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      Fong wäre vielleicht bis zum Anbruch der Dunkelheit so stehengeblieben, wenn nicht die ältesten Männer des Dorfes langsam nähergetreten wären.

      Schweigend verharrten sie eine Weile hinter ihm. Der Wind nahm zu und heulte drohend über das Dorf weg.

      „Vielleicht trägt das Wetter den Fluch fort“, sagte einer der älteren Männer schließlich.

      „Wir trauern um den kleinen Tsao“, erwiderte ein anderer. „Aber wir dürfen noch hoffen, daß das Leben seine natürliche Fortsetzung findet.“

      Ein dritter sagte: „Wir müssen hoffen und beten und Feuer anzünden, um alle Greuel zu verjagen.“

      Fong-Ch’ang wandte sich langsam zu ihnen um.

      Erst jetzt sahen sie, daß er sich etwas über das Gesicht gestreift hatte – eine Maske aus dunklem, gegerbtem Leder. Für die Nase befand sich eine Ausbuchtung in der Maske, und nur vor den Augen waren Schlitze aus dem Material gestanzt worden.

      Fongs Blick war starr auf die kleine Versammlung gerichtet. Sein verhülltes Antlitz erinnerte an die Fratze eines unheimlichen, aus der Finsternis kommenden Vogels.

      „Ihr irrt euch“, sagte er leise. „Alle. Wir. dürfen nicht herumstehen und darauf warten, daß alles eine glückliche Wende nimmt. Wir müssen selbst etwas tun.“

      „Die Ärzte, die Könige der Medizin, sind fortgegangen“, entgegnete der erste Sprecher. „Wen sollen wir um Rat fragen?“

      „Niemanden. Unser Instinkt und der Mut der Verzweiflung geben uns ein, wie wir uns zu verhalten haben.“

      „Was schlägst du vor, o Fong?“ fragte ein anderer Mann.

      Fong-Ch’ang wies auf den kleinen Hafen, der etwas nördlich versetzt zu seinen Füßen lag. Mehr als zwei Dutzend Sampans, kleine Boote, lagen dort an einfachen Anlegern vertäut, aber auch eine große, reich verzierte Dschunke, die dem ganzen Dorf gehörte und als Verkehrs- und Frachttransportmittel überall dorthin diente, wohin die kleinen Wasserfahrzeuge nicht gelangen konnten – zum Beispiel zu der im Südosten liegenden großen Insel hinüber, die Formosa genannt wurde.

      „Wir müssen die Dschunke ausrüsten und zum Auslaufen bereitmachen“, sagte Fong. „Nur wenn wir den Tod aus dem Ort tragen und weit draußen versenken, haben die Überlebenden die Aussicht, vom Schlimmsten verschont zu werden.“

      Die älteren Männer verneigten sich. „Wir gehorchen dir, o Fong“, sagte der dritte Sprecher. „Wir haben dich zu unserem Anführer gewählt, weil du stets am meisten Umsicht und Klugheit gezeigt hast. Warum aber trägst du die Maske aus gegerbter Tierhaut?“

      „Wegen des Hauchs der Verdammnis.“

      „Der von Tsao ausgeht?“

      „Ja.“

      „Wir verstehen“, erklärte der erste Mann ernst und würdig. „Und wir weinen mit dir um den kleinen Tsao.“

      „Ich weine nicht“, erwiderte Fong-Ch’ang mit stolz erhobenem Kopf. „Keiner wird das jemals von mir sehen, auch dann nicht, wenn ich auf eine noch härtere Probe gestellt werde.“

      Alle blickten sich plötzlich um, denn eine Frau lief aus dem Dorf zu ihnen herüber. Sie gestikulierte und stieß hohe, erregte Laute aus. Als sie fast heran war, konnten alle verstehen, was sie rief.

      „Fong-Ch’ang, rasch! Tao-t’ien, deine Frau …“

      Fong rannte los. Er legte den toten Tsao nicht auf dem Erdboden ab, er ließ ihn nicht aus den Händen. Vor dem pfeifenden und wispernden Wind lief er auf sein Steinhaus zu, das Haus, das er vor fünf Jahren gemeinsam mit Taot’ien Block um Block errichtet hatte, bis es ihm als Heim für die künftige Familie hoch und groß genug erschienen war.

      Die Übermittlerin der Nachricht hastete neben ihm her.

