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oder diejenige gleich mit dem ersten Stich sauber das Ziel getroffen hat. Wenn du mich fragst: Das Ganze hat sich genau dort abgespielt, wo der Mann gefunden wurde. Mehr hab ich jetzt noch nicht auf der Pfanne.«

      »Danke, Meise.«

      Als sie an der Kühlzelle ankamen, hockte Steffen im weißen Overall neben dem Toten und war dabei, ihn fotografieren zu lassen. Der Fotograf, ebenfalls im Schutzanzug, drückte sich zwischen die an Fleischerhaken hängenden Tierteile, um die beste Position für seine Aufnahmen zu finden.

      »Grüß dich, Steffen! Bist du schon länger hier?«

      »Hallo Schorsch! Hallo Jansen! Bin vor einer knappen Stunde eingetroffen. Sehr passende Umgebung. Wenn auch ein wenig frisch.«

      »Tja, können wir uns leider nicht aussuchen.«

      »Ihr wollt schon was wissen, nehm ich an.«

      »Wär’ nicht schlecht.«

      »Tja, das ist wieder eine extra harte Nuss, die ihr mir hier zu knacken gebt.«

      »Nicht absichtlich, das kannst du uns glauben! Wo ist das Problem?«

      »Die Temperaturverhältnisse. Ich fürchte, da werd ich ein Weilchen rechnen müssen, um den Todeszeitpunkt festzulegen, und wie genau das dann sein wird …«

      Steffen wiegte zweifelnd seinen Kopf hin und her.

      »Normalerweise bestimme ich die Körperkerntemperatur, um den Todeszeitpunkt festzustellen. Ich berechne die Abkühlungszeit unter Berücksichtigung der Außentemperatur, des Körpergewichtes und der Auffindungsumstände. Diese Methode ist ziemlich exakt. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage: Wann wurde der Temperaturregler auf die jetzt angezeigten minus 20 Grad gestellt?«

      »Ich würde annehmen, vom Täter gleich nach der Tat«, meinte Angermüller. »Aber wann war das?«

      »Siehst du, das ist genau das Problem.«

      Der Fotograf hatte seine Arbeit in der Kühlzelle beendet und verließ den engen Raum. Steffen war bekannt für seine akribische Arbeitsweise, und offensichtlich bereitete ihm die Aussicht, seine Ergebnisse nicht vernünftig absichern zu können, echtes Unbehagen. Obwohl er grundsätzlich keine Aussage mit hundertprozentiger Sicherheit traf, dafür war er viel zu genau und zu vorsichtig.

      »Außerdem: Welche Temperatur herrschte vorher hier drin und wie lange braucht die Kühlzelle, um auf die jetzt hier angezeigten minus 20 runterzukühlen?«

      »Was den Zeitpunkt der Tat angeht: Bisher haben wir eine Aussage, dass von Güldenbrook das letzte Mal lebend so gegen 17 Uhr gesehen wurde«, sagte Jansen. »Und normalerweise soll hier drin eine Temperatur von null bis zwei Grad gewesen sein.«

      »Immerhin, das sind zwei Anhaltspunkte«, nickte der Rechtsmediziner. »Zur Todesursache: Da würde ich bereits jetzt die These hämorrhagischer Schock wagen.«

      Steffen deutete auf die Stelle, wo das Messer immer noch in Güldenbrooks Brustkorb steckte.

      »Ihr werdet auch gleich bemerkt haben, dass es äußerlich kaum sichtbare Blutspuren gibt. Der Stich muss die große Vene in Herznähe getroffen haben, und das Opfer ist so nach innen verblutet.«

      »Glaubst du auch, dass es hier drinnen passiert ist?«, fragte Georg seinen Freund.

      »Ich gehe davon aus, ja. Ich nehme an, der Täter hat ganz überraschend zugestochen, und das Opfer ist sofort hier zusammengesackt. Eventuell hat der Angreifer sogar selbst den Fall abgefangen und den Mann gestützt, als er zu Boden ging. Aber ich werde das selbstverständlich überprüfen, Hämatome, Abschürfungen, das ganze Spektrum.«

      »Gut«, nickte Angermüller.

