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jetzt bitte, laß mich in Ruhe, ich kann nicht mehr«, wimmerte sie leise und hob beide Hände, um ihn abzuwehren.

      »Wie du willst …!« schrie Jablonski, drehte sich auf dem Absatz um und schlug die Schlafzimmertür hinter sich zu.

      Als er die Treppe hinunterstolperte, hörte er, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. Hastig und mit zitternden Fingern suchte er den Lichtschalter im Wohnzimmer. Nach zwei Fehlversuchen tastete er sich im Dunkeln zu einer Vitrine, die neben dem Sofa stand. Mit einem Ruck öffnete er die Glastüre und griff wahllos in die Flaschensammlung mit hochprozentigem Alkohol, entfernte den Schraubverschluß und trank in gierigen Schlucken. Noch ehe der Whisky seinen Magen erreicht hatte, merkte Jablonski, wie ihm übel wurde. Er preßte eine Hand auf seinen Mund und hielt sich mit der anderen den Magen fest, hastete durch das Wohnzimmer, stieß im Dunkeln gegen den Sofatisch und einen Sessel, wäre im Flur fast ausgerutscht und schaffte es im letzten Moment zum Waschbecken, in das er die dunkelbraune Flüssigkeit spuckte, die mit grünlichgelber Galle vermischt war. Seine Stirn und seine Hände waren eiskalt, er zitterte am ganzen Körper. Eddie stützte sich auf das Waschbecken, schloß die Augen und holte tief Luft. Als er sich etwas besser fühlte, spülte er das Erbrochene durch den Ausguß, schleppte sich ins Wohnzimmer, rollte sich wie ein kleines Kind auf der Liege zusammen und zog eine Wolldecke über seinen Kopf.

       »Der Herr liebt die Fremden und gibt ihnen Nahrung und Kleidung – auch ihr sollt die Fremden lieben, denn ihr seid Fremde in Ägypten gewesen.«

      5. Buch Moses, 10, 18-19

      6.

      Die Morgendämmerung tauchte das Zimmer in ein mattes Zwielicht. Jablonski blinzelte im Halbschlaf und versuchte, sich an die vergangene Nacht zu erinnern, als ihn das Klingeln des Telefons aus seinen trüben Gedanken riß. Eddie schob die Decke beiseite, setzte sich vorsichtig auf, schloß erneut die Augen, damit sich sein Kreislauf beruhigte und spürte den faden Geschmack von Galle, Zigaretten und Alkohol auf seiner pelzigen Zunge.

      »Nassauer hier!« meldete sich eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung.

      »Was gibt’s?« fragte Eddie gereizt.

      Die Stimme hustete.

      »Brauchste ‘ne Story, oder willse mit ‘m alten Kumpel nix mehr zu tun haben?«

      Eddie schwieg.

      »Also … wat is? Zwei Heiermänner un’ du bis’ im Geschäft.«

      »Okay, schieß los«, antwortete Eddie, schloß die Augen und ließ sich in die Polster der Liege zurücksinken.

      »Hier isn Kümmeltürke, der liecht mit ‘m Kopp anne Kloschüssel und sagt kein Ton, wennse mit ‘m sprichs.«

      »Wo?«

      »Stadtpark-Scheißhaus. Nordausgang, all’s klar?« hustete Nassauer in den Hörer.

      »Bis gleich«, nickte Eddie, hängte ein, holte tief Luft und versuchte aufzustehen. Dabei pochte das Blut in seinen Schläfen wie Hammerschläge, seine Hände zitterten und eine breite Schweißspur lief seinen Rücken hinunter. Eddie tastete sich in die Küche, öffnete den Kühlschrank, fischte sich eine Flasche Fiege-Pils aus dem Gemüsefach, kappte den Kronkorken mit einem Öffner, den er nach hektischem Suchen in einer Küchenschublade fand, und trank in langen gierigen Schlucken. Er rülpste laut, fühlte sich gleich etwas besser, nahm die Bierflasche mit in das Wohnzimmer, wo er sie vorsichtig auf dem Beistelltisch deponierte und ging in den Hausflur, um die Koffer zu suchen, die Uschi für ihn gepackt hatte. Warum können Frauen zwischen Sex und Liebe nicht unterscheiden, verdammt nochmal, dachte Jablonski, als er die schweren Koffer zu dem Alfa wuchtete. So ein Nümmerchen nebenbei stellt doch die Ehe nicht in Frage, erregte er sich, wußte dabei aber ganz genau, daß er mit diesem Spruch nicht bei Uschi landen konnte, schüttelte deshalb verständnislos den Kopf, öffnete die Kofferraumklappe und verstaute das Gepäck. Kleinbürgerliche Moralvorstellungen, schimpfte er laut vor sich hin, als er in das Haus zurückging, um sich mit einem kleinen Imbiss zu stärken.

