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Zähne eine zahntechnische Arbeit waren und nicht mehr zu den natürlichen Zähnen des Opfers gehörten. Er hatte auch noch den Hinweis des Gerichtsmediziners im Ohr, dass nur ein ausgewiesener Spezialist dieses Gebiss hatte anfertigen können.

      Fast hätte er bei dieser Beschäftigung mit den Zähnen der Toten das Wichtigste überblättert: die eigentliche Todesursache. Dem Fachlatein entnahm er, dass sie an inneren Blutungen, zugefügt durch eine Vielzahl äußerer Schläge und Tritte, letztendlich verblutet war.

      Ein qualvoller und langsamer Tod, wahrscheinlich waren die letzten Stunden dieser Frau eine einzige Höllenqual gewesen. Mehrere Rippenbrüche, Milzriss, Lungenflügelquetschung, Schädelbasisbruch. Das Werk eines Sadisten oder sogar mehrerer ...

      Konkrete Spuren, die auf verschiedene Täter hinwiesen, waren nicht nachzuweisen. Die Frau konnte sich nicht mehr wehren, da beide Arme gebrochen waren und wie leblos an ihr herabhingen. Die Schmerzen allein der Splitterbrüche mussten unerträglich gewesen sein. Viele der Schnitte in der Haut allerdings wurden erst nach dem Tode zugefügt. Die Schnittkanten deuteten auf scharfkantiges Eis hin. Wahrscheinlich während der Zeit im Fluss.

      Ebenfalls die Entstellungen im Gesicht. Typische Fraßbilder von wilden Vögeln. Krähen vielleicht, die mit ihren spitzen Schnäbeln die Augen ausgepickt hatten und auch die vorstehende Nase und Teile der Lippen auf dem Gewissen hatten. Aber auch Fische in der Oder konnten daran beteiligt gewesen sein. So genau ließ es sich anhand der vorgefundenen Wunden nicht mehr feststellen.

      Die Leiche hatte viel Blut verloren, Flusswasser war dafür überall im Körper und in allen Gefäßen nachgewiesen worden. Dennoch war eine DNA-Bestimmung anhand von Blutresten möglich. Blutgruppe A, Rhesus positiv. Nun ja, das hatten knapp sechzig Prozent der Menschheit. Eine ungefähre Altersbestimmung war auch beigefügt. Sie musste zwischen 33 und 38 Jahre alt gewesen sein. Linthdorf klappte den Ordner zu.

      Die Lektüre solcher Berichte löste unweigerlich bei ihm Mitleid mit der geschundenen Kreatur aus. Hier wurde immer gut sichtbar, was ein Gewaltverbrechen bedeutete. Die Verletzungen der Opfer wurden zwar immer recht emotionslos in ein Kauderwelsch aus lateinischen Fachbegriffen und mechanistischen Beschreibungen, wie sie zugefügt worden waren, verpackt. Aber wer nur ein bisschen Phantasie hatte, konnte sich anhand der Angaben ein gutes Bild vom Tathergang machen.

      Es war für Linthdorf immer noch ein unvorstellbares Phänomen, dass Menschen anderen Menschen so etwas antun konnten. Eine tief sitzende Wut packte ihn dann, die ihn wie einen Bluthund auf die Fährte brachte, um die Untat aufzuklären.

      Die Leidenschaft für Gerechtigkeit ließ ihn auch den etwas zermürbenden Alltag im LKA mit all den bürokratischen Abläufen ertragen. Im Übrigen wüsste er auch nicht, was er sonst machen sollte.

      Sein Interesse an anderen Berufen war nach allem, was er so mitbekommen hatte in seinen Dienstjahren, nicht sehr ausgeprägt.

      Vielleicht könnte er sich ein Leben auf dem Lande vorstellen. Allerdings so ganz allein auf einem alten Bauernhof war auch nicht seine Welt.

      Eine Frau gab es nun schon seit fünf Jahren nicht mehr in seinem Leben. Nach dem kläglichen Scheitern seiner zweiten Ehe hatte er die Lust auf eine neue Beziehung verloren. Aber das war schon wieder ein wunder Punkt auf seiner Seele, an den er im Moment lieber nicht denken mochte.

      Linthdorf beauftragte Moser mit der Suche nach Zahntechnikern im Großraum Berlin und auch in Brandenburg, welche dieses Gebiss gefertigt haben könnten. Der Zahnstatus der Frau war ziemlich ungewöhnlich – wenn es eine Möglichkeit zur Identifizierung gab, dann über diese kunstvolle Arbeit eines Zahntechnikers. Vielleicht hatten sie ja Glück.

      Der Plastikbeutel aus der Oder war inzwischen bei der KTU. Die Klamotten schienen der Frau aus dem Fluss gehört zu haben. Jedenfalls passten sie hinsichtlich der Konfektionsgröße. Sie waren schon ziemlich abgetragen, keinerlei Hinweis auf Hersteller oder Markenzeichen, eher Secondhandware.

