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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 610. Burt Frederick
Читать онлайн.Название Seewölfe - Piraten der Weltmeere 610
Год выпуска 0
isbn 9783966880244
Автор произведения Burt Frederick
Жанр Языкознание
Серия Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Издательство Bookwire
Mit ihrem Trottel saß sie auf einem Schiff, das zwei Wochen nach der Abreise aus London bereits hoffnungslos verdreckt war. Um sie herum war nichts als Wasser – dieser elende Atlantik, der wohl niemals ein Ende nehmen würde. Es dauerte bestimmt noch endlose Wochen, bis sie die Neue Welt erreichten.
Wenn überhaupt.
Oben, auf dem Achterdeck, trat Hannibal Gould, einer der Hirten, vor und baute sich mit einem aufgeschlagenen Folianten neben dem Posaunenengel auf.
Hirten wurden die acht Kerle von den meisten deshalb genannt, weil sie sich selbstherrlich dazu aufgeschwungen hatten, gemeinsam mit Toolan für das Seelenheil der Passagiere zu sorgen. Gould war ein großer, knochig gebauter Mann mit buschigen schwarzen Augenbrauen, die ihm ein bedrohliches Aussehen gaben.
Verdammt, es gab keinen Grund, warum sie nicht ausprobieren sollte, ob sie einer Laura Stacey nicht mindestens ebenbürtig war.
Laura Stacey war das blonde Mädchen. Ihr Verlobter hieß Michael Anderson.
Kate hatte unauffällig herumgefragt. Sie wußte schon eine Menge über die beiden. Beider Eltern waren Nachbarn in London gewesen. Während einer der gefürchteten Pest-Epidemien in der Themse-Stadt waren sie elendiglich zugrunde gegangen.
Michael und Laura, die sich von klein auf kannten, hatten beschlossen, gemeinsam ihr Glück in der Neuen Welt zu versuchen, nachdem die meisten ihrer Geschwister schon vor ihnen die Reise über den Atlantik gewagt hatten.
Hannibal, der düstere Hirte, räusperte sich vernehmlich. Jeder an Bord wußte inzwischen, daß das ein Befehl war. Der Befehl, ab sofort keinen Mucks mehr von sich zu geben.
Jene, die hinter ihm standen und sich mit ihm für das geistliche Leben an Bord der „Explorer“ verantwortlich fühlten, waren Rufus Fachtham, Alvin Merriweather, Lionel Renfrow, Henry Barrister, Gordon Jameson, Edward Witherspoon und Wilbur Mathis. Alles Puritaner von der verbissensten Sorte.
Kate Flanagan hatte von zuviel Religiosität immer Abstand gehalten. Vielleicht gerade deshalb, weil ihr Trottel ein treuer Anhänger des Puritanismus war. Das reinste Schaf – wie der düstere Hannibal und seine Freunde es sich wünschten.
Laura und Michael hatten einen günstigen Platz an der Backbordverschanzung erwischt. Wie es aussah, hockten sie ebenfalls auf einer Taurolle, da sie über die Köpfe der anderen hinwegblicken konnten. Mit dem Rücken lehnten sie am Schanzkleid.
Dadurch ergab sich zwangsläufig, daß ihre Blicke leicht abschweifen konnten, um die hundertköpfige Schar der Passagiere zu betrachten. Manch einer sah elend aus, hatte sich während der Stürme fast die Galle aus dem Hals gewürgt und tagelang nichts essen können.
Andere wiederum waren das pralle Leben. Kate Flanagan fühlte sich so. Ihre Sinne vibrierten. Sie brauchte diesen Michael nur anzusehen, um richtiggehend verrückt zu werden. Sie fragt sich, ob sie gepflegt genug aussah – soweit es unter den erbärmlichen Umständen an Bord möglich war. Ihr dunkles Haar war mit Sicherheit zersaust und strähnig.
Sie blickte unauffällig an sich hinunter. Die einfache Leinenbluse, so wollte es der Zufall, war in den Wirren des Geschehens leicht eingerissen. Genug, um ein aufregendes Dekolleté entstehen zu lassen.
Es zeigte so viel von ihren Brüsten, daß ein erfahrener Mann ohne große Mühe ihre üppigen Formen erkennen konnte. Was aber wohl keiner ahnte, war die Tatsache, daß sie schon dreißig Jahre alt war. Jeder mußte sie für mindestens fünf Jahre jünger halten.
Hannibal Gould ließ seine Stimme dröhnen: „Es begab sich aber, daß sie das Land der Verheißung suchten. Der Herr hatte ihnen den Weg gezeigt, aber sie verschlossen ihre Augen vor seinen Geboten. Da verwirrte er ihren Geist, und er schickte ihnen furchtbare Ungeheuer, denen er sie auslieferte. Es war der Höllenschlund, der sich vor ihnen auftat, und erst, als die Ungläubigsten unter ihnen hinabgefahren waren, besann sich der Herr auf die wirklichen und wahrhaftigen Seelen, die ihm zu dienen willens waren …“
Kate bemerkte Michaels Blick. Sie ließ jene Glut in ihren Augen entstehen, mit der sie früher das halbe Dorf verrückt gestimmt hatte. Ihr entging nicht, wie er sie anstarrte und leicht errötete, als ihm klar wurde, was sie mitgekriegt hatte.
