnte nichts von all dem zutreffen. Er war kein lasterhafter Mensch, und mit Dirnen hatte er nie und nimmer etwas zu tun. Dafür konnte Paco Rincon seine Hand ins Feuer legen. Und mit der Adelsclique von Havanna hatte Joaquin ebenfalls nie etwas im Sinn gehabt, obwohl er sich zu diesen Kreisen durchaus Zutritt verschaffen konnte, wenn er nur wollte. Doch er bewahrte sein Geheimnis. Paco hatte nie ganz begriffen, warum sein Freund diesen blödsinnigen Drang hatte, ein einfaches Leben zu leben, da er es doch viel, viel besser haben konnte – zu Hause, in Spanien.

      Als er mit seiner schweren Last endlich die sicheren Decksplanken erreichte, sah sich Paco Rincon einem starrenden Halbrund von neugierigen Augenpaaren gegenüber. Er hatte das Gefühl, daß Joaquin bereits bewußtlos war.

      Doch unvermittelt löste sich Delvero von seinem stützenden Arm.

      „Schon gut, Paco, es ist schon gut. Vielen Dank. Ich glaube, ich kann selber …“

      Bevor Rincon es verhindern konnte, taumelte Delvero, kippte vornüber und schlug der Länge nach auf die Planken.

      Paco spürte etwas wie Panik in sich aufsteigen. Wut und Besorgnis brachen aus ihm heraus. Wut über die Gleichgültigkeit der anderen, grenzenlose Besorgnis um den Freund.

      „Will denn keiner den Feldscher holen?“ brüllte er. „Verdammt noch mal, seht ihr nicht, was los ist?“

      Die Männer reagierten nicht, sie starrten ihn und den Ohnmächtigen nur an. Der Profos, ein klotziger Mann mit mächtigem Vollbart, trat vor. Mit der Stiefelspitze stieß er gegen den Oberarm Delveros und drehte ihn auf den Rücken.

      „Lebt noch“, brummte der Klotz, „also simuliert er.“

      Paco Rincon sperrte den Mund auf. Er glaubte, seinen Ohren nicht mehr trauen zu können.

      „Joaquin Delvero hat stets seine Pflicht erfüllt“, sagte Paco Rincon standhaft und mit nur mühsam beherrschtem Zorn. „Er ist nie aufgefallen, hat sich nie vor einer Aufgabe gedrückt und ist nicht einen einzigen Tag krank gewesen. Es ist eine Sünde, ihn auf so eine Art und Weise zu beschuldigen. Niemals würde er simulieren, niemals!“

      Die Augen des Profos verengten sich.

      Rincon beachtete ihn nicht. Fassungslos blickte er in die stumme Runde.

      „He, warum sagt ihr nichts? Ihr alle kennt Joaquin. Ihr wißt genau, daß ich die Wahrheit sage. Wollt ihr ihn etwa verrecken lassen?“

      Keiner antwortete. Die Blicke senkten sich und wichen ihm aus.

      „Rincon“, sagte der Profos gefährlich leise. „Jetzt hältst du das Maul, verstanden! Oder ich lasse dich wegen Aufsässigkeit an den Großmast binden. Die Arbeit an Deck geht weiter, damit das klar ist. So ein verdammter Simulant haut uns nicht den ganzen Arbeitsablauf kaputt. Verstanden?“

      Paco Rincon hatte das ohnmächtige Gefühl, vor Verzweiflung aus der Haut fahren zu müssen. Doch er hatte nur die eine Möglichkeit, seiner Empörung Luft zu verschaffen. Er brüllte alles aus sich hinaus.

      „Er ist kein Simulant, zum Teufel! Er ist krank, du Schinder! Wenn du ihn auf dem Gewissen hast, wird Gott dich bestrafen. Das schwöre ich dir. Du wirst verflucht sein bis ans Ende deiner Tage und …“

      Eine Stimme wie ein Peitschenhieb unterbrach ihn.

      „Was geht da vor? Profos, sorgen Sie für Ruhe, und machen Sie Meldung!“

      Paco Rincon biß sich auf die Unterlippe. Doch der Trotz wollte aus seinem Gesicht nicht weichen.

      Der Profos warf ihm noch einen drohenden Blick zu, dann drehte er sich langsam zum Achterdeck um. Es war der Erste Offizier, der sich an der Schmuckbalustrade aufgebaut hatte, sich mit den Fingerspitzen seiner behandschuhten Hände auf den Handlauf stützte und ungeduldig auf den Zehenspitzen wippte.

      „Nun, was rechtfertigt so ein unflätiges Geschrei?“ peitschte seine Stimme abermals.

      Der Profos nahm Hab-Acht-Stellung an.

      „Mit Verlaub, Señor, ich habe einen Simulanten in der Mannschaft entlarvt, und dieser Drecksack behauptet, ich lüge.“ Anklagend wies er auf Rincon.

      Der

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