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dieser Quelle mitbekommen hatte und die sogar ihren alltäglichsten Vorhaben einen Anflug von Idealisierung gab. Sie sah ihre Schönheit gern als eine Kraft für das Gute an, als etwas, das ihr Gelegenheit gab, eine Position zu erreichen, in der sie ihren Einfluss zur Verbreitung von Vornehmheit und gutem Geschmack fühlbar machen könnte. Sie liebte Bilder und Blumen und auch gefühlvolle Romane, und es war unvermeidlich, dass sie glaubte, ihr Verlangen nach weltlichen Vorteilen würde durch solche Neigungen veredelt. Sie hatte kein Interesse daran, einen Mann zu heiraten, der weiter nichts als reich war; im Geheimen schämte sie sich wegen der geschmacklosen Leidenschaft ihrer Mutter für Geld. Am liebsten wäre Lily ein englischer Adliger gewesen mit politischen Ambitionen und riesigen Ländereien, oder am zweitliebsten, ein italienischer Prinz mit einem Schloss im Apennin und einem ererbten Amt im Vatikan. Gerade aussichtslose Fälle hatten einen romantischen Reiz für sie, und sie stellte sich gern vor, wie sie sich abseits hielt von der vulgären Hast des Quirinals5 und alles, was ihr Vergnügen bereitete, im Dienste einer unvordenklichen Tradition opferte …

      Wie lange her und wie weit entfernt ihr all das erschien! Jene ehrgeizigen Pläne waren kaum weniger sinnlos und kindisch gewesen als die Wünsche ihrer Kinderzeit, die sich auf den Besitz einer französischen Gliederpuppe mit echtem Haar gerichtet hatten. War es nur zehn Jahre her, dass sie in ihren Vorstellungen zwischen einem englischen Earl und einem italienischen Prinzen geschwankt hatte? Unnachgiebig ging sie in Gedanken noch einmal dieser trostlosen Zeit nach …

      Nach zwei Jahren hungrigen Umherwanderns war Mrs. Bart gestorben – gestorben an einem tiefen Ekel. Sie hasste alles Schäbige, und ihr Schicksal war es, selbst schäbig zu leben. Ihre Vorstellungen von einer glänzenden Heirat für Lily waren nach dem ersten Jahr verblasst.

      »Man kann dich nicht heiraten, wenn man dich nicht sieht – und wie kann dich jemand sehen in diesen Löchern, in denen wir festsitzen?« So lautete die ganze Last ihrer Klage, und ihre letzte dringende Bitte an die Tochter war, dem schäbigen Leben zu entkommen, wenn sie nur irgend könnte.

      »Lass es nicht an dir hochkriechen und dich in die Tiefe reißen. Kämpfe dich irgendwie da heraus – du bist jung und kannst es schaffen«, insistierte sie.

      Sie war während einer ihrer kurzen Besuche in New York gestorben, und dort wurde Lily gleich zum Hauptgesprächsgegenstand eines Familienrates, den ihre reichen Verwandten einberufen hatten, die man sie verachten gelehrt hatte, weil sie im Dreck lebten. Vielleicht hatten diese Verwandten eine leise Ahnung von den Gefühlen, zu denen man sie erzogen hatte, denn keiner von ihnen zeigte ein sehr lebhaftes Verlangen nach ihrer Gesellschaft. In der Tat stand sogar zu befürchten, dass diese Frage ungelöst bleiben würde, bis Mrs. Peniston mit einem Seufzer verkündete: »Ich werde es für ein Jahr mit ihr versuchen.«

      Jedermann war überrascht, aber alle verbargen ihre Überraschung, damit Mrs. Peniston nicht verunsichert würde und sich ihre Entscheidung noch einmal überlegen wollte.

      Mrs. Peniston war Mr. Barts verwitwete Schwester, und wenn sie auch keineswegs die reichste in der Familie war, fanden die anderen Familienmitglieder doch Gründe genug, warum die Vorsehung ganz eindeutig sie dazu auserwählt habe, die Sorge für Lily zu übernehmen. Zum Ersten war sie alleinstehend, und es würde doch reizend für sie sein, eine junge Gefährtin zu haben. Zum Zweiten reiste sie manchmal, und Lilys vertrauter Umgang mit fremden Sitten – von ihren konservativeren Verwandten als Unglück beklagt – würde sie zumindest in die Lage versetzen, als eine Art Reiseführer zu fungieren. Aber in Wahrheit war Mrs. Peniston von diesen Überlegungen nicht beeinflusst worden. Sie hatte das Mädchen nur aufgenommen, weil sonst niemand es haben wollte und weil sie von einer falschen Scham geleitet wurde, welche die öffentliche Zurschaustellung von Selbstsucht schwierig machte, wenn sie auch nicht verhinderte, dieser im Privaten nachzugeben. Es wäre für Mrs. Peniston unmöglich gewesen, auf einer einsamen Insel heroisch zu handeln, aber wenn die Augen ihrer kleinen Welt auf sie gerichtet waren, empfand sie ein gewisses Vergnügen an einer solchen Tat.