      »Und jetzt wollt ihr wahrscheinlich wissen, wann ich euch mehr erzählen kann.«

      »Du kennst uns doch.«

      »Ich denke, spätestens morgen Vormittag«, versprach Steffen von Schmidt-Elm den Kommissaren. »Der Wagen, der ihn ins Institut bringen soll, ist schon hierher unterwegs.«

      Der Rechtsmediziner erhob sich. Leiser sagte er dann zu Georg Angermüller: »Morgen Nachmittag habe ich einen wichtigen Termin am Flughafen.«

      Georg musste erst einen Moment überlegen, was sein Freund damit meinte. Dann fiel ihm ein, dass David kommen würde. David war Steffens englischer Lebenspartner. Die beiden bewohnten seit Dezember ein gemeinsames Haus in Lübeck. David war als auf Kirchenmalerei spezialisierter Kunstrestaurator von internationalem Ruf viel unterwegs, weshalb die geplante offizielle Besiegelung ihrer Lebensgemeinschaft schon mehrfach verschoben worden war. Doch nun sollte das Ereignis, das den sonst so kontrollierten Steffen schon seit Monaten mit Nervosität und Spannung erfüllte, am nächsten Wochenende endlich über die Bühne gehen.

      »Und vergiss nicht: morgen Abend, Schorsch!«

      »20 Uhr, ich weiß!«

      »Das ist vielleicht nicht gerade die richtige Inspiration dafür«, sagte Steffen leise mit einem kurzen Seitenblick auf den Toten und dann die Rinderkeulen ringsum. »Aber ich mach doch einen Tafelspitz.«

      Georg war bei Steffen und David zum Essen eingeladen. Sie wollten Einzelheiten der Hochzeitsfeier besprechen, bei der Angermüller als Steffens Trauzeuge fungieren sollte.

      »Da habe ich kein Problem mit«, meinte er zu seinem Freund. Im Gegenteil, bei einem guten Essen und einem Glas Wein fand der Kommissar meist seinen Seelenfrieden wieder, wenn ein Fall ihn bis in sein Privatleben verfolgte. Ein echtes Problem sah Georg darin, Astrid erklären zu müssen, warum er sich früher von der Geburtstagsfeier ihrer Schwester Sigrid würde verabschieden müssen. Doch er hatte mit David und Steffen einfach keinen anderen Termin finden können.

      »Moin allerseits! Dürfen wir mal? Wir haben hier einen Kunden abzuholen.«

      Das laute Auftreten des Mannes, der da die Kommissare von hinten ansprach, passte nicht so recht zu seiner gediegenen Aufmachung. Er und sein Kollege steckten in schicken grauen Jacketts und schwarzen Hosen mit akkurater Bügelfalte.

      »Okay, Steffen, dann erst mal danke«, verabschiedete sich Angermüller. »Wir hören von dir.«

      Rasch räumten die beiden Kommissare die Kühlzelle und machten Platz für die Mitarbeiter des Bestattungsinstituts mit ihrem Metallsarg.

      Im Flur trafen sie auf die Kollegin Kruse und den Kollegen Teschner, die ziemlich durchgefroren waren.

      »Ihr braucht euch nicht zu beschweren! In der Kühlzelle sind’s minus 20, sach ich nur! Kommt lieber mit in die Küche und erzählt, ob ihr weitergekommen seid«, forderte Jansen die beiden auf.

      »Außer den beiden im Herrenhaus gibt es hier auf dem Gut noch sechs Wohnungen in den Nebengebäuden des Torhauses«, berichtete Teschner, als sie am großen Küchentisch Platz genommen hatten. »Wir haben mit einer jungen Mutter und einem Rentnerpaar dort gesprochen. War ziemlich unergiebig. Interessant ist vielleicht eine Beobachtung, die eine ältere Dame gemacht hat: Gestern gegen Abend soll der Sohn des Opfers hier auf dem Gut gewesen sein. Zumindest hat die Zeugin ein Auto gesehen, das seines gewesen sein könnte. Ansonsten war in den anderen Wohnungen niemand zu Hause. Und dann ist da noch das Verwalterhaus, das etwas versteckt zwischen Herrenhaus und Scheune liegt. Aber da war auch keiner.«

      »Dann klärt das ab mit dem Wagen des Sohnes und findet raus, wo der sich aufhält. Das ist schon der zweite Hinweis auf den. Klingt nicht uninteressant«, meinte Angermüller.

      »Im Hof hatten wir dann noch eine Begegnung der anderen Art«, grinste Anja-Lena Kruse. »Wir sind mit einem Herrn Mientau aneinandergeraten, der kam mit seinem Trecker angebrettert und hätte uns beinah umgenietet! Als er mitkriegte, dass wir von der Polizei sind, wurde er noch wütender.«

      »Wenn das man nicht der Typ war, wegen dem ich vorhin schon eine Notbremsung hinlegen musste! Was macht der hier?«

      »Der hat das Land gepachtet, das zum Gut gehört, und züchtet eine spezielle Rinderrasse, und zwar exklusiv für Güldenbrook, jedenfalls schien der eine Mordswut auf den Grafen zu haben.

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