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Dorf sei ein gewisser Peter Plogojoviz verstorben und bestattet worden. Innerhalb der folgenden acht Tage starben weitere neun Menschen nach 24-stündiger Krankheit. Auf dem Sterbebett berichteten sie, dass der verstorbene Plogojoviz im Schlaf zu ihnen gekommen sei, sich auf sie gelegt und sie gewürgt habe. Schließlich berichtete die Witwe des Verstorbenen, dass ihr toter Mann zu ihr gekommen sei und die Herausgabe seiner Schuhe verlangt habe. Angesichts des mörderischen Untoten hatte sie das Dorf verlassen und sich in einen anderen Ort begeben.

      Die Bevölkerung alarmierte den Kameralprovisor, einen kaiserlichen Beamten im Gesundheitswesen des Distrikts von Gradiška, und forderte ihn auf, zusammen mit dem örtlichen Pfarrer der Exhumierung Plogojoviz ʼ beizuwohnen. Der Provisor sollte anhand eindeutiger körperlicher Merkmale des Verstorbenen bestätigen, dass Plogojoviz ein Vampir sei, und der sachgerechten Vernichtung des Untoten beiwohnen.

      Wie es sich für einen habsburgischen Beamten gehörte, verwies der Provisor zunächst auf den Dienstweg. Demnach musste er den Vorfall seinen Vorgesetzten in Belgrad melden, um von dort den offiziellen Auftrag zur Untersuchung des Falles zu erhalten. Aber die Dorf bewohner hatten keine Zeit. Sie befürchteten, dass ohne sofortige Vernichtung des Vampirs das ganze Dorf zugrunde gehen würde, so wie es schon einmal unter türkischer Herrschaft geschehen war. Die Antwort an den habsburgischen Beamten war klar. Entweder er würde sofort herbeieilen und die ordnungsgemäße Vernichtung des Untoten legalisieren oder die Bevölkerung würde das Dorf verlassen. Der Provisor entschloss sich, dem Drängen der Dorfbewohner nachzugeben. Als er zusammen mit dem Pfarrer in Kisolova eintraf, hatten die Bewohner das Grab bereits geöffnet. Der Provisor berichtet:

      »daß erstlich von solchem Cörper und dessen Grab nicht das mindeste sonst der Todten gemeinen Geruch verspüret; der Cörper, ausser der Nasen, welche etwas abgefallen, ganz frisch; Haar und Barth, ja auch die Nägel, wovon die alten hinweg gefallen, an ihm gewachsen; die alte Haut, welche etwas weißlicht war, hat sich hinweg geschelet, und eine neue frische darunter hervor gethan; das Gesicht, Hände und Füße, und der ganze Leib waren so beschaffen, dass sie in seinen Lebzeiten nicht hätten vollkommener seyn können; in seinem Munde habe nicht ohne Erstaunen einiges frisches Blut erblicket, welches der gemeinen Aussage nach, er von denen durch ihn umgebrachten gesogen hatte. In Summa, es waren alle indicia vorhanden, welche dergleichen Leute an sich haben sollten.« 2

      Für die Dorf bewohner war der Fall ohnehin klar und so spitzten sie eiligst einen Pfahl und durchstießen damit sachgerecht den Körper des Vampirs, genau durch das Herz. Die Folge war ein Spektakel, das der Provisor folgendermaßen beschreibt: »da denn bey solcher Durchstechung nicht nur allein häuffiges Blut, so ganz frisch, auch durch Ohren und Mund geflossen, sondern noch andere wilde Zeichen (penis erectio) fürgegangen.«3 Mit der ordnungsgemäßen Einäscherung des Leichnams war die Angelegenheit für die Dorf bevölkerung erledigt.

      Für die Menschen der 1718 mit dem Frieden von Passarowitz an Österreich gefallenen osmanischen Gebiete war die Existenz von Vampiren seit Jahrhunderten fester Bestandteil des Volksglaubens. Für die habsburgischen Beamten waren die mysteriösen Todesfälle, von denen immer wieder aus den Dörfern der neu erworbenen Gebiete berichtet wurde, Anlass genauerer Untersuchungen.4 Bis 1732 blieben die Vampirberichte und amtlichen Untersuchungen weitestgehend behördeninterne Verwaltungsakte. Im Dezember 1731 jedoch wurde der Militärarzt Glaser mit einer Untersuchung im serbischen Dorf Medvegya beauftragt. 13 Bewohner waren hier nach Auffassung der Einheimischen von einem »Vampyr« ermordet worden. Nach Glasers Untersuchungsbericht wurde eine zweite Untersuchung angeordnet, die der Regimentsfeldscher Johann Flückinger durchführte. Sein Bericht endet mit den Worten:

       »Nach geschehener Visitation seynd denen Vampyren die Köpf durch dasige Zigeuners herunter geschlagen und sambt denen Cörpern verbrent, die Aschen davon in den Fluß Morova geworfen, die verwesene Leiber aber widrumb in ihre vorgehende Gräber gelegt worden.« 5