      Sie erntete jedoch den Lohn, auf den Selbstlosigkeit einen berechtigten Anspruch hat, und bekam eine angenehme Gefährtin in ihrer Nichte. Sie hatte erwartet, Lily halsstarrig, kritisch und »fremdländisch« zu finden – denn sogar Mrs. Peniston, die doch dann und wann ins Ausland fuhr, hatte die Furcht der ganzen Familie vor Ausländischem –, aber das Mädchen zeigte eine Fügsamkeit, die jemandem mit mehr Scharfsinn, als ihre Tante ihn bewies, weniger beruhigend erschienen wäre als die offene Selbstsucht der Jugend. Ihr Unglück hatte Lily geschmeidig gemacht, statt sie zu verhärten, und biegsames Material ist weniger leicht zu zerbrechen als festes.

      Mrs. Peniston hatte jedoch unter der Anpassungsfähigkeit ihrer Nichte nicht zu leiden. Lily hatte nicht die Absicht, Vorteile aus der Gutartigkeit ihrer Tante zu ziehen. Sie war ehrlich dankbar für die Zuflucht, die sich ihr bot, Mrs. Penistons wohlhabende Einrichtung war zumindest äußerlich nicht schäbig. Aber das Schäbige ist eine Eigenschaft, die sich auf alle mögliche Art und Weise tarnt, und Lily fand bald heraus, dass es in der teuren Routine, aus der das Leben ihrer Tante bestand, ebenso lauerte wie in dem improvisierten Leben in einer Pension auf dem Kontinent.

      Mrs. Peniston war eine jener Randfiguren, die dem Leben eine gewisse Polsterung geben. Es war unmöglich, sich vorzustellen, sie hätte jemals im Zentrum irgendwelcher Aktivitäten gestanden. Das Interessanteste an ihr war die Tatsache, dass ihre Großmutter eine Van Alstyne gewesen war. Diese Verbindung mit den wohlgenährten und fleißigen Familien der frühen New Yorker Zeit verriet sich in der kalten Sauberkeit von Mrs. Penistons Salon und ihrer hervorragenden Küche. Sie gehörte zu jener Klasse von New Yorkern, die immer gut gelebt, sich teuer gekleidet und sonst sehr wenig getan hatte, und diesen ererbten Verpflichtungen kam Mrs. Peniston getreulich nach. Sie hatte immer dem Leben zugeschaut, und ihr Geist ähnelte einem der kleinen Spiegel, die ihre niederländischen Ahnen am Oberlicht ihrer Fenster anzubringen pflegten, so dass sie aus den Tiefen ihrer unergründlichen Häuslichkeit sehen konnten, was sich auf der Straße zutrug.

      Mrs. Peniston gehörte ein Landsitz in New Jersey, aber sie hatte sich dort seit dem Tod ihres Mannes nicht mehr aufgehalten – einem weit zurückliegenden Ereignis, das in ihrem Gedächtnis hauptsächlich als Scheidepunkt der persönlichen Erinnerungen zu existieren schien, die den Hauptgegenstand ihrer Unterhaltung darstellten. Sie war eine Frau, die sich mit großer Intensität an Daten erinnerte, und konnte, ohne viel zu überlegen, sagen, ob die Vorhänge im Salon vor oder nach Mr. Penistons letzter Krankheit erneuert worden waren.

      Mrs. Peniston fand das Landleben einsam, fand Bäume feucht und hegte eine vage Furcht davor, mit einem Stier zusammenzutreffen. Um sich vor solch unangenehmen Zufällen zu schützen, besuchte sie meist die stärker bevölkerten Badeorte, wo sie sich möglichst unpersönlich in einem gemieteten Haus niederließ und dem Leben durch den schützenden Zierrahmen ihrer Veranda zuschaute. Lily wurde sehr bald klar, dass sie bei einem solchen Vormund nur die rein materiellen Vorzüge guten Essens und teurer Kleidung genießen würde, und wenn sie solches auch wahrhaftig nicht unterschätzte, so hätte sie dies doch liebend gern gegen das eingetauscht, was Mrs. Bart sie gelehrt hatte, als ihre »Chancen« anzusehen. Sie musste seufzen, wenn sie daran dachte, was die verbissene Energie ihrer Mutter vollbracht hätte, wäre sie mit Mrs. Penistons Mitteln gepaart gewesen. Lily verfügte selbst über ausreichende Energie, aber diese wurde von der Notwendigkeit, sich den Gewohnheiten ihrer Tante anzupassen, in Schranken gehalten. Sie wusste, dass sie sich Mrs. Penistons Wohlwollen erhalten musste, koste es, was es wolle, bis sie, wie Mrs. Bart es ausgedrückt hätte, auf eigenen Beinen würde stehen können. Lily hatte für das Vagabundenleben einer armen Verwandten nichts übrig, und um sich Mrs. Peniston anzupassen, musste sie bis zu einem gewissen Grade die passive Haltung dieser Dame annehmen. Sie hatte zunächst geglaubt, es würde leicht sein, ihre Tante in den Wirbel ihrer eigenen Aktivitäten einzubeziehen, aber in Mrs. Peniston war eine statische Kraft, an der sich die Bemühungen ihrer Nichte umsonst verausgabten. Der Versuch, in ihr eine aktive Einstellung zum Leben zu wecken, war wie das Ziehen an einem Möbelstück, das fest am Boden verschraubt war. Sie erwartete keineswegs von ihrer Nichte, ebenso unbeweglich zu bleiben, nein, sie hatte die ganze Nachsicht des amerikanischen Vormundes für die Lebhaftigkeit der Jugend. Sie hatte auch Nachsicht mit gewissen anderen Gewohnheiten ihrer Nichte. Es erschien ihr selbstverständlich, dass Lily all ihr Geld für Kleidung ausgab, und sie besserte das geringe Vermögen des Mädchens

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