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auf die Bucht hinaus. Nur die Masten der Kriegsgaleonen „Orion“ und „Dragon“ ragten noch aus dem Wasser. Der Angriff dieses schwarzhaarigen Rasseweibes war tollkühn gewesen, das mußte man anerkennen, wenn es auch noch so schmerzte.

      Sir Edward hatte sich von den Männern abgesondert und sich an einen abseits gelegenen Winkel des Strandes begeben. Er brauchte Ruhe, um seine Gedanken wieder in Ordnung zu bringen. Was sein Innerstes an diesem 23. August des Jahres 1594 aufwühlte, war nicht allein der Verlust seines Schiffes, der „Orion“.

      Nein, für Sir Edward Tottenham hatte dieser Tag etwas Schicksalhaftes – aus Gründen, über die er erst noch Klarheit gewinnen mußte. Alle Äußerlichkeiten hatten für ihn plötzlich keinen Belang mehr. Es störte ihn nicht, daß seine Kapitänsuniform verdreckt und an verschiedenen Stellen eingerissen war. Die Macht der Sonne, die erbarmungslos vom wolkenlosen Himmel brannte, spürte er kaum, obwohl er unter anderen Umständen lieber einen schattigen Platz aufgesucht hätte.

      Der Grund seiner Tiefsinnigkeit lag auch nicht darin, daß es mit mörderischen Anstrengungen und Gefahren verbunden sein würde, jemals das heimatliche England wiederzusehen. Sir Edward ahnte, daß es einen anderen Grund für seine sonderbare Stimmung geben mußte. Vage ahnte er überdies, daß er in sich selbst nach jenem Grund forschen mußte. Denn da war eine Empfindung, die er nie zuvor in seinem Leben gekannt hatte.

      Es war das Gefühl, keine Zukunft mehr zu haben.

      Aber woher, um Himmels willen, rührte dieses Gefühl? Hatte er etwa falsche Entscheidungen getroffen? Oder mit seinen Entscheidungen zu lange gezögert? Diese Fragen ließen ihm keine Ruhe.

      Von Anfang an hatte diese Reise in die Neue Welt unter einem unguten Stern gestanden. Möglicherweise hatte es schon daran gelegen, daß die Kompetenzen zu keinem Zeitpunkt eindeutig abgegrenzt worden waren. Sir Edward verstand bis heute nicht, warum sich die Königin in dieser Frage nicht klar und deutlich festgelegt hatte, wie es sonst ihre Art war.

      Sir Andrew hatte sich ganz als Befehlshaber gebärdet. Und er, Sir Edward, hatte vielleicht nicht genügend Energie gehabt, solchem Gehabe wirkungsvoll entgegenzutreten. Vor seinem geistigen Auge erschien das Bild der spanischen Galeone „Santa Cruz“, die bereits die Flagge gestrichen hatte und dennoch zusammengeschossen worden war – von der „Dragon“ und der „Lady Anne“.

      Sir Edward war nicht entgangen, daß sich seine Geschützmannschaften auf der „Orion“ merklich zurückgehalten und absichtlich danebengeschossen hatten. Gewiß, dagegen war er nicht eingeschritten, aber er hatte auch nicht jene Courage an den Tag gelegt wie die Kapitäne Rooke und Wavell, die einfach nicht mehr mitgespielt und mit ihren Galeonen „Centurion“ und „Eagle“ den Verband verlassen hatten.

      Vielleicht hatten Rooke und Wavell das einzig Richtige getan – sicherlich aus ihrer aufrechten Haltung heraus. Sir Edward haßte sich heute dafür, daß er seinerzeit geneigt gewesen war, Rooke und Wavell als Meuterer zu betrachten. Aber zu dem betreffenden Zeitpunkt hatte er auch noch zu sehr unter dem Einfluß von Sir Andrew gestanden. Daß ihm erst jetzt nach und nach die Augen aufgingen, wertete er allerdings nicht als Entschuldigung für sich selbst.

      Es blieb die bedrückende Gewißheit, in vielen Punkten versagt zu haben.

      Die Männer von der „Orion“ waren indessen voller Hoffnung. Sir Edward hörte es aus ihren Stimmen heraus, und er las es aus der Entschlossenheit, mit der sie seit dem Untergang des Schiffes ans Werk gingen. Für sie war dieses kleine Eiland der östlichen Grand Cays nicht gleichbedeutend mit einem besiegelten Schicksal. Sie hatten Waffen, Munition, Proviant, Ausrüstung und vor allem die sechs Jollen. All das verdankten sie der Umsicht von Marc Corbett.

      Jene letztere Tatsache mußte Sir Edward Tottenham neidlos und unumwunden zugeben. Verdankte nicht auch er einiges der Entschlußfreudigkeit und Umsicht seines Ersten Offiziers?

