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war ich. Mach jeden Tach nen Gang entlang des Deichs. Da hab‘ ich ja auch die Autos mit die jungschen Kerls gesehen. Hab aber nen großen Bogen um die gemacht. Will mit so ne Leute nix zu tun ham.«

      »Und haben Sie dann auch noch gefeiert, ich meine Silvester?«

      »Nee nee, bin kein so’n Partyheld. War abends um Acht noch ma bei Herbert drüben gewesen. Der hat ja große Party am Abend, war’n fast alles Leute aus’m Dorf da. Ich bin nur ma kurz reingeschaut, war mir viel zu laut und auch zu viele Leute da. Bin dann wieder rüber zu mir und hab noch fern gesehn bis Mitternacht. Das war’s.«

      »Und am Neujahrstag wurde es kalt?«

      »Ja, ging schon früh los mit Schnee. Auf der Oder haben die Eisschollen angefangen sich zusammen zu schieben. Die Oder hat ja ne janz jewaltige Strömung. Je mehr Schollen treiben, desto öfter krachen die zusammen und schieben sich übereinander. Is schon n’ tolles Schauspiel. War ich auch kucken.«

      »Aber aufgefallen ist Ihnen da noch nichts?«

      »Nöö, war alles wie imma.«

      »Haben Sie vielleicht jemanden am Deich gesehen?«

      »Nöö, niemanden ...«

      »Und ein Auto, was nicht hingehörte, vielleicht die drei Geländewagen vom Vortag?«

      »Nöö, auch nicht ...«

      Kraeft wurde plötzlich einsilbig. Linthdorf spürte, dass im Moment nicht mehr aus ihm herauszuholen war und hörte auf zu fragen. Er nickte kurz zu Moser. Aufbruch. »Vielen Dank, Herr Kraeft, wir müssen noch weiter.«

      Auf dem Weg durchs Dorf schwieg Linthdorf. Moser trabte wortlos neben ihm her. So richtig verstand er nicht, wieso sie diesen armen Hund befragt hatten. Auf Moser machte Kraeft einen unangenehmen Eindruck. Etwas Unaufrichtiges glaubte er in seinem Wesen entdeckt zu haben. Moser brach das Schweigen.

      »Kam Ihnen Kraeft nicht auch etwas komisch vor?«

      Linthdorf schaute prüfend auf Moser.

      »Ja, speziell als die Rede auf den Neujahrstag kam, da wurde er sehr still. Ich glaub, da hat er uns nicht alles erzählt.«

      Ein leichter Schneegriesel hatte eingesetzt und puderte den Hut Linthdorfs. Moser zog sich seine Kapuze fest und trabte durch den Schnee Richtung Auto.

      Weg hinter Güstebieser Loose

      Immer noch Sonnabend, 7. Januar 2006

      Die Befragung der beiden Feuerwehrleute hatte nichts Neues ergeben. Schnell waren die beiden Polizisten fertig gewesen. Linthdorf steuerte seinen Daimler Richtung Oderdeich. Die Straße war schmal, entgegenkommen durfte ihnen hier niemand, zumal der Schnee ein Ausweichen ziemlich unmöglich machen würde.

      Am Horizont tauchte schon der eckige Kirchturm des Nachbardorfes Güstebieser Loose auf. Rechts neben ihnen war der Deich als Schneewall zu erkennen. Linthdorf steuerte kurz vor Güstebieser Loose eine freie Stelle an, hier wendeten wahrscheinlich die Räumfahrzeuge. Das ungleiche Paar stapfte durch den Schnee zum Deich.

      Nur wenige Menschen schienen in der Winterzeit diesen Weg zu nehmen. Spärliche Fußspuren waren im Schnee zu entdecken. Linthdorf versuchte in dieselben Fußspuren zu treten, die bereits ein unbekannter Deichgänger vor ihm gemacht hatte. Für seine langen Beine eine Zumutung, dauernd musste er das Tempo reduzieren, der Unbekannte war ein deutlich kleinerer Mensch gewesen. Moser grinste, für ihn waren die vorgetretenen Spuren ideal.

      Auf der Deichkrone konnte man den Fluss gut überblicken, auch das andere Ufer war einsehbar. Die Oder erinnerte Linthdorf an seine Kindheit. In der Ferienzeit war er ins Ferienlager gefahren. Seine Eltern hatten diese Ferienreisen als ausgesprochen nützlich für die soziale Erziehung ihres Sprösslings angesehen und trotz anderweitiger Pläne ihn angemeldet.

      Mal ging es an die Küste, mal ins Gebirge, zweimal war er auch in Polen, ganz weit hinten, im äußersten Osten hinter Białystok, wo der Bug fließt. Urtümliche Landschaft empfing ihn dort. Die Oderlandschaft hier erinnerte ihn an diese Zeit. Er versuchte die aufkommenden Bilder zu unterdrücken. Eine unbeschwerte Zeit war es gewesen, mit Angeln gehen, Zeltlager, Schnipseljagd und Wisente Beobachten im Nationalpark.