      In der Küche säbelte er sich einen Kanten Brot ab, belegte ihn dick mit Käse und spülte die Bissen mit dem restlichen Bier hinunter. Dann klingelte er Rehnagel aus dem Schlaf und verabredete sich mit ihm im Stadtpark.

      Über dem Weiher hingen graue Nebelwolken. Ein feiner Nieselregen hatte die Wege und die Uferböschung aufgeweicht. Jablonski fluchte über den Matsch an seinen Schuhen. Ein Ort, so öde wie Heino singt, dachte er, als er die Tür zu dem Pissoir aufstieß.

      »Da isser«, sagte Nassauer, der hinter Eddie hergestapft war.

      Der Tote lag auf dem Bauch in einer blutgetränkten Wasserlache, die sich in einer kleinen Senke des schmutziggrauen Waschbetonfußbodens gesammelt hatte. Seine linke Hand krallte einen kurzen Holzknüppel, während die andere zur Faust geballt war. Seine Windjacke war hochgerutscht und das karierte Baumwollhemd, das er darunter trug, war zerrissen. Irgend jemand hatte ihm, vermutlich mit einem Messer, ein Hakenkreuz in blutigen Striemen in den Rücken geritzt.

      Eddie schauderte, als er die Leiche sah. Sein Magen zog sich zusammen und er spürte, wie ein Würgereiz seine Kehle hochkroch. Um sich abzulenken, steckte er sich eine Zigarette an.

      »Wie kommst du da drauf, daß er ein Türke ist?« wollte Jablonski wissen und blickte Nassauer erwartungsvoll an. Der kleine Mann mit dem übergroßen, verschlissenen Mantel, dessen Füße in zerfledderten Turnschuhen steckten, schniefte durch seinen blau angelaufenen Riechkolben, verdrehte die Augen und blickte vielsagend in den Himmel, so als hätte er von dort eine Botschaft empfangen.

      »Komm, rück die Papiere raus«, grinste Eddie und knuffte Nassauer freundschaftlich in die Seite.

      »Wat‘n für Papiere?« antwortete Nassauer scheinheilig und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.

      »Gib schon her«, lachte Eddie und streckte die Hand aus.

      »Ers’ die Kohle!«

      Jablonski gab ihm das Geld und erhielt im Gegenzug eine schmale Brieftasche aus fleckigem Lederimitat. Eddie verließ den muffigen, feuchtkalten Raum, der nach Urin, Blut und Kot roch, atmete erleichtert auf, als er ins Freie trat und öffnete die Brieftasche. Das Paßfoto in dem Führerschein zeigte einen freundlich lächelnden jungen Mann, mit einem Schnauzbart und kurz geschnittenen, schwarzen Haaren, die an der Seite gescheitelt waren. Ömer Yilmaz war im September 1952 in Bursa geboren und wohnte, falls die Adresse noch stimmte, in Bochum-Wattenscheid. Am Bänksen hieß die Straße, die eingekeilt vom Krupp-Stahlwerk und der A 430 in einem alten Arbeiterviertel lag und mit dem Auto keine zehn Minuten von dem Stadtpark entfernt war. Bis auf einen türkischen Reisepaß, Fotos von einer schulpflichtigen Tochter und einer Mitgliedskarte der IG Bau-Steine-Erden war die Brieftasche leer.

      »Hast du dich schon bedient?« wollte Eddie wissen und blickte Nassauer tief in dessen wasserhelle, rotgeäderte Säuferaugen.

      »Dat ham schon andere gemacht. Die Brieftasche lag da inne Ecke ohne Kohle, so wahr ich Nassauer heiße«, antwortete der Penner mit todernster Miene, wobei er hilflos und wie es schien, ein wenig bedauernd, die Schultern hob.

      Rehnagel schwitzte trotz der eisigen Novemberluft, als er, vollgepackt mit einem Stativ und dem Fotokoffer, über die taufeuchte Wiese auf die beiden zurannte.

      »Tschuldigung«, keuchte er und stellte das Stativ ab, »… meine Mutter wollte, daß …«

      »Ist schon gut«, beruhigte ihn Eddie, der wußte, daß Rehnagel trotz seines vorgerückten Alters immer noch zuhause wohnte und daß seine Mutter ihn wie einen kleinen Jungen behandelte.

      »Ich hoffe, daß du noch nicht gefrühstückt hast. Sonst kommt dir beim Anblick der Leiche wahrscheinlich der Konfirmationskaffee hoch.«

      »Hab schon viel gesehen«, winkte Rehnagel ab und untersuchte die Toilette mit Profiblick nach einem günstigen Standort für das Stativ.

      Nassauer hustete, würgte und spie den Schleim im hohen Bogen durch die Luft.

      »Ich geh jetz’«, röchelte er dann, »gib mir aber

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