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möglich sein. Die Mitarbeiter machten sich untereinander bekannt. Es herrschte eine gesprächige Atmosphäre. Linthdorf war fürs Erste zufrieden.

      Morgen wollte er mit seinem Team beginnen, die Region nach den Aktivitäten der aufgelisteten Firmen zu durchforsten. Er hatte grob überschlagen, dass ungefähr vierzig Namen auf der Liste standen, die mehr als 185 Millionen Euro öffentliche Gelder bekommen hatten und die auch mit Steuernummern bei den Finanzämtern versehen waren. Der Steuerfahnder würde schon aus den dort gelagerten Zahlen etwas herausfiltern, was da zu erwarten war.

      Spät abends um zehn Uhr saß er in der S-Bahn zurück nach Berlin. Linthdorf war rechtschaffen müde.

      III

      Berlin-Friedrichshain

      Montagabend, 23. Oktober 2006

      Wann genau er zu Hause eingetroffen war, konnte sich Linthdorf nicht mehr so genau erinnern. Es war auch nicht wichtig, denn es wartete sowieso niemand auf ihn. Die Wohnung sah noch genauso unaufgeräumt aus, wie er sie am frühen Morgen verlassen hatte.

      So richtig Lust, etwas an dem chaotischen Zustand seines Domizils zu ändern, hatte er im Moment auch nicht. Der Tag hatte ihn ausgelaugt.

      Linthdorf merkte, dass er keine dreißig mehr war. Natürlich, er bewältigte noch immer seinen Alltag in routinierter Weise, aber es fiel ihm immer schwerer, abends abzuschalten und sich wirklich zu erholen. Nachts lag er wach und grübelte. Den nächsten Tag konnte er dann nur unter Aufbietung aller Willensstärke durchhalten.

      Inzwischen spürte er schon, wann sich so eine schlaflose Nacht ankündigte. Heute war wieder so eine Nacht. Vorsorglich hatte er sich die Listen von Knipphase mitgenommen und auch einen kleinen Laptop, der über einen Internetanschluss verfügte. So konnte er diesen schlaflosen Zustand wenigstens mit etwas Sinnvollem überbrücken.

      Im Kühlschrank fand er noch eine Tetrapaktüte mit H-Milch und eine Dose mit Halberstädter Würstchen. Das war immerhin etwas Nahrhaftes. Eigentlich wollte er noch im Spätkauf unten an der Ecke etwas einkaufen, aber er hatte keine Lust auf Smalltalk mit der Verkäuferin. Die verwickelte ihn stets in irgendein triviales Gespräch über die Kriminalität im Kiez. Er hatte das Gefühl, sich dauernd bei ihr entschuldigen zu müssen für jeden Graffiti-Sprayer und für jeden Taschendieb, der hier im Viertel für Verwirrung sorgte.

      Linthdorf machte es sich auf dem Sofa bequem, biss herzhaft in ein Halberstädter Würstchen und nahm dazu einen großen Schluck aus der H-Milchtüte. Dann fing er an, die Liste, die er ausgedruckt hatte zu studieren. Ganz oben stand »Planters & Crane Development & Financial Services GmbH & Co. KG«. Ein langer Name, der auf internationales Engagement hinwies. Das englische Wortungetüm hatte erstaunlicherweise seinen Sitz in Oranienburg.

      Die Gesellschafter waren auch allesamt biedere deutsche Namen: Georg W. Müller, Hans-Jürgen Schulze und Richard Meier. Alle drei hatten den Titel eines »Dipl.Kfm.« vor ihren Namen stehen. Machte eigentlich einen seriösen Eindruck.

      Als Geschäftsbereiche wurden Immobilien- und komplexe Projektentwicklung, Immobilienverkauf und Maklerei angegeben. Nichts Ungewöhnliches.

      Linthdorf schaute noch auf die angegebene Website, die im Kleingedruckten neben drei Telefonnummern auftauchte. Er konnte ja einmal einen Blick auf ihre Internetpräsentation werfen.

      Die nächste Firma auf der Liste hatte ebenfalls in Oranienburg ihren Sitz, sogar dieselbe Adresse wie für das englische Wortungetüm war angegeben.

      Diese Firma schien etwas Vornehmes zu sein: »Cygognia Dienstleistungen & Consulting UG«. Die Geschäftsführer der »Cygognia« waren dieselben wie bei »Planters & Crane«.