      Der feste Gegenstand war eine ziemlich verschlissene Handtasche, die allerdings leer war. Jemand musste sie sorgsam ausgeräumt haben. Vielleicht ergab ja die mikroskopische Untersuchung ein paar Hinweise.

      So richtig ging es mit der ominösen Toten nicht voran. Noch immer war ihre Identität nicht geklärt. Suchmeldungen an alle Polizeidienststellen hatten bisher auch noch nichts erbracht. Ein Foto zur Veröffentlichung in der Presse schien beim Aussehen der Leiche auch nicht sehr hilfreich. Die Suche im polizeiinternen Datenspeicher hatte auch nichts ergeben. Die Frau war nirgends erfasst. Sie blieb eine Unbekannte.

      Es gab in der Abteilung einen Stapel mit Aktenordnern, in denen solche Todesfälle erfasst wurden, die als »Unbekannt« in den elektronischen Speichern geführt waren. Solange kein Anhaltspunkt vorhanden war, der die Identität des Opfers eindeutig klären konnte, verliefen alle weiteren Ermittlungen im Sande.

      Eine missliche Situation. Speziell in diesen modernen Zeiten, wo alles irgendwo einmal in irgendwelche Datenträger eingegeben worden war. Die Grenzen der superschnellen Informationswelt wurden jedes Mal den Ermittlern aufgezeigt, wenn sie diesen Stapel erblickten, der von Jahr zu Jahr etwas höher wurde. Linthdorf hatte das Gefühl, dass diese Akte auch in Kürze auf dem Stapel landen würde.

      Die verratene Nixe

       Eine Nixe hatte sich beim wilden Spielen unter Wasser in der Reuse eines Fischers verfangen und zappelte nun hilflos im Netz. Als der Fischer, ein alter Mann, der stets mit dem Wenigen, was er hatte, zufrieden gewesen war, zu seiner Reuse kam und beim Einholen des Netzes bemerkte, was für ein kapitaler Fang ihm da geglückt war, begann die Nixe zu weinen. Der Fischer hatte Mitleid mit ihr und ließ sie frei. Die Nixe tauchte schnell zurück in ihr heimisches Gewässer, wedelte noch einmal kurz mit ihrer Schwanzflosse, als ob sie dem Fischer danken wollte.

       Am nächsten Tage waren in der Reuse des Fischers die schönsten und größten Fische, die er je zu Gesicht bekommen hatte. Er brachte seinen Fang zum Markt und alle bestaunten seine außergewöhnlich großen Hechte, Zander, Aale und Welse. Schnell hatte er seinen Fang verkauft und soviel erlöst wie noch nie zuvor. Zufrieden ging er nach Hause und legte sich schlafen.

       Am nächsten Morgen fuhr er mit seinem Boot wieder zu seiner Reuse hinaus und wieder waren die Netze prall gefüllt mit außergewöhnlich großen Fischen.

       Nach ein paar Wochen wurde schließlich der Marktvorsteher auf ihn aufmerksam. Er ließ den Fischer von seinen Marktbütteln beschatten. Doch die beiden Büttel konnten nichts Ungewöhnliches feststellen. Sie berichteten ihrem Herrn von der morgendlichen Ausfahrt des Fischers zu seiner Reuse, seiner Rückkehr mit den vielen Fischen im Boot und dem Verladen der Fische auf seinen Marktwagen.

       Ärgerlich über diese Antworten ging der Marktvorsteher zum Fischer. »Hör mal Fischer! Es scheint nicht mit rechten Dingen zuzugeh’n bei deinem Handwerk. Bist du etwa mit dem Teufel im Bunde?«

       Der Fischer erschrak: »Nein, nein! Ich bin ein redlicher Mann.« Der Vorsteher bedrängte ihn jedoch weiter und weiter bis endlich der Fischer, vollkommen entnervt von den dauernden Anschuldigungen, dem Vorsteher sein Erlebnis mit der Nixe berichtete.

       Der Vorsteher, ein gieriger und skrupelloser Mann, fuhr mit seinen beiden Bütteln auf einem großen Kahn hinaus auf den See des Fischers. Mit großen Fangnetzen fischten sie im See, darauf hoffend, die Nixe zu fangen.

       Plötzlich fing der See an zu brodeln. Ein großer Strudel zog das Boot des Vorstehers mit seinen beiden Bütteln hinab. Der Fischer beobachtete dies vom Ufer aus und erschrak gar fürchterlich. Als sich das Wasser wieder beruhigt hatte, erschien nur wenige Meter vom Ufer entfernt die Nixe für einen Moment.

       Sie starrte den Fischer aus ihren großen blauen Augen an, sagte kein Wort und verschwand nach kurzer Zeit ohne noch einmal an die Oberfläche zurückzukehren. Von Stund an blieb die Reuse des Fischers leer.

      

      Potsdam

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