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stieß einen wilden Schrei aus, und durch den Schleier der Benommenheit sah sie, wie er sich aufbäumte und sich die Soldaten von allen Seiten auf ihn stürzten, um ihn niederzuringen.

      Der Kerker der Festung bestand aus einem großen Gewölbe, in dem fauliges Stroh die einzige Bequemlichkeit für die unglücklichen Gefangenen bildete.

      Ein stabiles Gitter mit armdicken Eisenstäben trennte den Raum für die Wachen ab. Im Schein einer blakenden Öllampe hockte sie an ihrem roh gezimmerten Holztisch, würfelten oder spielten mit schmierigen Karten – tagaus, tagein. Sie kümmerte es nicht, was mit den Gefangenen geschah. Ob die ausgemergelten, bärtigen Gestalten stundenlang stumpf vor sich hinstarrten, ob sie zu toben begannen oder flüsternd beieinandersaßen — den Wächtern konnte es gleich sein. Sie nahmen nur ihre schweren Musketen zur Hand, wenn jemand geholt oder wieder zurückgebracht wurde, und sorgten dafür, daß dann niemand dem Gitter zu nahe geriet.

      Gian Malandrés, der baskische Rebell, kauerte in einer der gewölbten Nischen und drückte die Schultern gegen die Wand.

      Drei, vier dunkle, drahtige Basken waren um ihn – und ein halbes Dutzend hochgewachsener, blondhaariger Männer mit hellen Augen. Marius van Helder, der Geusenkapitän, lehnte ebenfalls an der Wand. Seine rechte Hand war mit einem Holzbrett und ein paar Stoffstreifen provisorisch geschient: er hatte sie sich im Kampf um sein Schiff gebrochen, die „Oranje“, die im Golf von Biscaya von einem Verband spanischer Kriegsgaleonen versenkt worden war. Aber die gebrochene Hand war nicht Van Helders einzige Verletzung. Die Spanier hielten ihn für einen wertvollen Gefangenen, von dem sie sich eine Menge Informationen versprachen. Denn Marius van Helder gehörte zu den führenden Köpfen der Wassergeusen, die den Spaniern in den Niederlanden immer noch erbitterten Widerstand leisteten.

      Der Kapitän lächelte leicht, als er an die Geschichte dachte, die er – genau wie seine Männer – unter der Folter erzählt hatte.

      Benito Uvalde war jetzt überzeugt davon, daß sich die Schiffe der Wassergeusen bei den Azoren sammelten, um durch die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer einzubrechen und Spaniens Kräfte aufzusplittern. Ein Märchen, aber ein Märchen, das vor allem nach dem Überfall Sir Francis Drakes auf Cadiz nur zu leicht Glauben finden würde. In Wahrheit gab es nur noch ein einziges Geusenschiff vor Spaniens Küsten: die „Hoek van Holland“ unter ihrem Kapitän Jan Joerdans. Mit ihm und der „Anneke Bouts“ hatte sich Van Helder auf einer Insel im Golf von Biscaya treffen wollen. Aber die „Anneke Bouts“ war im Sturm zerschellt, und die „Oranje“ war versenkt worden, noch ehe sie ihr Ziel erreichte.

      Marius van Helder wußte nicht, daß seine Freunde inzwischen Verbündete gewonnen hatten.

      Er wußte auch nicht, daß die „Hoek van Holland“ und die „Isabella VIII.“ in einer versteckten Bucht in der Nähe von Bilbao lagen und der Seewolf Philip Hasard Killigrew, den die Spanier El Lobo del Mar nannten, zusammen mit Jan Joerdans und den Geusen längst einen Plan geschmiedet hatte, um die Gefangenen aus der Festung zu befreien. Die „Hoek van Holland“ hatte der „Isabella“ geholfen, als sie schwer angeschlagen vom Sturm ins Gefecht gegen eine spanische Übermacht gehen mußte. Und die Seewölfe hatten sich revanchiert. Sie wußten, daß die Geusen ihre Verbündeten waren. Männer, die seit langen Jahren gegen die spanische Terrorherrschaft kämpften, denen alle englischen Häfen offenstanden und die auch nicht tatenlos zusehen würden, wenn Philipp II. eines Tages doch noch seine Armada aussandte, um ein spanisches Heer aus den Niederlanden nach England überzusetzen.

      Marius van Helder ahnte nicht, daß die Seewölfe in der Nähe waren.

