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Wissen lag vor ihnen, wenn sie dort oben auf der wackligen Leiter standen, mit einem drei Meter langen Regal vor sich, das mit lauter vergriffenen Gedichtbänden vollgestopft war.

      Ihr größtes Problem war ein Platz zum Ficken. In seine armselige Bruchbude an der Elften Straße konnten sie nicht, denn laut Vermieter dieser Absteige waren Besucher gleich welchen Geschlechts grundsätzlich verboten. Und außerdem schaffte er es sowieso kaum, die Miete plus Nebenkosten plus Stromgeld zusammenzukratzen, um sich eine eigene Bude leisten zu können. Die New Yorker Parks waren ihr Revier. Sie fickten überall. Sie waren die Einzigen, die es je mitten auf der gewölbten kleinen Steinbrücke gebracht hatten, die in der Nähe vom Central Park liegt. Das behauptete jedenfalls der Bulle, der ihre Vereinigung im Licht der Straßenlaterne störte, und zwar grad im äußerst kritischen Moment der totalen Auflösung, als beide kurz vorm Explodieren waren, und sie ihre Ohren nur auf die immer lauter werdenden Schritte Eros eingepeilt hatten und nicht auf ordinäre Gummisohlen.

      Sie versuchten es im Stehen, gegen den niedrigen Zaun am Pennerviertel vom Washington Square gelehnt, als der Park schon geschlossen war. Sie fickten auf der Reit-Aschenbahn, die westlich vom Central Park etwa auf der Höhe der Zweiundsiebzigsten Straße liegt, und wurden von Polizeipferden überrascht — wieder mal im ungünstigsten Augenblick. Sie fickten in Sportwagenmanier auf einer Bank in der Zweiundsiebzigsten Straße, diesmal auf der Ostseite des Parks (übrigens in derselben Nacht, direkt nach dem Reitbahn-Reinfall).

      Und besonders gern trieben sie’s im Inwood Park. Einmal kraxelten sie in einer Neujahrsnacht weit rauf in die Felsen über dem kleinen See der Columbia University am Nordrand von Inwood. Halb lehnten, halb lagen sie auf einem steilen, vereisten Abhang zwischen riesigen Geröllhalden — als sie plötzlich mitten im Fick ins Rutschen kamen; sie konnten sich nicht mehr halten, rammelten aber feste weiter und verpassten ihrem Ärschchen noch einen Extra-Kick, als sie fünf Meter über eine hauchdünne Eisschicht bergab fegten.

      Diese Erfahrung war der absolute Gipfel. Sie verkauften und verpfändeten alles, was sie zwischen die Finger kriegten, schnorrten sich den Rest zusammen und mieteten sich damit ein kleines Nest auf der Ecke Dritte Straße Ost und Avenue B, was den Eltern einen neuen Schrei der Entrüstung entlockte, der aber genauso wenig ausrichtete wie alle anderen.

      Als er es wagte, sich für ein Semester von der Schule abzumelden, brachte ihn die geballte Wut ihrer Familie beinah in Schwierigkeiten mit dem FBI. Der Alte kriegte Wind davon und schrieb dem FBI einen Brief, in dem er sich bitter beklagte, dass ein ordinärer Drückeberger, der einer Anzeige wegen Notzucht bloß um lumpige zwei Monate entgangen war, das Gesetz gradezu mit Füßen trete, denn er ginge zwar nicht mehr aufs College, sei aber trotzdem noch immer vom Wehrdienst befreit. Wie konnte das FBI auch nur eine Minute länger zögern, diesen verlausten Kommunistenflegel einzukassieren, tobte der Vater, oder noch besser, warum schaffte man ihn nicht augenblicklich in die nächste Kaserne?

      Der Brief erregte beim FBI tatsächlich eine gewisse Aufmerksamkeit gegenüber dem Beatnik. Man schickte eine Abordnung in die Lower-East-Side-Behausung des jungen Paares, das aber glücklicherweise grad nicht zu Hause war.

      Zu dieser Zeit waren die Maßnahmen des FBI, wenn sie die gesuchte Person nicht antrafen, reine Routinesache. Sie schoben ihr ein genormtes Formular unter der Türritze durch, auf dem folgender schreckenerregender Text vorgedruckt war. Ganz oben stand der volle und rechtskräftige Name des »Subjekts«, das sie zu belästigen wagten, drunter die Aufforderung: »Setzen Sie sich bitte mit unserem Special Agent Edward Barnes in Verbindung. Federal Bureau of Investigation.« Und dann die Nummer vom FBI mit dem Nebenanschluss von Mr. Barnes.

      Der Poet hatte natürlich keine Ahnung von dem Brief, der beim FBI eingegangen war. In seiner Vorstellung spielten sich die grausigsten Visionen von Polizeistaat und Bullenterror ab. Erstmal spülte er seinen gesamten Shitvorrat, der in der Wohnung verteilt war, ins Klo. Sollte das etwa ein gezielter Angriff auf Beatdichter sein? Absurder Gedanke. Aber hatte er nicht neulich seine Unterschrift unter eine Petition gesetzt, die für die Begnadigung von Caryl Chessman eintrat? Vielleicht hatten sie deshalb hier rumgeschnüffelt? Er überlegte hin und her, hörte im Geist schon das Gerassel imaginärer Handschellen und hatte ständig den Soundtrack vom FBI-Radioprogramm im Ohr.

