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Die Kritiker pflegten dem Erscheinen meines »neuen Romans« mit Spannung entgegenzusehen. Heute verstauben diese Werke in meinen Kellerregalen. Aber ich hatte ja sowieso nicht viel zu sagen, außer dass ich die Rebellen aufforderte, aus ihren Löchern zu kriechen, sich zu stellen und zu kämpfen. Und nun halten vergammelte, mit Spinnweben überzogene Ringbücher die Seiten meiner Jugend zusammen. Was war es nur? Es war eine bittere Mischung, Brüder und Schwestern. Und die Zeit hilft dir keinen Deut weiter. Hoffnungslose Ruhe. Stille Verzweiflung. Ruhe! Ich schrie, bis sie sich auf die Straße knieten und durch die Ritzen in meinen Keller linsten. Dann lag ich still. Vielleicht wäre es doch besser, in die öffentliche Bibliothek von New York zurückzukehren und die Arbeit an meiner unersetzlichen zehnjährigen Untersuchung über diesen widerlichen Narko-Hypno-Robo-Schwindel unserer Zivilisation wieder aufzunehmen? Ach was, vorbei!

      Ich gehe grade meine Aufzeichnungen durch. Und sobald ich sie einigermaßen in Ordnung gebracht habe, suche ich mir eine Universität, die sie annimmt, und dann werde ich vielleicht Gras fressen und auf den Landstraßen von Amerika herumziehen — hier eine Plastikdose mit einem verschimmelten Rest Kartoffelsalat auflesen und dort eine Blechdose mit einem übrig gebliebenen Zwiebelring oder einen kleinen Beutel Tomatenketchup, den jemand vergessen hat. Und dann werden wir tanzen, Brüder und Schwestern, dann erklingen von Neuem die Trompeten und Saxofone.

      Eine purpurne Traube glänzt zwischen Daumen und Zeigefinger von Dionysos. Und eine Olive in der Hand von Demeter. Aber was die Faust des Monsters hier auf der Titelseite umklammert, ist das Siegel des Roboterkriegs. Und dieses Monster lässt mich nicht mehr los und verfolgt mich bis in meine Träume.

      Da drüben liegt übrigens auch noch ein alter Heuballen, mit einer schwarzen schmierigen Rußschicht überzogen, aber der Packdraht hält ihn immer noch zusammen. Zwölf Jahre liegt das Ding jetzt schon hier rum, genauer gesagt seit 1961. Immer wenn ich mich draufsetze und lesen will, muss ich lachen. Denn er erinnert mich an die Total Assault Cantina und wie wir vor zwölf Jahren eine ganze Ladung Gewehre in den East River geschmissen haben, die eine Bande von rechtsradikalen Kanaken in die USA geschmuggelt hatte. Hahaha. Tja, das waren noch Zeiten.

      Also, passt auf, die Kneipe lag genau über dem Keller, in dem ich jetzt wohne, mit anderen Worten auf der Ecke Avenue A und Elfter Straße. Aber fangt jetzt bloß nicht an, hier nach irgendwelchen Resten der Total Assault Cantina zu buddeln, das Gebäude ist nämlich schon vor Jahren völlig ausgebrannt. Als die Kneipe dichtmachte, benutzte die Mafia die Räume ein paar Jahre als Lager für Jukeboxen. Eines Tages ließen sie alles in Flammen aufgehen und kassierten von ihrer Versicherung ein Schweinegeld.

      Wir flippten völlig aus an der unverständlichen Freiheit, die die Zivilisation uns in den frühen sechziger Jahren zugestand. LSD lag noch in weiter Ferne, doch schon damals steckten wir voller Energie und Begeisterung. Wir waren wandelndes Mutterkorn. Und keinen hatte es in diesen Tagen so wild gepackt wie die beiden Manager der Total Assault Cantina. Sie hatten einen Riecher für das, was uns fehlte. Sie brannten geradezu darauf, für die sozialistische Revolution zu kämpfen. Sie schlugen die Fäuste auf den Tisch und machten alle möglichen Pläne, wie man den gewaltlosen Kampf am besten unterstützen konnte. Beide waren zu der Zeit Anfang zwanzig und beide waren in New York aufgewachsen. John McBride war ein nervöser drahtiger Bursche mit einem dicken roten Schnurrbart und kurz geschorenem rotbraunen Haar. Paul Stillmann war ruhiger, nachdenklicher; er trug sein Haar nach hinten gekämmt und im Nacken zusammengebunden.

      Gemeinsam betrieben John und Paul das Total Assault, ein Nonprofitunternehmen, das sich voll und ganz der Aufgabe verschrieben hatte, wie Piranhas im Dschungel die Leichen von J. P. Morgans Neo-Anhängern durch einen Sumpf von Speed zu hetzen. Ihre Begeisterung stürzte sie in immer neue Abenteuer, in waghalsige Tänze auf einem gefährlich dünnen Seil aus Jointclips — und so war ihr Weg auf der einen Seite gesäumt von Ghandis Ahimsa und auf der anderen von erbitterten Straßenkämpfen und der gewaltigen Revolte einer potenziellen New Yorker Kommune. Denn im intellektuellen Zweikampf um die Frage der Taktik prallten die Persönlichkeiten der beiden Manager vom Total Assault voll aufeinander. Beide kämpften zwar für die Zertrümmerung des Fernsehturms da oben auf dem Empire State Building, nur ihre Methoden deckten sich nicht ganz. Es war so was wie ein Duell zwischen Anarcho-Mao und Anarcho-Tao. Der Budda-budda-budda-Sound von Johns Maschinengewehren verwandelte sich bei Paul in den Buddha-Buddha-Gesang friedlich demonstrierender Rebellen. So wie es im Moment stand, waren allerdings beide davon überzeugt, dass unmittelbare, spontane Straßenaktionen der einzig richtige Schritt auf dem Weg zur Revolution sein würden.

