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Wochen schon hatten sie kein fremdes Schiff mehr gesehen, doch als jetzt am nördlichen Horizont Masten auftauchten, brandete Jubel auf, und das scheinbar freundliche Inselvölkchen rottete sich am Strand zusammen. Männlein, Weiblein und Kinder zeigten sich, und auch ein paar Hunde, die zwischen ihnen herumtollten.

      Selam stand am Ufer und blickte durch einen kostbaren Messingkieker. Sie hatten mehr als zwei Dutzend davon. Mit einigen spielten die Kinder, ein paar andere lagen unbeachtet in den Hütten am Strand.

      Die Strandhütten waren einfach eingerichtet, aber hinter einem Wall aus Büschen, Palmen und dichtem Verhau standen weitere Hütten, und die waren alles andere als spartanisch eingerichtet. Da gab es Kupferkessel, Eisenpfannen, eiserne Herde und Werkzeuge aller Art – eben alles das, was auf Schiffen zu finden war.

      Diesen Reichtum hatten die Insulaner Selam zu verdanken, beziehungsweise seinem hellen und ausgefuchsten Köpfchen, und weil er der Teufel in Person war, der noch nie etwas von Skrupeln gehört hatte.

      Selams ständiger Satz hieß immer: „Es gibt nur zwei Arten von Schiffen: Solche, die auf dem Riff liegen, und solche, die bald auf dem Riff liegen werden.“

      Auf den Riffen lagen wahrhaftig genug, und auf den unsichtbaren Riffen würden demnächst noch mehr liegen, die die teuflische Falle nicht erkannten und ahnungslos hineinsegelten – oder von Selam hineingesegelt wurden.

      Die natürlichen Riffe waren aus Korallen gewachsen und scharfgeschliffen wie die Schneidezähne einer Riesensäge. Sie zogen sich über mehr als eine Meile hin. Manche von ihnen waren deutlich sichtbar. Andere waren unter Wasser verborgen und nicht zu erkennen. Vom Norden her gab es auf der linken Seite eine breite Durchfahrt, die dem Anschein nach frei von Riffen war.

      Hier hatten die freundlichen Inselbewohner jedoch tatkräftig nachgeholfen und in mühevoller Arbeit Bollwerke unter Wasser angebracht.

      Das war Selams Idee gewesen, seit sie von Java mit einer Horde Männer und Frauen herübergekommen waren. Sie hatten lange nach einer derartigen Inselpassage gesucht, die harmlos aussah und dennoch voller Tücken steckte, und hier hatten sie eine solche Passage endlich gefunden.

      Anfangs hatten sie ein armseliges und karges Leben geführt und mußten sich mit dem begnügen, was die Inseln hergaben. Dann ging es ihnen immer besser, seit sie die künstlichen Riffe gebaut hatten und die ersten Schiffe in die Falle gelaufen waren.

      In der scheinbar freien Durchfahrt waren kleine und größere Schiffe versenkt und mit Steinen gefüllt worden. Auch ein paar abgetakelte Galeonen waren dabei, die dicht unter der Wasserfläche lagen. Im Lauf der Zeit war das alles verfeinert worden. Etliche steingefüllte Wracks waren untereinander mit schweren Eisenketten verbunden. Masten waren bei Ebbe in den Sand gerammt worden, Pfähle steckten darin wie die Rammsporne von Galeeren. Es gab nur eine kleine schmale Durchfahrt zwischen den Inseln, die nur die Insulaner selbst kannten. Jeder Fremde segelte entweder auf die Korallen oder die künstlichen Bollwerke.

      Es war eine mühevolle und harte Arbeit gewesen, aber sie trug Früchte, und sie bescherte ihnen ein sorgenfreies Leben.

      Auf den heransegelnden Schiffen sah man von weitem nur ein paar alte und abgetakelte Wracks. Grund genug, bei diesem Anblick so schnell wie möglich zur anderen Seite auszuweichen.

      Ein Portugiese hatte es auch einmal geschafft und war ihnen vor der Nase unbeschadet davongesegelt.

      Seitdem halfen Selam und sein Freund Nusando immer nach, damit solche Zwischenfälle nicht mehr passierten. Dabei tarnten sie sich als harmlose Fischer, die ihre Hilfe als Lotsen anboten. Meist wurde das auch dankbar angenommen.

      Selam hatte schon Portugiesen, Holländern, Spaniern und selbst seinen Landsleuten „geholfen“. Er verstand auch von jeder Sprache ein paar Brocken, die er geschickt anwandte.

