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      Leonardus wurde sich plötzlich bewusst, auf was für eine gefährliche Mission er sich da eingelassen hatte. Er würde der Lockvogel sein, hinter dem die Häscher herliefen. Die wahre Prinzessin würde hingegen sicher und unbehelligt nach Livland reisen.

      »Was passiert, wenn ich gefasst werde?«

      »Ihr dürft auf keinen Fall eure wahre Identität preisgeben. Ihr bekommt von mir einen französischen Pass ausgestellt, auf den Namen Charles-Louis Vavel de Verzay, offiziell seid Ihr mein Neffe. Post und Briefe unterzeichnet Ihr stets mit dem Namen. Es ist zu eurer Sicherheit. Keiner wagt sich so leicht an einen Vavel de Verzay heran.«

      »Und wenn es trotzdem passiert?«

      »Dann gnade dir Gott! Die wahre Identität der Dame darf auf keinem Fall aufgedeckt werden.«

      Leonardus musste schlucken. Die Mission würde ein Himmelfahrtskommando werden. Könne er sich einen Augenblick Bedenkzeit …?

      Vavel nickte. Nach ein paar Augenblicken willigte Leonardus ein. Das größte Abenteuer seines Lebens würde damit beginnen. Er war sich der Tragweite der Mission im Moment noch nicht ganz bewusst, spürte aber, dass es sich um eine Lebensaufgabe handeln würde. Er war jetzt im besten Mannesalter. Sein Dasein verlief bisher in unsteten Bahnen, nur dank seiner Vorsicht hatte er bisher keine Bekanntschaft mit den dunklen Seiten des Lebens gemacht.

      Er wurde der jungen Dame vorgestellt als ihr neuer Begleiter und Beschützer. Der Baron führte ihn ihr als seinen Neffen vor.

      Die wirkliche Prinzessin war inzwischen schon mit dem Vertrauten des Herzogs von Angoulême zu den beiden Gesandten aus Liv-und Kurland gegangen. Aber diese Dame interessierte Leonardus nicht im Geringsten.

      Er hatte nur Augen für die schüchterne Schönheit vor ihm. Leonardus wurde rot, als er ihr das erste Mal in die Augen sah.

      Sie waren blau, strahlten ihn mit einer unergründlichen Tiefe an. Ein Hauch von Rot überzog die bisher fast reinweiße Haut der jungen Frau, die vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt war. Sie wirkte zerbrechlich, obwohl sie recht groß gewachsen war.

      Er hörte zum ersten Mal ihre Stimme. Sie sprach ein akzentfreies Französisch. Der Klang der Stimme war weich und melodiös. Leonardus Herz schlug schneller, so schnell wie noch nie in seinem Leben.

      Seufzend schaute der Graf aus dem Fenster. Das Jahr neigte sich seinem Ende. In ein paar Tagen war Weihnachten. Er wandte sich der Frau in dem Sessel zu, die immer noch eine Schönheit war. Sie war jetzt Mitte Vierzig, doch keine Falte verunstaltete ihr Antlitz. Ihre Haut war noch immer perlweiß, nur ein paar kleine rote Flecken verrieten, dass sie nicht mehr die Jugend bewahren konnte.

      Die beiden Menschen in dem großen Zimmer waren sich in einer Art und Weise vertraut, wie es nur selten passierte. Zusammengeschweißt durch die abenteuerliche Flucht, immer mit der Angst lebend, gefangen genommen zu werden, hatte sie das Schicksal in diesen abgeschiedenen Weltenwinkel geführt. Sie nahmen es als eine Fügung Gottes, zumal in Europa gerade die alte Weltordnung unterging.

      Der korsische General Napoleon Bonaparte hatte sich zum Kaiser ausrufen lassen und begonnen ein Land nach dem anderen zu erobern.

      Sie wussten, dass Napoleons Geheimagenten ihnen auf der Spur waren. Der Graf hatte Vertraute an den verschiedenen Höfen, die ihm davon berichteten. Jedes Mal, wenn er sich in eine neue Stadt begab, hatte er Angst, seinen Häschern direkt in die Arme zu fallen. Er konnte sich zwar nicht genau vorstellen, was die Leute mit ihm vorhatten, aber das Schicksal seiner Begleiterin war ihm wohlbekannt.

      Napoleon spürte den Vertretern des alten Regimes nach, um sie für seine Zwecke auszunutzen. Was er mit einer wirklichen Prinzessin anstellen würde, wäre nicht auszudenken.

      Aber am schlimmsten wäre es für ihn, von ihr getrennt zu werden. Er war gewöhnt an ihr Gesicht, das ihn jeden Morgen aufs Neue anstrahlte, brauchte den Klang ihrer Stimme und spürte den Duft ihrer zarten Haut. Ohne sie wollte er nicht mehr leben.