      Sie hatten schon mal ein Café gehabt, ein winziges Ding auf der Neunten Straße zwischen Avenue B und C. Es hieß Cantina de las Revoluciones. Etwa ein Jahr schafften sie es, sich damit über Wasser zu halten, mussten am Ende aber doch zumachen, weil sie total pleite waren und überall Schulden hatten. Dann entdeckten sie ein größeres Lokal auf der Ecke Elfte Straße und Avenue A, ein ganzes Erdgeschoss, und ein Hinterhof gehörte auch noch dazu. Die Miete: hundert Dollar im Monat. Es war der Himmel auf Erden.

      Aber es dauerte nicht lange und die Lizenzinspektoren tauchten auf. Und das bedeutete unweigerlich Stunk, denn John und Paul scherten sich einen Dreck um irgendwelche Lizenzen. »Ihr seid gesperrt«, eröffneten ihnen die Beamten, »ohne Genehmigung isses nix mit Gaststättengewerbe!«

      »Wir sind Revolutionäre. Steuern sind abgeschafft. Das Gewerbeaufsichtsamt ist abgeschafft. Warum setzt ihr euch nicht lieber ein paar Minuten her und helft uns mit der Zwölf-Cent-Suppe?« Stattdessen überreichten ihnen die Inspektoren eine Verwarnung. Und was das Helfen beim Gemüseputzen für den Ghandischen Götterfraß anging — was für eine Zumutung!

      Kurz danach wurden John und Paul gezwungen, sich runter zum Gewerbeaufsichtsamt zu begeben und dort irgendwelche Formulare auszufüllen. Sie wollten ihr Restaurant »Café Haschisch« nennen, aber dieses Ansinnen wurde von den Bürokraten natürlich auf der Stelle abgelehnt. »Wir gehen zur Civil Liberties Union, die werden die Sache schon durchboxen, ihr faschistischen Schweine!«, fauchte Paul nach einer langen Diskussion mit dem zuständigen Beamten. Aber es war einfach nichts dran zu rütteln.

      Ein paar Tage später starteten sie ihren nächsten Versuch. Diesmal wurden sie gleich ins Büro von Mr. Karkenschul geführt, dem stellvertretenden Direktor des Gewerbeaufsichtsamts. Der Typ war Mitglied der Liberalen Partei und hatte sich gerade in den Kopf gesetzt, alle Lokale zu schließen, in denen Dichterlesungen stattfanden. Mr. Karkenschul überflog das ordnungsgemäß abgestempelte Anmeldeformular. »Hmm, woll’n mal sehen«, Murmelmurmel, »John Z. McBride und Paul A. Stillmann ... Anmeldung für Kotze — ein Restaurant.« Karkenschul starrte die beiden ungläubig an. »Sie meinen, Sie wollen ein Café aufmachen, das Kotze heißt?« In einem Anflug von Ekel verzog er die Mundwinkel. »Also: Zuerst sind Sie letzte Woche hier erschienen und haben versucht, Ihrer Kneipe einen illegalen Namen zu geben, und jetzt ist es Kotze. Was sollen diese Spielchen?«

      »Schauen Sie Karko, wir wollen es nun mal gern Kotze nennen. Was ist denn schon dabei?«

      »Ausgeschlossen!« polterte er, »so was lässt die Öffentlichkeit sich nie und nimmer bieten!«

      »Wie wär’s denn mit Karkenschuls Kotzkneipe?«, stichelte Paul. Nach diesem Vorschlag wurden sie kurzerhand an die Luft gesetzt. »He, Sie liberaler Mr. Gedichteverächter! Zeigen Sie uns erst mal den Paragraphen, wo drinsteht, dass wir unsere Kneipe nicht Kotze oder Café Haschisch oder sonst wie nennen dürfen, wenn wir Lust dazu haben!«

      Ein paar Tage später erschienen sie zum dritten Mal beim Gewerbeaufsichtsamt, diesmal mit einem Namen, der die Untiefen des bürokratischen Ozeans ungeschoren passierte: Total Assault Cantina.

      Von da an spezialisierte sich Karkenschuls Behörde auf Überraschungskontrollen. Mindestens einmal in der Woche stand das Total Assault auf der Inspektionsliste. Ich hatte einen Freund, der einmal im Monat eine Wagenladung heißer Zigaretten aus South Carolina in der Kneipe ablieferte. Einmal hätten die Beamten ihn um ein Haar geschnappt und mit Sicherheit auch noch John und Paul ans FBI verpfiffen. Wir schafften die unverzollten Dinger in Windeseile in den Keller. Wie sich dann herausstellte, verlangten die Wichser von den beiden, sich eine sogenannte »Konzession für den Einzelhandel

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