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35,00 DM entschlossen und nur eine mntl. Beihilfe von 10,00 DM bewilligt.« Im selben Jahr bestimmt der Entwurf einer Verordnung über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf dem Gebiet der Rechte der Kinder die Verpflegungssätze neu. Der Tagessatz für Kinder in Heimen wird von 1,40 auf 1,60 Mark erhöht, der für Jugendliche auf 2,00 Mark.20

      Es mangelt an Vergewisserung, ob die Kinder in guten Händen sind, es mangelt an ärztlicher Betreuung, Entwicklungen stagnieren. »Die Hauptabteilung Mutter und Kind, Berlin, hat bei ihren Kontrollreisen wiederholt festgestellt, daß die von ihr überprüften Pflegestellen seit Jahren nicht kontrolliert worden sind. In mehreren Fällen mussten Pflegekinder bei diesen Überprüfungen sofort herausgenommen und anderweitig untergebracht werden bzw. die umgehende Herausnahme veranlaßt werden«, heißt es 1951 in einer Rundverfügung aus dem Ministerium für Gesundheitswesen des Landes Sachsen an die Stadt- und Landkreise.21 Mit der Frage, was zur Beseitigung zuvor festgestellter Mängel im Pflegekinderwesen veranlasst wurde, wendet sich das Ministerium für Volksbildung am 9.2.1955 erneut an den Rat des Bezirkes Leipzig. »Die Angaben der Kreisreferate hinsichtlich der ärztlichen Kontrolle gemäß § 7 der 1. DB vom 9.10.52 sind nach den bisherigen Erfahrungen stark anzuzweifeln. Ferner sind die Ursachen zu erforschen, warum unsere Pflegekinder in ihren schulischen Leistungen zurückbleiben.«22 Laut einer Beschlussvorlage vom 10.2.1955 stellen sich die Leipziger Mitarbeiter von Jugendhilfe und Heimerziehung anstehenden Aufgaben »Zur Überwindung der bestehenden Mängel und Verbesserung unserer gesamten Arbeit«. Unter »1/b)« zählt dazu »eine regelmäßige Unterstützung der westdeutschen Patrioten durch fortlaufenden Briefverkehr mit ihnen und c) durch Geldzuwendungen oder direkte Päckchensendungen«. Auch Erfahrungsaustausch mit westdeutschen Jugendämtern einschließlich Treffen in Leipzig und Westdeutschland, Briefverkehr und brüderliche Hilfe sind zu diesem Zeitpunkt noch vorgesehen. Bitter hierbei der Gedanke, dass DDR-Heimkinder oftmals weder Pakete noch Geld empfangen durften, wie zu belegen sein wird.23

      »Ab 1.1.53 werden die zentrale Adoptions- sowie die Prozeßstelle aufgelöst [...], doch wurden der Abt. Mutter und Kind hiermit Aufgaben übertragen, zu deren ordnungsgemäßer Durchführung zunächst jede Fachkenntnis fehlt«24, schreibt der Verwaltungsleiter des Leipziger Dezernats Gesundheitswesen, Mutter und Kind, am 18.12.1952 an das zuständige Ministerium. Hinzu kämen große Rückstände bei den vom Amtsgericht übernommenen Vorgängen. Die Aktenübergabe erfolge spät, es fehlten Arbeitskräfte, das Personal des Amtsgerichts habe »bereits anderweitig Arbeit gefunden. [...] Notwendig ist eingehende und schnellste Schulung aller Kollegen«. Nur wer persönlich bei der Abteilung Mutter und Kind vorspreche, könne mit einer Bearbeitung seines Vorgangs rechnen. Aufgrund von mangelnder Sachkenntnis werde mit Schäden für die Bevölkerung gerechnet.

      Reagiert wird damit auf eine brüske Veränderung. Mit der Verordnung über die Übertragung der Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 15.10.1952, nach der fortan die Organe der Jugendhilfe die Aufgaben von Vormundschaftsgerichten übernehmen, tritt eine verhängnisvolle Änderung ein. Mit Gesetz vom 23. Juli 1952 war die Abschaffung der nach 1945 ursprünglich hier und da etablierten Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Finanzgerichtsbarkeit und kommunalen Selbstverwaltung in Kraft getreten. Fortan unterlag das Handeln der öffentlichen Verwaltung – im Gegensatz zur Bundesrepublik – keiner Kontrolle durch Bürgerinnen und Bürger mehr, wesentliche rechtliche Ansprüche gingen damit verloren und waren nicht länger einklagbar. Nicht Fachkräfte für Arbeit, Jugend und Soziales, sondern die Organe des Volksbildungsministeriums entschieden fortan über Vormundschaften, Heimeinweisungen und Adoptionen. Jugendwohlfahrt wurde zu »Jugendhilfe«. Eines von sich mehrenden Beispielen dafür, dass Ideologie diskussionslos den Vorrang vor fachlicher Kompetenz erlangte.

      Verwaltungsgerichtsbarkeit, ein Wort wie ein Steinbrocken, dabei pures Leben. »Konkretisiertes Verfassungsrecht« nennt sie Fritz Werner, 3. Präsident des Bundesverfassungsgerichts, »Schlussstein im Gebäude des Rechtsstaats« Gustav Radbruch.25 In der Bundesrepublik bildete sie bei zunehmendem Wohlstand und genussvoll gelebter Freiheit ein Recht sicherndes, mit der Zeit als selbstverständlich empfundenes staatsbürgerliches Fundament. Hingegen ging in der DDR mit ihrer Abschaffung die Überprüfbarkeit sämtlicher öffentlicher Akte verloren.

