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wenn die Volks- und Landeskirche einmal versagte.«

      P. S. verschweigt auch nicht, dass sie in ihrer Missionsarbeit gar keine Beziehungen zu den Kirchen suchen würden. Solche würden nur »unnötige Erschwerung und Hindernis« sein. Auch berichtet er im Blick auf die »Dorfmission« von »Auseinandersetzungen mit Pastoren, die die Evangelisation als Einbruch in ihre Parochie69 ansehen«. Er meint aber, aufgrund der Entchristlichung der Dörfer, die über kurz oder lang auch das »liebe Schwabenländle« erreichen werde, könnten die organisierten Landeskirchen die Herausforderung, die durch die veränderte Lage gegeben sei, nicht bestehen. Er sucht das innere Einverständnis mit dem Weilheimer Pfarrhaus: »Nicht wahr, Mutter, darüber sind wir uns gewiss einig, dass die Kirche uns nicht das Erste sein darf, sondern das Reich Gottes, und dass beide nicht identisch sind. Und letzten Endes ist doch nicht die Kirche unsere Mutter, wie die Katholiken lehren, sondern die Gemeinde Jesu. Liebe Mutter, ich bin Dir in der Liebe zur Kirche vielleicht ähnlicher, als Du denkst, darum machen mir diese Fragen Not, und Deine Mahnung legte sich mir schwer auf die Seele. Aber das kann ich nicht, für die Kirche als das Bleibende eintreten, denn der Gang des Reiches Gottes und das Wachstum der Gemeinde Jesu sprengt die Fesseln der Kirche und ihre Grenzen.«

      Im Weilheimer Pfarrhaus scheint man sich Sorgen gemacht zu haben, ob der Verlobte Gretels jetzt, da er so umwerfende Erfahrungen mache, noch an Gretel festhalten werde. P. S. schreibt dazu: »Ja, Mutter, für Gretel ist noch Raum in meinem Herzen. Ich bleibe ihr treu als der, die mir Gott … zugeführt hat. Dass sie den Herrn Jesus sucht und lieb hat, weiß ich. Wir sind uns innerlich nicht ferner, sondern näher gerückt … Ich weiß, dass ich keine liebere Frau finden konnte. Alles andere lege ich nun in Gottes Hand und warte auf die Stunde, die er uns bestimmt hat.« Er bittet die Schwiegereltern »weiterhin um das Vertrauen, das Ihr mir bisher so unverdient geschenkt habt, nicht um meinetwillen, sondern um des lebendigen Gottes willen, ich bitte auch dann darum, wann meine Wege Euch streckenweise dunkel und unverständlich sind.« Gretel ihrerseits blieb fest entschlossen, Paul zu heiraten. Wenn er in Berlin bleiben, nicht Pfarrer einer Kirche werden und kein festes Gehalt beziehen würde, dann wollte sie dort mit Nähen das nötige Geld für die Familie verdienen.

      Im Sommer 1924 kommt P. S. in Briefen an den »lieben Vater« Karl Dieterich wieder ausführlich auf sein Verhältnis zur Kirche zu sprechen. Verständlich, dass den Pfarrer von Weilheim, der in seiner Jugend selbst seine harte Krise mit der Landeskirche durchgemacht hatte, die Frage umtrieb, ob und wann aus dem Schwiegersohn ein landeskirchlicher Pfarrer werden würde. Paul Schneider schreibt ihm am 6. Juni 1924, am liebsten würde er mit ihm all sein persönliches Erleben und die Berliner Arbeit durchsprechen, um das nüchterne Urteil des Schwiegervaters über alles zu erfahren. Er sagt ihm aber deutlich: »So bald will mir der Herr nicht die Freudigkeit geben, Berlin zu verlassen und den Rückzug ins kirchliche Amt anzutreten.« Und: »Es mag ja sein, dass ich besonders schwer zu belehren bin oder einen besonderen Dickkopf habe. Jedenfalls spüre ich, dass die Berliner Luft mir sehr gut tut, dass ich auch mit all dem Neuen noch lange nicht fertig bin und noch manches lernen darf. Darüber hinaus fühle ich mich aber auch meiner Arbeit verpflichtet, die ich nun nicht mehr ohne Weiteres, ohne deutliche Weisung von oben, ohne innere Lösung von hier verlassen kann«. Er berichtet dem Schwiegervater, wie gut ihm die Unterstützung der Brüder tue: »Eins, was mich hier besonders freut, ist die Einmütigkeit im Geist. … oft empfand ich den Mangel an Geistesmacht drückend, wenn ich reden sollte, und freute mich dann herzlich der Mitarbeit von schlichten, unbegabten Brüdern. Aber manchmal schenkte mir Gott auch Freudigkeit, und kleine Lichtblicke bei Trinkern hat er mich auch schon sehen lassen, sodass ich im Ganzen doch den Eindruck, die Gewissheit habe, dass Gott sich zu meinem Dienst, der in aller Schwachheit getan wird, bekennt.«

      Offenbar hat der Vater Dieterich dem Schwiegersohn in seinem nächsten Brief besonderen Einblick gegeben in sein eigenes Verhältnis zur Kirche und in die Innenseite seines Dienstes als Dorfpfarrer. Dafür dankt ihm Paul Schneider im Brief vom 10. Juli 1924: »Ich verstehe auch deine Liebe zur Kirche, die ja doppelt so stark ist, wenn sie durch die Kritik hindurchgegangen ist und sie überdauert hat. Ich hab sie ja auch lieb, die Kirche, dieses Gerüst am heiligen Tempel des Leibes Christi70, und bin gewiss kein Kirchenstürmer. Ich weiß auch, wie schwer Ihr Pastoren auf dem satten, harten Boden des Bauerntums es habt, wenn es gewiss auch dort hungernde und dürstende Seelen gibt.«

