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Die Erinnerung an die erste Begegnung mit dem russischen Flottenverband brachte den Seewolf noch jetzt in Rage. Wäre ihm und seinen Männern nicht rechtzeitig ein Licht aufgegangen, hätten sie sich nicht selbst aus der sogenannten Internierung herausgepaukt – nun, dann hätten sie ihre neue „Isabella“ mittlerweile auf die Verlustliste schreiben können.

      Die Sichtverhältnisse waren miserabel. Zwischen aufblitzendem Mündungsfeuer der Bordgeschütze und emporwölkendem Pulverrauch ließ sich bisweilen nur schwer unterscheiden, wer Schwede und wer Russe war. Dennoch kristallisierte sich der Blickfang für den Seewolf sehr bald heraus.

      Die Entfernung zur Hauptkampfzone war inzwischen auf eine knappe Seemeile zusammengeschmolzen. In rollenden Intervallen wehte der Geschützdonner der englischen Galeone entgegen, die mit weiß schäumender Bugwelle auf den Hexenkessel zustieß.

      Hasard war es gelungen, das Flaggschiff des russischen Generalkapitäns zu entdecken. Marineskos Galeasse krebste vor jenen drei Galeeren herum, die den Zugang zur Bucht versperrten. Seewärts wurden das Flaggschiff und die drei Galeeren wiederum vom größeren Teil der russischen Streitmacht abgeschirmt, den die schwedischen Kriegsgaleeren in mörderische Gefechte verwikkelten.

      Der Seewolf ließ das Spektiv sinken. Sein Entschluß stand fest.

      „Pete, zwei Strich Backbord!“

      „Aye, aye, Sir, zwei Strich Backbord!“ Unter Pete Ballies Fäusten, die so groß waren wie Ankerklüsen, wirbelte das Ruder. „Kurs liegt an, Sir!“

      Hasard bestätigte mit einer knappen Handbewegung. Er ließ seinen Blick keinen Moment vom Geschehen vor der Bucht. Die Entfernung betrug jetzt nur noch sechs Kabellängen.

      Ben Brighton wandte sich von der Nagelbank ab und trat auf den Seewolf zu.

      „Alle Geschütze gefechtsklar, Sir.“

      „Danke, Ben.“

      Der Erste sah seinen Kapitän einen Moment forschend an.

      „Du willst ihn aufs Korn nehmen, stimmt’s?“

      Hasard lächelte kaum merklich. Harte Linien bildeten sich um seine Mundwinkel.

      „War es nicht immer das beste, dem Teufel mitten ins Gesicht zu spucken, Ben?“

      „Meistens“, entgegnete Ben Brighton grinsend. „Aber man kann sich auch die Finger verbrennen. Ich würde die Russen nicht unterschätzen.“

      Der Seewolf schüttelte beruhigend den Kopf. Es entsprach der besonnenen Art des Ersten Offiziers, niemals die Unwägbarkeiten einer Aktion zu übersehen. Doch verglichen mit den Galeassen und Galeeren war die „Isabella“ eine schwimmende Festung. Der erste Angriff der Seewölfe hatte das bewiesen. Die Russen hatten zwei Galeeren verloren, drei weitere und zwei Galeassen waren schwer angeschlagen.

      Die Entfernung verringerte sich, nur noch fünf Kabellängen jetzt. Zwischen mehreren schwedischen und russischen Galeeren waren blutige Enterkämpfe entbrannt. Die gellenden Schreie von Verwundeten und Sterbenden mischten sich in den Donner der Geschütze.

      Al Conroy ließ jetzt auch die Drehbassen besetzen. Luke Morgan und Bob Grey übernahmen die beiden in Gabellafetten gelagerten Hinterlader auf der Back. Jack Finnegan und Paddy Rogers stürmten auf das Achterdeck, um die beiden Drehbassen vor der Heckbalustrade zu klarieren.

      Old Donegal Daniel O’Flynn, der dort bereitgestanden hatte, unterstützte die Männer humpelnd beim Laden der Geschütze. Obwohl sich Old Donegal bei der denkwürdigen Hühnerschlacht an Bord zum zweiten Male den linken Knöchel verstaucht hatte, war es Hasard nicht gelungen, ihn in die Krankenkammer zu verbannen. Der Geruch von Feuerrauch und Pulverdampf, so hatte Old O’Flynn mit blitzenden Augen beteuert, sei noch immer der beste Gesundbrunnen für ihn gewesen.

      In den Luvwanten enterten Big Old Shane und Batuti zu den Marsen auf. Beide waren mit ihren mächtigen Bogen ausgerüstet, die Köcher mit Pfeilen prallvoll.

      Hasard, der das Geschehen jetzt mit bloßem Auge mühelos beobachten konnte, stutzte plötzlich.