Er hatte auf dieses Dekolleté gestiert!
Kate lächelte, und er wandte ruckartig den Kopf in eine andere Richtung. Verstohlen sah er Laura von der Seite an, wohl um sich zu vergewissern, ob sie etwas gemerkt hatte oder nicht.
Kate Flanagan war sich sicher, ihren ersten Pluspunkt verbucht zu haben. Was ihre Oberweite betraf, war sie Laura Stacey auf jeden Fall um mehrere Zoll überlegen.
„Hämmert es in eure Schädel!“ schrie der düstere Hannibal. „Prägt es euch sehr gut ein! Euer Leben wird davon abhängen, wie folgsam ihr auf dem vorgezeichneten Weg bleibt!“
Kate zuckte ungewollt zusammen und ärgerte sich über den frommen Schreihals, weil er ihre angenehmen Gedankenbahnen störte. Die meisten Leute in der Umgebung, einschließlich ihres Trottels, hingen mit ihren Augen an den Lippen dieses neunmalklugen Predigers.
Was er da als sogenannte Epistel vorgetragen hatte, stammte natürlich aus seiner eigenen Feder. Aber welches von den dummen Schafen merkte das schon! Hauptsache, es klang richtig schön biblisch, dann wurde es auch so aufgefaßt, wie es gedacht war.
Es gelang Kate noch zweimal, Blicke von Michael Anderson aufzuschnappen, von denen seine blonde Laura nichts gewahr wurde. Kate hatte ein Gefühl, das sie mindestens als himmelhoch jauchzend einstufte. Sie hörte dem Brüllen und Trompeten der frommen Kerle auf dem Achterdeck nicht mehr zu.
Am Rand ihres Blickfelds sah sie ihren Trottel, der in andächtiges Lauschen versunken war und die schwieligen Hände über dem Bauch gefaltet hatte. Er widerte sie an, zumal sie im Hintergrund, in Verlängerung der Blickachse, diesen wunderhübschen blonden Jungen sah.
Auf einmal spürte sie das Verlangen, frei zu sein. Ihre Gedanken wanderten in eine andere Richtung. Bei Sturm, das hatte sie nun hinlänglich erfahren müssen, bestand leicht die Gefahr, daß jemand über Bord ging – vorausgesetzt, er hielt sich an Deck auf.
Aber konnte ein Mann nicht auch unter anderen Voraussetzungen über Bord gehen? Bei einem ganz gewöhnlichen Spaziergang vielleicht, wenn er sich unvorsichtig zu weit über die Verschanzung beugte, um den Rumpf des Schiffes zu beobachten, wie er die Fluten teilte. Dann brauchte man nur die Beine des Unglückseligen zu packen, und schon war es passiert.
Das Problem bestand allerdings in den möglichen Zeugen. Tagsüber erschien ein solches Vorhaben als nahezu ausgeschlossen. Bei hundert Passagieren war die Wahrscheinlichkeit, beobachtet zu werden, zu groß. Und nachts war es eben schwierig, sich unerlaubt an Deck zu schleichen.
Außerdem: Wie würde ein phantasieloser Mensch wie Hugh Flanagan reagieren, wenn ihn sein Eheweib mitten in der Nacht weckte und ihn flüsternd fragte, ob er mit ihr die Romantik einer Mondnacht auf dem Atlantik genießen wolle? Erstens wußte er sowieso nicht, was Romantik war, und zweitens würde er kaum begreifen, was so zauberhaft daran sein sollte, bei Mondenschein über eins der oberen Schiffsdecks zu wandeln.
Nein, nein, die Möglichkeit, den Trottel über Bord gehen zu lassen, kam wahrscheinlich überhaupt nicht in Betracht. Bestenfalls dann, wenn sich keine andere Methode als praktikabel erwies.
Kate erschrak über sich selbst, vor allem darüber, daß sie regelrecht Mordpläne zu entwickeln begann. Doch wenn sie ihn so von der Seite ansah, mit seinem halb offenen Mund und den andächtigen Schweinsäuglein, dann empfand sie ihre Gedanken wiederum als gerechtfertigt.
Sie würde Zeit haben, darüber nachzudenken, wie ein Mann auf einem Segelschiff ins Jenseits zu befördern war. Ebenso würde sie Zeit haben, sich zu überlegen, wie sie Michael Anderson noch intensiver an sich lockte.
Philip Hasard Killigrew trat an die Heckbalustrade der Schebecke und suchte mit dem Spektiv die östliche Kimm ab, die sich im hellen Tageslicht als