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unweit des Dörfchens Rohr

      Sonnabend, 12. Mai 2007

      Die Farben spritzten. Nein, genauer gesagt, sie wurden mit großer Kraft von dem schnaufenden Mann auf der riesigen Leinwand am Boden direkt aus der Tube in großen theatralischen Schwüngen verteilt. Kleckse entstanden, dünne Linien, Punkte.

      Sichtlich zufrieden mit seinem Tun hielt der Farbvirtuose inne. Vor ihm entstand eine vielfarbige Komposition, bestehend aus pastos, fast reliefartig anmutenden Kreisen, offenen Bogenschwüngen und unregelmäßigen Flächen. Sattes Orange kämpfte mit giftgrünen Spritzern, schwarze Punkte belagerten gelbe Flächen, blaue Linien durchzogen ein rotwaberndes Feld.

      Der Schöpfer der schrillen Farbwelten kratzte sich am Kopf. Wichtig war der Titel, der entschied, ob das Opus ein anerkanntes Kunstwerk wurde oder nur eine Fingerübung in Farbe blieb.

      In einem Heftchen hatte der Farbenzauberer bereits eine Vielzahl von schön klingenden Fremdwörtern gesammelt, die er durch geschicktes Vertauschen von Buchstaben oder ganzen Wortteilen zu neuer Geltung verhalf.

      Sein Atelier, ein großer Raum, ausgeleuchtet mit mindestens zwanzig Strahlern, war vollgehangen mit seinen Werken. An den Wänden hingen große quadratische Bilder, auf denen amöbenartige Wesen mit riesigen Insekten zu kämpfen schienen. Möglicherweise waren es aber auch nur Striche, Punkte und große Farbflächen. Auf einem alten Ledersofa standen ein paar Leinwände in Keilrahmen herum, die nur sehr spartanisch und monochrom bemalt waren. Ein Duft von Acryl lag in der Luft.

      Gleich am Eingang zum Atelier stand eine beeindruckende Tiefdruckpresse mit zwei kompakten Stahlwalzen. In einem Doppelwaschbecken türmten sich Blechdosen mit tausenden Pinseln und Spachteln. Der Mann war produktiv.

      Das Atelier gehörte zu einem einsam stehenden Hof. Die Leute vom Dorf nannten das Gehöft seit Urzeiten schon den Tannenhof, wahrscheinlich, weil sich direkt vor und hinter dem Anwesen riesige Nadelbäume emporreckten.

      Lange Zeit blieb der Hof unbewirtschaftet, wäre gänzlich zur romantischen Ruine verkommen, ein Zuhause nur für Mäuse und Eulen. Doch gleich nach der Wende kaufte der Maler das Anwesen für wenig Geld der Gemeinde ab.

      Die war froh, das Problemgrundstück abseits der eigentlichen Dorflage und schwer zugänglich auf dem sanften Rücken des zur Dorfgemarkung gehörenden Berges gelegen, los zu sein.

      Uwe-Hagen Dornberger, der emsige Künstler, war glücklich. Endlich hatte er ein Rückzugsgebiet für sich gefunden, um seiner Leidenschaft zu frönen und genügend Platz zu haben, seine Kunstwerke zu archivieren und sogar auszustellen. Im Laufe der Jahre verwandelte Dornberger das Gehöft zu einer intakten Behausung. Ein neues Dach wurde gedeckt, die Fenster erneuert, innen wurden eine Heizung eingebaut und Stromkabel verlegt.

      Der Innenhof, bei Dornbergers Ankunft als solcher nicht erkennbar, verwandelte sich unter den geschickten Händen der Lebenspartnerin Dornbergers, einer stillen, freundlichen Frau, die bald auch im ganzen Dorf bekannt war, zu einem grünen Paradies mit Blumenbeeten, einem kleinen Kräutergarten, Obstgehölzen und Stauden.

      Das Paar hatte zwei Kinder, die auf dem Hof eine unbeschwerte Kindheit verbrachten. Natürlich konnte Dornberger von dem Verkauf seiner Bilder nicht leben. Er war sich dessen wohl bewusst.

      Tagsüber verbrachte er seine Zeit als Ergotherapeut im nahen Meininger Krankenhaus. Eine durchaus nützliche Tätigkeit. Dornberger verhalf Kindern mit gestörter Motorik zu selbstsicherem Auftreten, kümmerte sich um Reha-Patienten, denen er die ersten Schritte nach langer Krankheit beibrachte und betreute auch Rollstuhlfahrer.

      Seine Lebensgefährtin arbeitete als Psychotherapeutin ebenfalls in Meiningen, half seelisch labilen Menschen und arbeitete als Suchtberaterin. Auch in das beschauliche Thüringen waren die Plagen der Neuzeit vorgedrungen. Suchtkranke, angefangen von alteingesessenen Alkoholabhängigen über arbeitsgestresste Tablettensüchtige bis hin zu den meist jugendlichen Konsumenten diverser Drogen, gab es inzwischen in den thüringischen Städten genügeng. Ulla Heweleit konnte davon ein Lied singen.