      „Ihr ist plötzlich schlecht geworden!“ rief sie. „Das Kind in ihrem Leib …“

      „Wer ist bei ihr?“

      „Zwei andere Frauen.“

      „Großer Chan“, stieß Fong immer wieder hervor. „Gib, daß es nur das Kind war, Großer Chan, ich flehe dich an.“

      Tao-t’ien trat aus dem Eingang des Steinhauses, als sie sich nur noch etwa fünfzehn Schritte davon entfernt befanden. Sie hob beide Hände, streckte sie nach ihrem Mann aus und stammelte ein paar Worte. Dann brach sie zusammen. Sie wälzte sich langsam auf den Rücken, ihre Arme fielen zur Seite. Reglos blieb sie liegen.

      „Tao!“ schrie Fong.

      Er stürzte zu ihr, kniete neben ihr nieder und legte nun auch den toten Jungen hin. Er fuhr mit den Händen über den Körper seiner Frau und las in ihren Zügen, daß es die gleichen Symptome waren, die gleichen Zeichen des inneren Verfalls, die er auch bei Tsao bemerkt hatte, bevor die Geißel des Todes zugeschlagen hatte.

      Die Frau, die ihn benachrichtigt hatte, wagte sich nicht mehr in das Steinhaus. Und auch die anderen beiden, die Tao-t’ien hatten beistehen sollen, waren geflüchtet.

      „Man hole einen Arzt!“ rief einer der älteren Männer, der vor Entsetzen bereits nicht mehr wußte, was er sagte.

      „Die Könige der Medizin sind aus dem Dorf gegangen“, murmelte sein Nachbar. „Aber auch sie hätten die junge Frau nicht mehr retten können. Noch lebt sie. Doch sie wird den Einbruch der Nacht nicht mehr erleben.“

      Fong-Ch’ang streichelte das Gesicht seiner Frau. Er flüsterte ihr Worte zu, aber sie hörte ihn nicht, denn sie war bewußtlos.

      Sie war schön wie eine Blume im Frühling, und ihre Haut hatte die Zartheit eines Pfirsichs. Sie hatte alles Verheißungsvolle des Lebens noch vor sich gehabt, und jetzt gab es auch für sie keine Hoffnung mehr.

      Fong sah alles in Glut und wirbelnder Asche versinken. Keine Hoffnung mehr. Das, woraus er seinen Mut geschöpft hatte, wurde vernichtet: seine Liebe, seine Frau, seine Kinder, die für ihn die Zukunft bedeuteten. Das ungeborene Wesen im Schoß von Tao-t’ien mußte mit ihr sterben, die Zeit war noch nicht reif, um ihm eine Chance fürs Leben einzuräumen.

      Hier war sie, die härteste Probe in Fongs Dasein. Fast erschien es ihm, als habe er dieses neue, erschütternde Drama durch seine Worte an der Küste selbst heraufbeschworen.

      Er erhob sich, trug Tao in das Steinhaus und bettete sie auf ihr Lager. Er kehrte zu den älteren Männern zurück, übergab ihnen den Leichnam Tsaos und sagte: „Bringt ihn zu den anderen und hüllt ihn in schwarze Gewänder. Schafft sie alle auf die große Dschunke.“

      Sie erwiderten etwas, aber er nahm es nicht in sich auf. Stumm, mit beinahe marionettenhaften Bewegungen, trat er wieder in sein Haus.

      Er tat für Tao-t’ien, was in seinen Kräften stand. Er griff in seiner großen Verzweiflung sogar zu Kräutermixturen, die ihm einmal ein wandernder Zauberer überlassen hatte und auf die er eigentlich nie etwas gegeben hatte.

      Doch es nutzte alles nichts. Tao kam nicht wieder zu sich. Ihre Atemzüge wurden schwächer. Im Dahindämmern wechselte sie unaufhaltsam in die Sphäre des Jenseits über.

      „Die schwarze Krankheit“, stöhnte Fong. „Sie schlägt schnell und gandenlos zu. Verflucht soll sie sein.“

      Er ging ins Freie. Die Männer, die vor seinem Haus geblieben waren, sahen ihn erwartungsvoll an. Trotz allem hofften sie noch auf ein Wunder.

      Fong-Ch’ang schüttelte sein maskiertes Haupt. „Nach all den bitteren Erfahrungen der vergangenen Tage weiß ich, daß es für Tao keine Rettung mehr gibt.“

      Er schwieg lange, dann sagte er: „Nun gibt es für mich nur noch eine Aufgabe – das Dorf zu schützen, soweit es noch zu schützen ist. Wie steht es mit den Vorbereitungen auf der Dschunke?“

      „Sie sind fast abgeschlossen“, erwiderte der älteste Mann, ein greiser, gebeugter Weißhaariger. „Es fehlt uns nur noch der Rudergänger.

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