      Er rief beim FBI-Büro an und wurde aufgefordert, in einer Kleinigkeit, die seinen Militärdienst anging, an der Siebenundsechzigsten Straße Ost vorzusprechen. Uh-oh. Uh-oh und Terror.

      Man verhörte ihn in einem abgelegenen Zimmer, das voller Agenten und Schreibtische steckte. Sie erzählten ihm, dass sie gar nicht scharf drauf wären, ihn zu schnappen, aber sie müssten nun mal einen Bericht machen, weil das vorgeschrieben sei. Er machte ihnen weis, dass er sich nächstes Semester bestimmt in der Schule zurückmelden würde, und tat sein Bestes, um seinen zukünftigen Schwiegervater als exzentrischen Zittergreis hinzustellen.

      Wenn der Alte ans FBI geschrieben hatte, überlegten die beiden, dann konnte man wohl mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass er auch die New Yorker Polizei verständigt hatte; kleiner Hinweis auf Drogenmissbrauch womöglich. In den nächsten paar Jahren suchten sie sich für ihr Gras höchst raffinierte Verstecke aus. Beispielsweise benutzten sie die Gras-aus-dem-Fenster-Abseil-Methode mit einer Rasierklinge in der Nähe. Oder auch die Shit-überm-Klo-Baumel-Technik. Es war zwar umständlich, solche Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten, aber in diesen Zeiten auch nicht ungewöhnlich. Die beiden kannten einen Burschen, der hatte seinen Hund zum lebenden Grasschlucker abgerichtet, für den Fall, dass die Bullen plötzlich an die Tür klopften. Das Vorhandensein eingebauter Verstecke gehörte wahrend der Beat-Ära zu den wichtigsten Gründen, die für oder wider eine bestimmte Wohnung sprachen, Risse oder Sprünge im Mauerwerk, Vertiefungen usw., aber auch die Überlegung, wie lange im Notfall die Haustür den Drogenschnüfflern standhalten würde.

      Die nächste Krise wurde bei ihrer Heirat ausgelöst, als die Familie allen Ernstes erwog, entweder sie oder ihn oder alle beide in die Klapse zu verfrachten. Ein Onkel in der Sippschaft war Arzt. Sie setzten den armen Kerl mit allen Mitteln unter Druck, nur um ihn so weit zu kriegen, dass er den Beatnik einlieferte. »Um Marias willen ...«, schluchzte Mutter am Telefon, und ihre Tränen tropften auf den Hörer. Als Antwort darauf ließ der Beatnik die Botschaft »Nur über unsere Leichen« unter dem Stammbaum explodieren und auf einen Schlag waren die Fronten wieder ruhig.

      Die Kinder milderten den Hass der Familie ein bisschen. Der Dichter selbst begnügte sich mit Schreiben und Schweigen. Aber als ihnen der totale Entzug ihrer Enkelkinder drohte, wurden die Eltern langsam weich. Von ihm aus konnten sie alle zum Teufel gehen, dachte sich der Dichter nach all den Jahren harten Kampfes. Wenn sie es wagten, ihm auf den Wecker zu fallen, würde er mal kurz grunzen und die Stirn runzeln, ansonsten aber keinen Ton von sich geben, das schwor er sich. Mit einem naserümpfenden, misstrauischen Beatnik in zerlumpten Klamotten musste übrigens so manche Mittelstandsmutti fertig werden, wenn sie sich in die Slums vorwagte, um einen Blick auf ihre Enkel zu werfen.

      So vergingen die Jahre der Armut in glücklicher Eintracht mit Kakerlaken, Ratten und haufenweise Abfall. Manchmal ging es ihnen so dreckig, dass sie T-Shirts zu Windeln umfunktionieren mussten, weil sie sich keine Pampers mehr leisten konnten. Einmal rissen sie sogar einem National-Book-Award-Poeten, der grad bei ihnen zu Besuch war, das Hemd vom Leib und machten eine Windel draus. Und das nur ein paar Tage nach seiner Preisverleihung.

      Gelegentlich suchten sie alle ihre Gedicht- und Romanerstausgaben zusammen und verscherbelten sie an Antiquariate. Ständig baten sie Schriftsteller, ihnen ihre Bücher zu signieren. Auf Dichterlesungen im Y auf der Zweiundneunzigsten Straße hingen sie gewöhnlich back stage bei den Dichtern rum und kassierten ihre Autogramme ab. Eine signierte Erstausgabe, oh Mann, das war was!

      In einem Anfall von schierer Verzweiflung stellte er sich auch manchmal in die wartende Menschenschlange vor der Blutbank auf der Third Avenue und ließ sich für zehn Dollar einen halben Liter aus dem Arm zapfen. Zehn Dollar, das machte: $ 1.98 für Pampers, siebzig Cent für vier Päckchen Spaghetti, fünfunddreißig Cent für eine Schachtel Spinatnudeln, ein Pfund Hüttenkäse neunundsechzig Cent, Zucker, Kartoffeln, vier Liter Milch, Eier und drei Marshmallows aus dem Supermarkt, zwei Dosen Bier, eine Cola — und alles, was dann noch übrig blieb, waren lumpige drei Dollar. Aber dafür war auch morgen

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