      Wie so oft bewahrheitete sich das Sprichwort, daß der nicht weit ist, von dem gerade in Worten oder Gedanken die Rede ist. Sir Edward hörte das mahlende Geräusch von Schritten im Sand. Erstaunt wandte er den Kopf nach links.

      Marc Corbett, der schlanke Mann mit dem scharfgeschnittenen Gesicht, dem dunklen Haar und den graugrünen Augen, war sichtlich erfreut, seinen Kapitän gefunden zu haben.

      „Ich möchte Sie nicht unbedingt stören, Sir Edward“, sagte der Erste Offizier der „Orion“, „aber es gibt einige Dinge, die ich gern mit Ihnen besprechen würde.“

      Tottenham verschränkte die Arme vor der schmalen Brust und nickte ermunternd.

      „Nur zu, Mister Corbett. Sie stören nicht im mindesten. Lassen Sie sich gesagt sein, daß ich über Ihre Anwesenheit durchaus froh bin.“

      Corbett zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Die so unvermutete Offenheit des Kapitäns brachte ihn in Verlegenheit. Deshalb ging er nicht darauf ein, sondern wandte sich dem Grund seines Auftauchens zu.

      „Wenn ich Sie mit einer Angelegenheit behelligen darf, die ich selbst zu verantworten habe“, sagte er gedehnt.

      Nun war es Tottenham, der sein Erstaunen nicht verbergen konnte.

      „Das klingt ja beinahe so, als ob Sie sich etwas vorzuwerfen hätten. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb. Nicht bei Ihnen, Mister Corbett.“

      Der Erste Offizier senkte geschmeichelt den Kopf. Ihm war nicht entgangen, daß sich in Sir Edward seit dem Untergang der „Orion“ offenbar eine Wandlung vollzogen hatte. In seinem ganzen Verhalten wirkte er jetzt bestimmter und geradliniger. Gleichzeitig gab es aber auch Momente, in denen er von tiefer Nachdenklichkeit gepackt wurde. So war es der Fall gewesen, als er sich hierher abgesondert hatte.

      Marc Corbett gab sich innerlich einen Ruck, nahm wieder Haltung an und blickte dem hageren Mann offen in die Augen.

      „Es handelt sich um die Gefangenen von der ‚Lady Anne‘, Sir Edward, die achtundzwanzigköpfige Crew des Sir John Killigrew. Ich kann mir Selbstvorwürfe in dieser Beziehung nicht ersparen. Die Dinge entwickeln sich auf eine Art und Weise, wie ich es nicht erwartet habe.“

      „Weil Sie die Kerle aus der Vorpiek befreit haben?“ entgegnete Sir Edward stirnrunzelnd. „Deshalb trifft Sie doch keine Schuld. Im Gegenteil.“

      „Sicher war es richtig, Sir, die Kerle nicht wie Ratten absaufen zu lassen. Insofern gebot es schon die Christenpflicht, sie über Bord zu jagen, als feststand, daß der Untergang der ‚Orion‘ nicht mehr abzuwenden war.“

      „Meine Rede“, sagte Tottenham mit bekräftigendem Nicken. „Dieser Christenpflicht haben Sie genügt. Und nicht nur das. Ihnen gebührt noch besonderes Lob dafür, daß Sie als einziger an Bord der ‚Orion‘ daran gedacht haben, die hilflosen Gefangenen zu retten. Denn hilflos waren sie in diesem Moment, einerlei, was man ihnen auch sonst alles zur Last legen kann.“

      „Ich weiß, Sir Edward“, sagte Marc Corbett leise. „Und ich danke Ihnen aufrichtig. Aber ich hätte vorhersehen müssen, wie sich die Kerle hier an Land aufführen. Ein Umstand, der mir erhebliche Sorgen bereitet.“

      Sir Edward rieb sich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand.

      „Ich verstehe. Aber auch in dem Punkt meine ich, Sie beruhigen zu müssen. Erstens gab es keine Möglichkeit, die Killigrew-Kerle hier auf der Insel sofort wieder zu fesseln und zu bewachen. Dafür waren wir alle zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Zweitens haben wir meines Erachtens keine ernsthaften Schwierigkeiten zu befürchten, da unsere Mannschaft zahlenmäßig weit überlegen ist. Und wir verfügen über Waffen und Munition, mein lieber Corbett – was wir wiederum auch Ihrer Umsicht verdanken.“

      „Sie sollten mir nicht zu sehr schmeicheln, Sir Edward. Ich habe nur meine Pflicht getan.“

      „Ehre, wem Ehre gebührt. Ich habe jedenfalls meine Gründe, wenn ich jetzt, in dieser Situation, einiges sage, was ich früher nie gesagt habe.“

      Marc Corbett starrte ihn Atemzüge lang ungläubig an.

      „Sir Edward!“ rief er dann voller Bestürzung. „Wenn ich Ihnen durch mein Verhalten das Gefühl gegeben

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