      Nach dem Anbieten der „Lotsenhilfe“ ging er oft selbst an Bord, ließ das fremde Schiff in die künstlichen Riffe laufen und verschwand dann beim Aufprall, als sei alles nur ein Versehen gewesen. Dann saß das Schiff hoffnungslos fest, und besorgte Insulaner halfen der verstörten Mannschaft beim Abbergen. Dabei packten auch die Frauen tatkräftig mit an. Sie verstanden es hervorragend, mit dem Kris umzugehen, jenem schlangenförmig gewundenen Dolch, der sich so gut in den Gewändern verbergen ließ.

      Auf manchen Schiffen durfte Selam allerdings nicht an Bord. Dann segelten er und Nusando mit dem kleinen flachgehenden Fischerboot voraus, fuhren über die künstlichen Riffe und warteten in aller Ruhe ab, bis die großen Schiffe aufliefen.

      Selam und Nusando bestiegen inzwischen ihr Boot und ruderten hinaus, als hätten sie die Absicht, Fische zu fangen.

      „Ein schönes Schiff“, sagte der braunhäutige Nusando anerkennend. „Wieder mal ein Spanier, der auf Heimatkurs segelte und schwer abgeladen ist. Was mag er wohl an Bord haben?“

      „Das werden wir nachher sehen. Lassen wir uns überraschen, dann ist der Nervenkitzel größer. Aber ganz sicher hat er wertvolles Zeug geladen. Unsere Frauen sind schon ganz wild auf Stoffe und Tücher.“

      Sie beobachteten die heransegelnde Galeone genauer. Das Spektiv hatten sie nicht mitgenommen. Auf den großen Schiffen hätte man sich mit Sicherheit gewundert, wenn Eingeborene etwas Derartiges besaßen. Sie brauchten es auch nicht, sie sahen jetzt jede Einzelheit.

      „Sie werden unsicher und ängstlich“, sagte Selam. „Sie haben die Wracks und die Riffe gesehen, aber jetzt können sie nicht mehr zurück.“

      Grinsend sahen sie, wie auf der Galeone Segel weggenommen wurden, um die rasende Fahrt zu bremsen. Es war ein verzweifeltes Bemühen. In den Gesichtern der Spanier stand Angst.

      Sie brachten ihr Auslegerboot auf Kurs und setzten das Segel. Auf der Galeone herrschte mächtige Aufregung. Ein paar Männer rannten ziemlich sinnlos von einem Deck zum anderen und schrien sich die Kehlen heiser.

      Selam und Nusando begannen aufgeregt zu winken und zu gestikulieren. Sie schoben sich noch näher an das große Schiff heran, das mit scharfer Bugwelle die See zerschnitt.

      „Spanier?“ brüllte Selam, als sie auf Rufweite heran waren.

      Ein dicklicher Mensch mit einem mächtigen Bauch bestätigte schwitzend, daß sie Spanier seien. Sein Gesicht war sehr besorgt. Sein Blick wanderte zwischen den Riffen und den beiden Männern hin und her.

      „Ihr lauft in die Riffe!“ schrie Selam und gestikulierte wieder wild. „Ihr müßt zur anderen Seite, aber da sind auch ein paar Riffe.“

      Wieder nickte der dicke Mensch ängstlich. Jetzt war sein Gesicht völlig ratlos.

      „Könnt ihr uns helfen?“ fragte der dicke Mensch. „Kennt ihr den Weg durch die Riffe?“

      „Ja, wir kennen ihn. Sollen wir an Bord kommen?“

      Der Spanier schwitzte jetzt Blut und Wasser, als Schaumwirbel immer deutlicher zu erkennen waren. Hin und wieder sah er auch die scharfen Zacken von Korallen. Wenn er da hineingeriet, würden die Sägezähne sein Schiff von vorn bis achtern aufschlitzen und in zwei Teile schneiden.

      „Nicht nötig!“ brüllte er übernervös zurück. „Segelt voraus, ich werde euch später belohnen!“

      Er wunderte sich nicht einmal, daß der braunhäutige und freundliche Mann seine Sprache sprach, wenn auch etwas holperig. Aber die Rettung war da, wie er meinte.

      Selam ging auf den anderen Kurs, fiel nach Süden ab und segelte auf die unterseeischen Bollwerke zu.

      Außer Nusando sah niemand sein teuflisches Grinsen.

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