      Das Jahr 1826 war mit einer bedeutenden Änderung der politischen Rahmenbedingungen einhergegangen. Sein Förderer und freundschaftlich zugetaner Protektor, der Herzog von Hildburghausen, übernahm den vakant gewordenen Thron im ostthüringischen Altenburg. Aus undefinierbaren Gründen, die nur die ernestinischen Herzöge wirklich kannten, sollte das bisher unabhängige Hildburghausen Bestandteil des benachbarten Herzogtums Meiningen werden.

      Der Graf musste an sein Vorsprechen am Meininger Hof vor zwanzig Jahren denken. Damals hatten die Meininger ihn abgewiesen. Die Zeiten hatten sich gewandelt, Napoleon schmorte im Exil auf der unwirtlichen Atlantikinsel St. Helena und die Thüringer Fürstentümer hatten allesamt ihre Souveränität zurückbekommen.

      Herzog Friedrich hatte sich bei seinem Abschied nach Altenburg noch einmal bei seinem Vetter aus Meiningen für den Verbleib des Grafen und seiner Begleiterin auf Schloss Eishausen nachdrücklich eingesetzt. Der junge Meininger Herzog Bernhard Erich Freund respektierte den Wunsch Friedrichs und beließ alles beim Status Quo.

      Der Graf hatte in den letzten Jahren einige seiner engsten Vertrauten verloren. Schmerzlich spürte er noch immer den Verlust seines treuen Dieners Scharr, der vor sechs Jahren hochbetagt gestorben war. Auch sein Vertrauter am Hofe Friedrichs, der Senator Johann Carl Andreä, war vor ein paar Jahren plötzlich und unerwartet verstorben. Seiner Vermittlung hatte der Graf das Eishausener Schloss zu verdanken.

      Neue Diener waren anstelle der alten getreten, aber der Graf hatte zu den Schmidts nicht dasselbe Vertrauen wie zum alten Scharr. Sie waren ihm zu redselig und auch etwas einfältig. Aber er brauchte sie nun einmal.

      Vor zwei Jahren war sein Vater, Adrianus van der Valck, verstorben. Der Graf erbte eine beträchtliche Summe und konnte sich, was seine finanzielle Situation betraf, beruhigt zurücklehnen. Nein, Geldsorgen hatte er keine. Seiner treuen Begleiterin konnte er ohne Probleme alle Herzenswünsche erfüllen.

      Lange Zeit hatte er sich zurückgehalten, bevor er sie fragte, wie sie wirklich hieß. Verwundert hatte sie ihn angeschaut. Warum das denn ein Geheimnis sei?

      Er war verunsichert. Sie schien ebenfalls mit der Situation nicht wirklich zurechtzukommen. Ihr Name, sie hatte ihn fast vergessen, weil sie in der Öffentlichkeit stets als Mademoiselle Royale, später dann als Madame Royale aufgetreten war. So war der Plan, so wurde es auch getan.

      Der Graf nannte sie anfangs immer Marie Therèse. Aber er merkte bald, dass sie sich mit dem Namen schwertat. Irgendwann in einer Sommernacht flüsterte sie ihm nach einer innigen Umarmung den Namen Cécile ins Ohr. Sie gab sich ihm als Cécile Renault zu erkennen. Er eröffnete ihr kurze Zeit später, dass er ein holländischer Diplomat und kein französischer Baron war. Sein wirklicher Name war Leonardus Cornelius van der Valck.

      Endlich waren die letzten Geheimnisse geklärt. Wie eine unsichtbare Mauer standen lange Zeit ihre selbstgewählten Decknamen zwischen ihnen. Beide wussten um die Notwendigkeit der falschen Namen. Aber der Graf wusste schon seit langem, dass die wahre Bourbonenprinzessin bei einer Kindsgeburt im fernen Westpreußen verstorben war. Es brauchte keine weitere Verdunklung mehr.

      Sie hatten ihren Frieden mit der Welt gemacht. Jetzt wollten sie nur noch ihr privates Glück genießen. Die Zeit war reif dafür. Der Graf war inzwischen 57 Jahre alt. Vor ein paar Jahren lag er darnieder und wusste nicht, ob er wieder genesen würde. Ihm wurde bewusst, wie kostbar die verbleibende Zeit sein würde. Nichts währt ewig, selbst das Glück hat eine begrenzte Dauer.

      Der Hof auf dem Berg

       In den schwungvollen expressiven Kompositionen des Künstlers Uwe-Hagen Dornberger lässt sich … eine Zusammenführung von Kunst und Leben beobachten … Obwohl informelle Arbeiten einen selbsreferentiellen Ansatz verfolgen und primär die eigene Präsenz demonstrieren, lassen sich Erzählspuren in den Bildern wahrnehmen, darauf verweisen die Titel, die der Maler seinen Bildserien gibt. Dornberger betont explizit, dass seine Verweise auf reales Geschehen optional zu verstehen sind.

       S-H (Kunstkritiker aus Leipzig zur Eröffnung einer Ausstellung des Künstlers

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