      Ein Bruch mit mitteleuropäischer Tradition. Moralisch wie wirtschaftlich zerrüttet, etablierte die DDR vor dem Herbst 1989 beim Obersten Gericht eine Verwaltungsgerichtsbarkeit. Justizminister Hans-Joachim Heusinger informierte am 1.7.1989 im SED-Parteiorgan Neues Deutschland, dass am selben Tag das Gesetz über die Nachprüfbarkeit von Verwaltungsentscheidungen in Kraft trete. Ein ratsames oder angeratenes Mehr an Demokratie im Hinblick auf mögliche Veränderungen? Oder gefordert von westlicher Seite, von Kreditgebern? Gar die Vorstellung von einem möglichen Ende? Genutzt oder erprobt werden konnte die Veränderung kaum noch. Zudem wurden die besagten Gerichte mit bereits bisher fungierenden Richtern besetzt.

      Was hätte Frau S., was hätten Eltern ausrichten können, die nicht einmal eine schriftliche Beschlussübermittlung erhielten, wenn ihr Kind in ein Heim eingewiesen wurde? »›Aus der rechtswidrigen Handhabung der öffentlichen Gewalt entstandene Ansprüche‹ konnten durch den Verzicht auf die von der Novemberrevolution erstrittene Freiheit des Einzelnen nicht geltend gemacht werden«, so Rolf Henrich. »Rudolf Bahro widmete sich dem Nachweis, dass es sich bei der Gesellschaft der DDR um eine seit dem Feudalismus nicht mehr dagewesene ›geschichtete Gesellschaft‹ handelt, eine ›Schichtenfolge mit harten Übergängen, verbunden mit einer entsprechenden Rechtlosigkeit und Ohnmacht der unteren Ränge‹«.26 Und der ungewollten Schichten, ist hinzuzufügen. Wer aus dieser Zeit erinnert nicht hochbeliebte »private« Bäcker, Schneiderinnen, Juweliere, Schreibwarenhändler, die verschwanden im Zuge der Vernichtung von »Selbständigen«, welche angeblich »Kapitalisten« seien. Zwei Millionen von ihnen wurden die Lebensmittelkarten entzogen, Tausende sahen sich politisch motivierten Verfahren mit Zuchthausstrafen und Vermögensentzug ausgesetzt. Unverhohlene Raubzüge des Staates, begleitet von zunehmender Gewalt. Im April 1952 – das Jahr begann mit Buntmetallsammlungen der Bevölkerung für den Neuaufbau Berlins – wurden auf Befehl Stalins die Volkspolizei-Bereitschaften zu einer Armee von 300 000 Mann erweitert, der Kasernierten Volkspolizei.

      Ein Sturm teils wutentbrannter Beschwerden gegen die Gesetzesänderung und ihre offenbar überrumpelnde Eile ist dokumentiert. Auslöser sind fehlende personelle Voraussetzungen für die Umsetzung in den Ämtern. »Durch die bisherige Kürzung des Stellenplanes in dem Referat Mutter und Kind konnten die Aufgaben im Vormundschafts=, Pflegschafts=, Beistands=, Adoptions= und Pflegekinderwesen trotz Einsatzes aller Kräfte und laufender Überstunden nicht so erledigt werden, wie dies wünschenswert ist und in unseren Gesetzen angestrebt wird«,27 meldet die Delitzscher Abteilung Mutter und Kind am 16.1.1953 an die regierungsamtliche Kontrollstelle für die Arbeit der Verwaltungsorgane. »Ein unmöglicher Zustand aber ist dadurch eingetreten, dass auf Grund der ›Verordnung‹ [...] Aufgaben übernommen werden mussten, ohne dass eine neue Planstelle bereits geschaffen wurde.« Im Interesse Minderjähriger müssten Arbeitsbedingungen geschaffen werden, »die wenigstens als einigermaßen normal angesehen werden können«. Angesprochen wird zudem die fehlende Kompetenz. »Eine Bearbeitung der vom Gericht übernommenen Fälle konnte bisher so gut wie gar nicht erfolgen. Bei den übernommenen Vorgängen handele es sich teils um äusserst komplizierte Rechtsgeschäfte, die keinesfalls nur flüchtig bearbeitet werden dürften. »Diese schwierigen Fälle wurden bei den Vormundschaftsgerichten nicht einmal von den Rechtspflegern, sondern von den Vormundschaftsrichtern bearbeitet.« Eine Nachfrage habe ergeben, dass in den Nachbarkreisen gleiche Schwierigkeiten vorlägen. »Abschließend erlauben wir uns nochmals darauf hinzuweisen, dass die Bearbeitung nicht von Laienkräften, sondern durch eine qualifizierte Kraft erfolgen muss.«

      Überforderung bis zur Empörung. Der Grimmaer Kreisarzt verlangt die »Einschaltung« des stellvertretenden Ratsvorsitzenden und informiert fünf Referate und Abteilungen, »denn die Abt. Gesundheitswesen muss es restlos ablehnen, in irgendeiner Form für die Folgen haftbar gemacht zu werden, die durch das ›Quirlen eines weiteren Koches im Brei‹ entstehen. Ein größeres Durcheinander dürfte wohl kaum jemals entstanden sein«.28 Er zeigt sich »felsenfest davon überzeugt, dass noch vor Ostern die ersten Beschwerden wegen nicht gezahlter Unterhaltsgelder hier eingehen. Ich bitte mir verbindlich mitzuteilen, welcher Stelle diese Beschwerden zuzuleiten sind, denn ich stehe auf dem Standpunkt, dass der sich damit auseinander

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