      Während die Angelegenheit bürokratisch gesehen im November 1732 erledigt war, hatte der südosteuropäische Untote bereits seit Anfang desselben Jahres die Aufmerksamkeit der mittel- und westeuropäischen Öffentlichkeit gewonnen. Glasers Vater, ein Wiener Arzt, schickte den Bericht seines Sohnes als Korrespondent an die erste medizinische Wochenschrift in Deutschland, das Nürnberger »Commercium litterarium ad rei medicae et scientiae naturalis incrementum institutum« (1731–1745).6 Und kaum hatte das Blatt die Geschichte publiziert, fand sie auch Eingang in andere Zeitungen und erreichte damit das Interesse der gebildeten Kreise Europas. Die Berichte über die serbischen Blutsauger verursachten einen Medienhype, in dessen Rahmen offensichtlich auch die Untoten des west- und mitteleuropäischen Aberglaubens ihre Aktivitäten verstärkten. Auch in wissenschaftlichen Traktaten wurden die Vampire in einem Atemzug mit Wiedergängern anderer Regionen, mit Dämonen und Geistern genannt. Nicht erst mit Dracula, der Kunstfigur Bram Stokers, waren die Konturen des speziellen südosteuropäischen Phänomens Vampir völlig unscharf geworden. Mit den langen Eckzähnen mischten sich Elemente des Werwolfes, mit der Blutsaugerei gar antike Dämonen in das publizistische »Erbgut« des Vampirs. Zedlers Universallexikon weiß 1745 beispielsweise zu berichten:

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      Originalseite aus dem 1733 erschienenen Traktat »Vernünftige und Christliche Gedancken Uber die Vampirs« von Johann Christoph Harenberg.

       »Vampyren, oder Blutsauger, diese haben mit den schmatzenden Todten […] grosse Verwandtschaft. […] In Polen weiß man auch von solchen Todten vieles zu erzählen, die in ihren Gräbern noch fressen, als Gespenster herum wandern, und die Leute in der Nachbarschaft umbringen sollen. […] In Schlesien, und zwar in einem Dorffe Hozeploz genannt, sollen die Menschen nach dem Todte sehr oft zu den ihrigen zurückkommen, mit ihnen essen und trincken, ja gar mit ihren hinterlassenen Weibern sich fleischlich vermischen. Wenn reisende Leute zu der Zeit, da sie aus den Gräbern herauskommen, durch das Dorf paßieren, lauffen sie ihnen nach, und hucken auf ihre Rücken.« 7

      Meyers Konversationslexikon informiert den Leser Ende des 19. Jahrhunderts über die vermeintlich gesamteuropäische Vampirfamilie unter Bezugnahme auf das »Traktat von dem Kauen und Schmatzen der Toten in Gräbern« von 1734 folgendermaßen:

       »Abarten des Vampirs sind: der Nachzehrer der Mark, der Blutsauger in Preußen und der Gierfraß in Pommern; die Wilis oder Willis, vor der Hochzeit gestorbene Bräute, die jungen Burschen erscheinen, sie zum endlosen Tanz verlocken, bis sie tot hinstürzen. Alle diese Sagen haben sich wohl aus den klassischen Gestalten der Lamien und Empusen (s. d.) entwickelt.« 8

      Tatsächlich war das Interesse vor allem der Obrigkeit an naturwissenschaftlicher Aufklärung größer als die Erforschung der kulturgeschichtlichen Hintergründe des Volksglaubens. In die wissenschaftlichen, also in erster Linie medizinischen Forschungen zum Vampirphänomen fanden bis in die heutige Zeit nahezu ausschließlich die Fälle aus den Dörfern Kisolova und Medvegya Eingang. Kein Wunder, hier konnten sich die Forscher auf die gut dokumentierten umfassenden Untersuchungen stützen, zu denen sogar die Autopsien der Opfer gehörten. Ziel der Untersuchungen durch die Militärärzte war es, dem vampirischen Aberglauben in dieser Region durch wissenschaftliche Erklärungen des Phänomens die Grundlage zu entziehen. Der Grund für dieses nahezu missionarische Aufklärungsbedürfnis war vor allem politischer und wirtschaftlicher Natur.

      Ähnlich wie in Kisolova hatten die Bewohner Medvegyas gedroht, aus dem Dorf abzuwandern, wenn man ihnen nicht erlaube, den für die unheimlichen Todesfälle verantwortlich gemachten Vampir nach altem Brauch zu vernichten. Mit der Abwanderung wäre jedoch die Ostgrenze zum Osmanischen Reich preisgegeben worden, denn Medvegya war ein Heiduckendorf, seine Bewohner besoldete Infanteristen mit ihren Familien, die hier zur Grenzsicherung angesiedelt waren.9 Die Tatsache, dass sich die Vampirmeldungen in der Folgezeit zu häufen begannen, dürfte auch auf ein Schreiben des Militärkommandanten von Belgrad im Jahr 1731 zurückzuführen sein. Dieses erweckte den Eindruck, dass eine Entschädigung für die Exekution von Vampiren geplant sei, in Zusammenhang mit dem Druckmittel Grenzsicherung eine echte Gelddruckmaschine.10 Als aber den Anträgen auf Entschädigung nicht stattgegeben wurde, verebbte diese Vampirepedemie, an der wohl

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