      Die Welt war damals noch ein wohlgeordnetes Ganzes mit festen Parametern. Er hatte sich inzwischen weit entfernt von diesem unbekümmerten Jungen, der er damals war. Nichts war mehr übrig von der ungetrübten Entdeckerfreude und Abenteuerlust des Zwölfjährigen.

      Blickte er jetzt auf die Flusslandschaft, so war es ein nüchterner, analysierender Blick, ausgerichtet auf sein funktionales Tun als Ermittler der Kripo.

      Dennoch fühlte er ein unbestimmtes Jubilieren tief in seinem Innersten. Es stieg langsam auf, als ob der Blick in die Weite auch sein innerstes Wesen wieder mit dem Leben anfreunden wollte. Die langen Jahre als Ermittler beim LKA in Potsdam hatten tiefe Spuren in Linthdorfs Seele hinterlassen. Er wollte sich das eigentlich nie richtig eingestehen. Nach außen gab er stets den ausgewogenen Kollegen, der mit gleichbleibender Freundlichkeit, ja fast schon einer Art stoischer Gelassenheit die Schicksalsschläge des Alltags ertrug.

      Egal ob er Lebensläufe von Leuten durchleuchten musste, die er als Privatperson niemals kennen lernen würde oder zu Tatorten gerufen wurde, wo einem das Herz bis zum Halse schlug aufgrund der vorgefundenen Spuren von grausamer Gewalt und Herzlosigkeit, Linthdorf steckte alles weg, jedenfalls offiziell. Seine Kollegen bewunderten ihn dafür heimlich.

      Hier draußen in der scharfen Winterluft des Januartages begann diese stoische Maske langsam zu verschwinden. Moser schaute verwundert auf zu seinem riesigen Partner und beobachtete die Wandlung in den Gesichtszügen. Die meist leicht gefurchte Stirn glättete sich, die Augen, die sonst immer irgendwie fixiert auf einen undefinierbaren Punkt in der Ferne waren, wurden lebhaft und ein feines Lächeln zierte den sonst so höflich distanziert schauenden Kollegen.

      Moser fragte ihn, ob er etwas entdeckt habe. Linthdorf schüttelte nur den Kopf.

      Sie stapften nun schon zwanzig Minuten auf dem Oderdeich Richtung Kienitz. Der Schornstein des Küstriner Heizkraftwerks war in der Ferne zu erkennen. Die Finger fingen an, starr vor Kälte zu werden. Auch im Gesicht war die eisige Luft spürbar. Linthdorf blickte stets zum Flussufer hinunter. Dort hatten Eisschollen sich zu merkwürdigen Gebilden aufgeschichtet. Ab und zu zog er seine zigarettenschachtelgroße Kamera aus der Manteltasche und fotografierte den Fluss.

      Nach weiteren zehn Minuten wurde er plötzlich unruhig. Inmitten der Eisschollen erblickte er etwas, was da eigentlich nicht hingehörte.

      Eine ockerfarbene Plastiktüte schien es zu sein. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit trabte Linthdorf durch den Schnee ans Ufer und angelte den prall gefüllten Beutel aus dem Uferwasser zwischen den Eisschollen. Moser staunte nicht schlecht über seinen Chef.

      Der Beutel war schwer, etwas Textiles war darin, aber auch ein fester Gegenstand. Wie lange er schon im Wasser lag, konnte man nur schwer schätzen. Wahrscheinlich hatten die Eisschollen den Beutel ans Ufer transportiert.

      Mit ihrer Beute trabten die beiden in Richtung Auto. Moser trug den Beutel, der aus mehreren Rissen triefte, etwas missmutig mit leicht ausgestreckter Hand. Sein rechtes Hosenbein fühlte sich schon bedrohlich feucht an. Der Beutel landete im Kofferraum des Daimlers.

      Potsdam

      Dienstag, 10. Januar 2006

      Vor Linthdorf lag der Bericht der Gerichtsmedizin auf dem Schreibtisch. Ein umfangreiches Pamphlet war das, gespickt mit lateinischen Fremdwörtern aus der Medizinersprache und Fotos aus dem Innenbereich des Körpers. Etwas irritiert von der Vielzahl an Informationen begann er zu blättern.

      Beim Zahnstatus stutzte er. Für eine so junge Frau waren das recht wenige Zähne, die da noch zu sehen waren. Er erinnerte sich, dass die Kollegen aus Frankfurt ein Foto mitgeschickt hatten, worauf eine makellose Reihe weißer Zähne zu sehen waren. Er blätterte noch einmal den dünnen Bericht des Frankfurter Dezernats durch, ja,

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