      Für ihn stand fest, daß er diesen Kerker mit seinen Folterkammern nicht mehr lebend verlassen würde. Oder nur noch einmal: um auf den öffentlichen Richtplatz geführt zu werden, wo ihn wie einen gemeinen Verbrecher die Garotte erwartete. Die Hoffnung, daß die baskischen Rebellen sie befreien könnten, teilte er nicht. Sie hatten es noch nie geschafft, einen Gefangenen aus dem Kerker zu holen, und sie würden es wohl auch diesmal nicht schaffen. Auch nicht, wenn der Gefangene Gian Malandrés hieß und der Bruder El Vascos war.

      Van Helder hob den Kopf, als er das Gitter klirren hörte.

      Ein Gefangener wurde hereingestoßen. Einer der Basken: bärtig, hager, von der Folter gezeichnet, der er genau wie seine Kameraden widerstanden hatte. Aber jetzt hatte sich sein Gesicht verzerrt, und die tiefliegenden Augen wirkten stumpf und wie erloschen.

      „Diego!“

      Leise und scharf stieß Gian Malandrés den Namen durch die Zähne. Diego Durango taumelte, als er sich gegen die Wand der Nische stürzte. Stumm blieb er dort stehen, ein gebrochener Mann — und Malandrés schien sofort zu wissen, was geschehen war.

      „Verräter!“ zischte er.

      „Sie hatten Maria.“ Diegos Stimme zitterte. „Sie drohten, Maria zu foltern. Ich konnte es nicht ertragen …“

      „Verräter! Wegen einer Frau! Was hast du ihnen gesagt?“

      „Alles“, murmelte Diego dumpf. „Alles, was sie wissen wollten …“

      „Das Versteck in den Bergen?“

      „Ja.“

      „Namen?“

      „Nein. Sie wollten keine Namen. Nur das Lager …“

      Malandrés Nasenflügel vibrierten, als er ausatmete. Langsam stand er auf, beugte sich vor und tastete nach dem Messer in seinem Stiefel. Jenem Messer, mit dem er eines Tages Benito Uvalde umbringen wollte, wenn er nur nahe genug an ihn herankam.

      Geschmeidig sprang Marius van Helder auf und legte dem Basken die Linke auf den Arm.

      „Nicht, Gian“, sagte er ruhig.

      „Er hat uns verraten! Dieser Hund hat …“

      „Hast du eine Frau, Gian?“

      „Nein, zum Teufel, ich …“

      „Aber du hast einen Bruder. Weißt du, was du tun würdest, wenn die Spanier drohten, deinen Bruder vor deinen Augen bestialisch umzubringen? Bist du dir deiner selbst so sicher?“

      Melandrés biß die Zähne zusammen.

      Sein Blick wanderte zu dem hageren blonden Mann hinüber, der an der Wand lehnte – zu dem anderen Verräter. Er hieß Barend von Gemert, und er war als Kurier nach Spanien geschickt und erwischt worden. Wochenlang hatten Uvalde und seine Henker ihm zugesetzt – bis er verriet, wo die „Oranje“ zu finden war und die Spanier ihre Treibjagd beginnen konnten. Aber die Geusen hatten ihn trotzdem nicht ausgestoßen. Nicht einer von ihnen könne von sich selbst wissen, ob er nicht das gleiche getan hätte – das waren Marius van Helders Worte gewesen.

      Nach einem Augenblick des Schweigens ließ Gian Malandrés die Hand mit dem Messer sinken.

      „Gut“, sagte er leise. „Vielleicht hast du recht, Holländer. Vielleicht sollte sich wirklich niemand als Richter aufspielen, bevor er nicht seinen eigenen Weg zu Ende gegangen ist.“

      Er setzte sich wieder und schob das Messer zurück in den Stiefel.

      Nachdenklich starrte er in das faulige Stroh vor seinen Füßen. Er wäre noch nachdenklicher geworden, wenn er gewußt hätte, wie nahe sein eigener Bruder, der legendäre El Vasco, noch vor wenigen Stunden dem niederträchtigsten Verrat gewesen war.

      2.

      Feuer flackerten auf dem Plateau in den kantabrischen Bergen.

      Im Lager der baskischen Rebellen hatten sich mehr als fünfzig Männer versammelt. Ein Hammel wurde am Spieß gedreht, Fett tropfte zischend in die Glut der Kohlengrube. Weinschläuche kreisten, und die leisen Stimmen erfüllten die Senke zwischen den Felsen wie das stete, unruhige Murmeln von Meereswogen.

      Philip Hasard Killigrew lehnte an einem Steinblock und betrachtete seine beiden Söhne, die sich wie kleine Katzen im Gras zusammengerollt hatten und den Schlaf der Erschöpfung schliefen.

      Sie hatten ihn verdient,

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