      Das Paar hatte in dem großen Gehöft eine Ferienwohnung eingerichtet, Platz war ja genug. Die Einnahmen der Vermietung der Ferienwohnung sollten weitere Verschönerungsmaßnahmen mitfinanzieren.

      Zu der Ferienwohnung gehörten eine kleine Küche, ein separates Bad, ein kleines Wohnzimmer und zwei Schlafzimmer.

      Ideal für Familienurlaub auf dem Lande. Zumal diverse Haustiere den Hof mitbevölkerten. Es gab Kaninchen, ein paar Hühner und Enten, Tauben auf dem Dach und eine große, graue Katze.

      Dornberger war eigentlich ganz zufrieden mit seinem Werk. Er selber stammte aus dem Eichsfeld, dem äußersten Nordwesten Thüringens. Das Eichsfeld war die einzige Gegend, die nicht von der Reformation miterfasst wurde. Bis heute hielt sich im Eichsfeld ein strenger Katholizismus, was für Thüringen, dem Geburtsort der Reformation, ein Paradoxon war.

      Aber die Eichsfelder arrangierten sich. Der kleine Flecken am Nordwestrand gebärdete sich nicht zickiger als die vielen anderen Flicken des Thüringer Kleinfürstentumteppichs und waren integriert in die lokale Polyphonie.

      Dornberger mit seiner libertären Gesinnung, war das Eichsfeld bald zu eng geworden. Er verließ schon als Achtzehnjähriger die Familie in Heiligenstadt, jobbte auf dem Bau, robbte als Soldat durch diverse Wälder, versuchte sich als Student und als Lebenskünstler.

      Seine Familie beobachtete mit großer Sorge sein umtriebiges Tun, er hatte immer wieder großen Erklärungsbedarf, wenn es ihn zu großen Familienfeiern ins Eichsfeld verschlug.

      Da war zuallererst seine wilde Ehe. Im Eichsfeld bis jetzt ein schweres Vergehen. Und dann natürlich seine eigenwilligen Bilder, man konnte ja gar nichts darauf erkennen! Wer sollte denn so etwas kaufen!

      Letztendlich noch der verwahrloste Hof im Thüringer Wald. Finanziell habe er sich doch da ziemlich übernommen. Kredite aufgenommen und die viele Arbeit …

      Einzig seine Schwester und sein Schwager, beide in Heiligenstadt ansässig, hielten immer zu ihm. Sie waren häufig zu Gast auf dem Tannenhof, halfen ihm und unterstützten ihn auch finanziell. Die Ferienwohnung war ideal für sie, zumal sie ihre drei Kinder mitbrachten, allesamt mit musischen Neigungen und voller Verständnis für das Tun ihres Onkels.

      Dornberger, inzwischen auch schon Mitte Vierzig, wettergegerbt und mit ein paar tiefen Falten auf der Stirn, darunter zwei graue Augen, die immer freundlich zu lachen schienen, hatte sich einen Sprachstil zugelegt, der viele Menschen aus seinem Umfeld etwas irritierte.

      Natürlich, er musste sich schließlich als Künstler präsentieren. Seine Persönlichkeit war Teil des Gesamtkunstwerks.

      Wenn er solch kryptische Titel wie »Der Frieden des Planktons«, »Frosch in Schneeschmelze«, »Narrative Gesten« oder »Derwisch im Moor« für seine Farbexplosionen wählte, hatte es vor allem den Vorteil, dass die Betrachter anfingen über den Titel nachzudenken und in den Farbrhythmen auf der Leinwand diverse Gestalten zu entdecken.

      Seine Vorbilder hatte Dornberger in den revoltierenden Künstlergruppen der Art Informel gefunden. Sie lehnten, genau wie er, alle konventionellen Sehgewohnheiten ab, reduzierten Malerei auf das, was sie eigentlich war, das Verteilen von Farbe auf Flächen, und lehnten jedwede Interpretation ihrer Werke durch Kritiker rundheraus ab.

      Dornberger gefiel das. Er hatte sich auch mit gegenständlicher Malerei auseinandergesetzt, aber schnell gemerkt, dass das bei ihm nicht funktionierte.

      Nein, er brauchte die totale Freiheit im Umgang mit den Farben, ließ sich nicht in eine dahergebrachte Formensprache zwängen.

      Ähnlich war es mit seiner verbalen Sprache. Baute da einfach diverse Fremdwörter mit ein, die nicht geläufig waren, vermittelte sofort den Nimbus des Rätselhaften um sich. Er selber brach dann aber sofort wieder diesen Nimbus durch ironische Eigeninterpretationen des soeben Gesagten. In das befreiende Gelächter fielen die Zuhörer nur zögernd ein, meist verstanden sie die Wortspielereien nicht. Irritationen, Konfusionen,

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