      Linthdorf stutzte. Was hatten die drei Kaufleute, die mit Immobilien zu tun hatten mit einem Marketingspezialisten zu tun. Jedenfalls waren im Geschäftsbereich der »Cygognia« nur Vermarktung und Verkaufsunterstützung angegeben. Linthdorf nahm sich vor, diese beiden Firmen etwas genauer anzusehen. Dann schaute er weiter die Liste durch. Ziemlich am Ende der Liste tauche eine »Heron Real Estate & Management KG« auf. Diese Firma hatte ihren Sitz in der etwa vierzig Kilometer entfernt liegenden Stadt Gransee. Auch nicht ungewöhnlich. Worüber Linthdorf stolperte, waren die drei Namen Müller, Schulze und Meier, die auch hier als Gesellschafter auftraten. Allerweltsnamen. Diese Namen zu googeln, war wie die berühmte Nadel im Heuhaufen zu suchen.

      Linthdorf machte sich Notizen. Mit diesen drei Firmen wollte er morgen beginnen und die angegebenen Adressen besuchen. Er war gespannt, wer sich hinter diesen Namen verbarg. Sein kriminalistischer Spürsinn war erwacht.

      Endlich spürte er auch etwas Müdigkeit. Die Augenlider wurden schwer und Linthdorf drehte sich um, knipste das Licht aus und versank in einen unruhigen Schlaf.

      Im Traum erschienen ihm die toten Kraniche, die er von Boedefeldt als Fotodateien gemailt bekommen hatte. Sie waren wieder lebendig und wollten ihm etwas mitteilen. Allerdings hatte er Probleme, das Geschnatter zu verstehen. Er rief seine Kollegin Louise Elverdink herbei, die aus dem Geschnatter der Vögel etwas herauszuhören glaubte.

      Dann flog sie zusammen mit den Kranichen auf und davon. Anstelle der Arme hatte sie plötzlich große Schwingen und stieg elegant mit den Vögeln Richtung Himmel. Dort oben bildeten sie eine eigentümliche Formation, die Linthdorf an irgendetwas erinnerte. Es hatte mit etwas Unangenehmen zu tun. Neben ihm tauchten plötzlich wieder Boedefeldt und dessen Freund, der emeritierte Ornithologieprofessor Diestelmeyer, auf.

      Anerkennend nickten die beiden, als sie zum Himmel schauten. Dann sprach Boedefeldt etwas von schönem Wetter, das immer zu erwarten sei, wenn die Kraniche hoch flögen. Sein Begleiter jedoch verwies auf die menschenfressenden Kraniche in der Ilias, und das diese zurückkehren würden, wenn man dem Frevel nicht Einhalt gebieten würde.

      Der Kommissar verstand überhaupt nichts mehr und wachte auf. Der verstörende Traum war noch präsent. Er griff nach der H-Milchtüte und trank den Rest mit einem Zug aus. Dann schlurfte er Richtung Toilette.

      IV

      Oranienburg

      Dienstag, 24. Oktober 2006

      Die Kreisstadt im Norden Berlins hatte sich in den letzten Jahren stark verändert. Aus der grauen Garnisonsstadt, die ohne richtiges Zentrum und ohne jeglichen Charme vielen nur als Endstation der Berliner S-Bahn ein Begriff, war eine schmucke Vorzeigestadt geworden. Oranienburg hatte es geschafft, sein etwas ramponiertes Image als trister Militärstandort abzustreifen.

      Das Schloss, das jahrzehntelang als Kaserne für eine Einheit der DDR-Grenztruppen diente, war aufwändig renoviert worden und beherbergte neben einem Heimat- und Binnenschifffahrtsmuseum auch die ersten, wieder hergestellten, barocken Schlossräume mit den wertvollen Gobelins und Teilen der Porzellansammlung der Hohenzollern, die mehr als zwei Jahrhunderte die Geschicke Oranienburgs prägten.

      Der angrenzende Schlosspark war im Umbau. Oranienburg hatte für die Landesgartenschau, die in drei Jahren hier stattfinden sollte, das ehrgeizige Projekt eines barocken Gartenwunders im Stil der Zeit der Königin Sophie-Henriette entwickelt.

      Sophie-Henriette von Oranien war die Gattin des Großen Kurfürsten. Bei einem Jagdausflug hatte der Hohenzollernfürst seiner Frau dieses Städtchen, das damals noch Bötzow hieß, mitsamt umliegenden Dörfern und Fluren geschenkt.

      Später wurde das Schloss von den stets klammen Preußenkönigen verkauft und in eine Schwefelsäurefabrik verwandelt. Das war der Beginn des Niedergangs von Oranienburgs einstiger Pracht. Im Zweiten Weltkrieg war die Stadt bevorzugtes Ziel angloamerikanischer Bomberangriffe. Die Stadt verschwand im Schutt.

      Nach dem Krieg quartierten sich Soldaten in den wenigen verbliebenen Gebäuden ein. Das Schloss wurde zur Kaserne. Der Schlosspark musste als Truppenübungsplatz herhalten.

      Der ehemalige Truppenübungsplatz direkt hinter dem Schloss, der die letzten Jahre nach der Wende als einfache Wiese fungierte, war jetzt eine große Baustelle.

      Linthdorf steuerte

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