      Am 6. Juni 1924 schreibt P. S. an den Schwiegervater, am ersten Pfingsttag sei bei ihnen in Berlin »Hofmission. Es wäre wohl lockender, in die Kirche zu gehen, wie ich es auch tue, wenn ich irgend frei bin – aber da, wo man den Herrn Jesus nicht kennt, und in der Gottesfeindschaft für ihn zu zeugen und zu singen, ist doch schöner.«

      Bald klang es dann ziemlich anders. Was er zu Hause in Hochelheim antraf, hat ihm zu neuen Erkenntnissen verholfen, durch welche die Weichen seines Lebensweges in eine andere Richtung gestellt wurden.

      Als er im Sommer 192471 im Urlaub daheim ist, sieht Paul, dass der Vater der Hilfe bedarf, und bleibt nun als dessen persönlicher Vikar vier Monate in Hochelheim. »Ich bin also nicht mehr nach Berlin gekommen, wie ich zuerst vorhatte. Es kam eine Bewerbung um Pferdsfeld und meine Probepredigt dort dazwischen, und da ich zum kirchlichen Dienst entschlossen war, hätte ich Vater nur unnötige Kopfschmerzen verursacht, wie ich es ohnedies schon genug getan hatte. Hier kann ich nun die Kunst der Kanzelpredigt üben und habe das fast sonntäglich getan und gewinne dabei allmählich die Zucht über mein Denken wieder. Auf meine Predigt am letzten Sonntag habe ich mich eigentlich seit Langem wieder recht gefreut. Es ist mir klar geworden, wie nötig gründliches Durchdenken und Studieren der Texte ist und dass die Bekehrung allein keinen Prediger macht. Ich wundere mich jetzt selbst, wie ich mich in das Bekehrungsdogma72 und die Evangelisationsmethode so hatte verrennen können« (Brief vom November 1924 an die Schwiegereltern).

      Ende Januar 1925 wird Paul, ehe er eine Hilfspredigerstelle in Essen-Altstadt antritt, in Hochelheim durch den Superintendenten ordiniert. Der Text ist Römer 1,16: »Ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.« Nachbarliche Pfarrleute helfen Sophie, dem Tag einen guten festlichen Rahmen zu geben. Die »Schwaben« waren leider zur Reise zu schwerfällig und haben Paul alleingelassen.

      Es ist Paul nicht leicht geworden, sich in Essen in den kirchlichen Großstadtbetrieb einzufügen. Das Amt bedrückt ihn, seelische und körperliche Hemmungen bringen ihn oft zur Überlegung der Flucht aus dem Amt. Er meint sogar, in dieser Konsequenz auch seine Verlobung zum Opfer bringen zu müssen: »Ich habe das allerliebste Mädchen, das sich denken lässt, und kann es nicht heimführen. Gott, das ist deine gerechte Strafe. Ich stehe in dem höchsten Beruf und kann ihn schlecht, schlecht, fast nicht ausüben. Habe ich meine Zeit benutzt, oder war ich ein ungetreuer Haushalter? Mir scheint alles heute wie in einer großen Täuschung und Lüge gelebt. Ist dieser mein jetziger Zustand die endliche Auswirkung der Lüge von 1910 im Pfarrgarten in Pferdsfeld? Nun kommt das große Nichtaufgenommenwerden, das große Sitzenbleiben, vor dem ich damals Bange hatte. O hätte ich dem Vater damals gesagt: Vater, ich habe dich belogen. Vielleicht wäre alles anders gekommen. Mit der Lüge vor dem irdischen Vater begann auch die Lüge vor dem himmlischen, den ich nun nicht finden kann. Gott, du verbirgst dein Antlitz vor mir, vor meiner großen Lüge. Was war mein Dichten und Trachten bisher anderes, als dieses Leben zu gewinnen? Mein Lebensglück aufzubauen band ich Gretel an mich. Nun willst du mir in deiner Gnade ein ›Halt‹ zurufen. Ich erwäge, ob du mich zum Bauernknecht machen willst. Du, mein Gott, hast mich ganz zerschlagen. An deine Gnade und Barmherzigkeit wende ich mich, verwirf mich nicht von deinem Angesicht und zeige mir den Weg, den ich gehen soll. Wo dein Geist mich nicht immer wieder aufgerichtet hätte, wäre ich lange vergangen. Oder war es nicht dein Geist, war es ein Lügengeist, der mich täuschte über meine Kraft? – Aber nun, was anfangen?! Es zieht mich in die Landwirtschaft und Siedlung, unserem armen Volk möchte ich Wege weisen helfen, an Leib und Seele zu gesunden. Dafür gelte es zuerst, am eigenen Leibe die neue Lebensweise auszuprobieren. Vergesse ich nun nicht, nach dem Reiche Gottes zu trachten, wenn ich Gesundung und Freiheit suche? Erhebe ich nicht neue Götzen auf den Thron? Gott, sieh’, wie ich allein auf deine Gnade geworfen und gewiesen bin. Erbarm dich meiner!« (aus dem Tagebuch 1925).

      Damit deutlich wird, durch welche inneren Nöte und Krisen der später so glaubensstarke

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