      Eben noch hatte das Flaggschiff auf Nordwestkurs gelegen, offenbar im Begriff, in das Kampfgeschehen einzugreifen. Doch unvermittelt drehte die Galeasse bei, sämtliches Tuch wurde eilends geborgen, und das dickbauchige Mittelding zwischen Segler und Galeere glitt auf Südkurs der Bucht entgegen. Der Rudermannschaft unter Deck wurde wahrscheinlich der Schweiß aus allen Poren getrieben.

      Der Seewolf zerbiß einen Fluch auf den Lippen.

      Auch die Männer auf dem Hauptdeck, die sich an Steuerbord über das Schanzkleid beugten, hatten längst begriffen.

      „Seht euch das russische Rübenschwein an!“ brüllte Ed Carberry. „Der Kerl will sich doch tatsächlich verdrücken!“

      Damit sprach er allen an Bord aus der Seele. Semion Marinesko, dieses Schlitzohr von einem Generalkapitän, zog den Schwanz ein. Die Klinge, die die Engländer schlugen, war ihm zu scharf.

      Donnerndes Gelächter brandete auf der Kuhl der „Isabella“ auf und übertönte einige Atemzüge lang selbst den Gefechtslärm. Es gab keinen Zweifel, daß dieses Gelächter auch auf dem Flaggschiff des ehrenwerten Generalkapitäns zu hören war. Denn bis zur Höhe der Bucht waren es jetzt nur noch drei Kabellängen.

      Zwei der drei Galeeren, die die Bucht abriegelten, verschafften Marineskos Galeasse Platz, damit sie sich zügig zurückziehen konnte.

      „Den erwischen wir nicht mehr“, sagte Hasard und preßte ärgerlich die Lippen aufeinander.

      Weder ihm noch Ben Brighton blieb jedoch Zeit für diesen Ärger. Ein scharfer Ruf erklang aus den Marsen, wo die beiden Bogenschützen auch Ausguckfunktionen erfüllten. Hasard und Ben bemerkten die Gefahr im selben Moment.

      Zwei Galeeren hatten sich aus dem Pulk vor der Mündung der Bucht gelöst. Mit ihrer Wendigkeit waren diese flachen, geradezu elegant gebauten Fahrzeuge unübertroffen. Doch schon die Niederlage der Armada hatte bewiesen, daß die Nachteile bei diesem Schiffstyp eindeutig überwogen.

      Buchstäblich im Handumdrehen lagen die beiden russischen Galeeren auf Kurs, mit nur einer halben Kabellänge Abstand voneinander. Die Riemenblätter peitschten das kabbelige Ostseewasser, und die Absicht der Russen wurde auf den ersten Blick deutlich.

      Sie waren im Begriff, die „Isabella IX.“ von vorn im Zangenangriff anzunehmen. Daß sie dann vorhatten, die englische Galeone zu entern, war mehr als offenkundig.

      Der Seewolf wechselte einen kurzen Blick mit Ben Brighton. Es gab nicht viel zu überlegen. Da waren an die fünfzig, sechzig Kerle auf jeder der beiden Galeeren – selbst für die Seewölfe eine zu große Übermacht, wenn es zum Kampf Mann gegen Mann kommen sollte.

      „Pete, abfallen zur Halse!“ befahl Hasard kurzentschlossen.

      „Aye, aye, Sir, abfallen“, tönte es prompt zurück.

      Ben Brighton eilte zur Querbalustrade, um die notwendigen Kommandos zu geben. Sekunden später dröhnte Ed Carberrys Reibeisenstimme über das Hauptdeck, als er die Männer an die Brassen und Schoten scheuchte.

      Die Kapitäne der beiden russischen Galeeren mußten fraglos Stielaugen kriegen, als sie miterlebten, wie die schlanke englische Galeone – eben noch bei halbem Wind über Backbordbug segelnd – mit geradezu eleganter Leichtigkeit eine Halse vollführte und bereits auf neuem Kurs lag, ehe man die Überraschung verdaut hatte.

      Auf den Bugplattformen der Galeeren entstand Wuhling. Barsche Kommandos brachten die Männer an den Buggeschützen auf Trab – starre Geschütze, die einen der größten Nachteile dieses Schiffstyps bedeuteten.

      „Feuer frei!“ ertönte die schneidende Stimme des Seewolfs im selben Moment.

      Die Drehbassen hämmerten als erste los. Jack Finnegan bediente das mit gehacktem Blei geladene schwenkbare Geschütz auf dem Achterdeck, und vorn auf der Back war es Luke Morgan. Seine gut verheilte Schulterwunde hatte er offenbar schon vergessen.

      Mit dem Krachen der beiden Drehbassen prasselte ein

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